BGE 101 IV 107 | |||
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29. Auszug aus dem Entscheid der Anklagekammer vom 2. Juni 1975 i.S. X. gegen Fürstlich Liechtensteinisches Landgericht und Oberzolldirektion Bern. | |
Regeste |
Art. 4 des Vertrages zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet. | |
Sachverhalt | |
A.- Dem im Fürstentum Liechtenstein wohnhaften X. wird vorgeworfen, er habe seit 1971 wiederholt, über verschiedene Firmen, unter den Bezeichnungen "Bitalen", "Allgol", "Detergol" oder "Alkenol" zu Zollansätzen von 50 Rappen bis 5 Franken pro q Benzin aus Deutschland in die Schweiz eingeführt, das zum Ansatz von Fr. 26.50 pro q zollpflichtig ist und ausserdem einem Zollzuschlag von Fr. 35.06 pro q unterliegt; auf diese Weise habe er Zollabgaben von ca. 5,7 Millionen Franken umgangen.
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B.- Am 24. April 1975 beantragte die Zollkreisdirektion Chur gestützt auf Art. 52/53 VStrR beim Fürstlich Liechtensteinischen Landgericht Vaduz einen Haftbefehl gegen X. Das Gericht entsprach diesem Antrag. Am 29. April 1975 wurde X. verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis Vaduz eingewiesen. Am 1., 2. und 8. Mai 1975 beschwerte er sich gegen die Verhaftung und verlangte seine Freilassung.
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Am 12. Mai 1975 stellte die Zolluntersuchungsbehörde beim Fürstlich Liechtensteinischen Landgericht gestützt auf Art. 57 Abs. 2 VStrR den Antrag, die angeordnete Untersuchungshaft sei über 14 Tage hinaus zu verlängern. Das Gericht gab diesem Antrag statt. Der Beschuldigte beschwerte sich gegen diese Entscheidung, hielt seine früheren Haftbeschwerden vom 2. und 8. Mai 1975 aufrecht und beantragte, seine Beschwerden seien an das zuständige Gericht weiterzuleiten.
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Das Fürstlich Liechtensteinische Landgericht sandte darauf mit Schreiben vom 13. Mai 1975 die Haftbeschwerden des Beschuldigten dem Kantonsgericht St. Gallen, das es gestützt auf Art. 27 des Vertrages zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet vom 29. März 1923 für zuständig hielt. Das Kantonsgericht St. Gallen verneinte jedoch seine Zuständigkeit und leitete die Haftbeschwerden an die Anklagekammer des Bundesgerichts weiter.
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Aus den Erwägungen: | |
a) Gemäss Art. 4 des Vertrages zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet vom 29. März 1923 (BS 11, S. 160 ff.) finden im Fürstentum in gleicher Weise Anwendung wie in der Schweiz die zur Zeit des Inkrafttretens des Vertrages geltenden und die während seiner Dauer in Rechtswirksamkeit tretenden Bestimmungen der gesamten schweizerischen Zollgesetzgebung sowie der übrigen Bundesgesetzgebung, soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedingt. Bezüglich der anzuwendenden schweizerischen Gesetzgebung kommt dem Fürstentum Liechtenstein die gleiche Rechtsstellung zu wie den schweizerischen Kantonen (Art. 6 des Vertrags). Die seit dem Inkrafttreten des Vertrags im Fürstentum anwendbaren Bundeserlasse werden in einer Anlage I eigens angeführt (Art. 9 des Vertrags). Art. 10 des Vertrags sieht vor, dass alle Ergänzungen und Abänderungen der in der Anlage I erwähnten Bundesgesetzgebung vom schweizerischen Bundesrat der fürstlichen Regierung mitgeteilt und von dieser ebenfalls öffentlich bekannt gemacht werden. Dasselbe Verfahren hat Platz zu greifen mit Bezug auf die während der Vertragsdauer in Rechtswirksamkeit tretenden Bundesgesetze, Bundesbeschlüsse und Verordnungen, die unter Art. 4 des Vertrags fallen.
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Das am 13. Mai 1924 erlassene liechtensteinische Einführungsgesetz zum Zollvertrag mit der Schweiz vom 29. März 1923 sieht in Art. 2 Abs. 2 vor, dass spätere anwendbare Erlasse in Liechtenstein, soweit sie dort anwendbar sind, "zu gleicher Zeit wie in der Schweiz ohne weiteres in Kraft" treten. Nach Art. 3 des Einführungsgesetzes hat die Regierung des Fürstentums zu prüfen, ob die von den schweizerischen Behörden als anwendbar bezeichneten Bestimmungen zu der in Art. 4 des Zollvertrags genannten Bundesgesetzgebung gehören und sie hat diese dem Landtag möglichst frühzeitig "zur Kenntnisnahme" vorzulegen.
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b) Auf das Verfahren betreffend die Verfolgung von Zollwiderhandlungen fanden bisher im Fürstentum Liechtenstein wie in der Schweiz einerseits die Bestimmungen des dritten Abschnitts des Zollgesetzes und anderseits die Art. 279 bis 320 BStP Anwendung. Die genannten Artikel des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege sind mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht am 1. Januar 1975 aufgehoben und durch die Bestimmungen dieses Gesetzes ersetzt worden. Auf den gleichen Zeitpunkt wurden auch verschiedene Bestimmungen des dritten Abschnittes des Zollgesetzes abgeändert; unter anderem wurde Art. 90 des Zollgesetzes betreffend die vorläufige Festnahme durch das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht aufgehoben. Das Verfahren betreffend die Ahndung von Zollwiderhandlungen richtet sich demnach in der Schweiz seit dem 1. Januar 1975 nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht. Dasselbe muss auch für das Fürstentum Liechtenstein gelten, dessen Einführungsgesetz zum Zollvertrag ausdrücklich vorsieht, dass spätere anwendbare Erlasse in Liechtenstein zur gleichen Zeit wie in der Schweiz ohne weiteres in Kraft treten.
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Der Umstand, dass der Bundesrat das neue Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht und die dadurch bedingten Änderungen des Zollgesetzes und des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege der Fürstlich Liechtensteinischen Regierung noch nicht mitgeteilt und dass diese die fraglichen Gesetzesänderungen noch nicht bekannt gemacht hat, ändert nichts. Der Fürstlich Liechtensteinische Staatsgerichtshof als Verfassungsgerichtshof hat schon am 30. Januar 1947 in einem Urteil unter anderem ausgeführt: durch den Zollanschluss seien die Schweiz und Liechtenstein ein Zollgebiet und damit auch ein Wirtschaftsgebiet geworden, das vom Ausland durch eine gemeinsame Grenze geschützt, intern aber ohne Schranken sei; ein einheitliches Wirtschaftsgebiet erfordere einheitliche Wirtschaftliche Vorschriften. Im fraglichen Verfahren war geltend gemacht worden, die eidgenössischen Vorschriften könnten erst nach Abschluss des Anwendbarkeitsverfahrens im Sinne von Art. 3 des Einführungsgesetzes zum Zollvertrag und durch Publizierung in den Landeszeitungen Rechtswirksamkeit in Liechtenstein erlangen. Sinngemäss denselben Einwand erhob auch der Beschuldigte in seiner Beschwerde vom 8. Mai 1975. Demgegenüber stellte der Fürstlich Liechtensteinische Staatsgerichtshof im erwähnten Entscheid ausdrücklich fest: nach Art. 6 des Zollvertrags komme dem Fürstentum, hinsichtlich der gemäss Zollvertrag anzuwendenden eidgenössischen Bestimmungen, die gleiche Rechtsstellung zu wie den schweizerischen Kantonen. Die in Liechtenstein anzuwendenden eidgenössischen Bestimmungen treten daher im Fürstentum in gleicher Weise in Kraft wie in den Kantonen, d.h. unmittelbar kraft Erlass durch die eidgenössischen Stellen und ohne Mitwirkung der Kantone. Ob eine eidgenössische Bestimmung in Liechtenstein anzuwenden sei, bestimme der Bund. Die Fürstliche Regierung habe allerdings nach Art. 3 des Einführungsgesetzes zum Zollvertrag zu prüfen, ob die von der zuständigen Bundesbehörde als anwendbar bezeichnete Bestimmung zu der in Art. 4 des Zollvertrags genannten Bundesgesetzgebung gehöre; aber bei Meinungsverschiedenheiten könne sie die Streitfrage nur auf diplomatischem Wege zu erledigen versuchen oder ein Schiedsgericht anrufen. Die liechtensteinischen Bestimmungen über das Anwendbarkeitsverfahren und die Publikation seien demnach nur Ordnungsvorschriften, nicht aber konstitutives Erfordernis für das Inkrafttreten und die Verbindlichkeit der nach dem Zollvertrag anwendbaren Bestimmungen in Liechtenstein; die Anwendbarkeitserklärung und die Publikation hätten nur deklaratorische Bedeutung. Massgebend sei allein Art. 4 des Zollvertrags in Verbindung mit Art. 2 des Einführungsgesetzes, wonach die eidgenössische Bundesgesetzgebung, soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedinge, in Liechtenstein zur gleichen Zeit wie in der Schweiz ohne weiteres inkrafttrete (Urteil vom 30. Januar 1947 i.S. des N.N. und der Firma N.N. gegen das Urteil des kriegswirtschaftlichen Strafappellationsgerichts vom 12. Januar 1946). Diesen Erwägungen ist beizupflichten. Auf das Verfahren betreffend Widerhandlung gegen das Zollgesetz finden demnach seit dem 1. Januar 1975 nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Fürstentum Liechtenstein die Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht Anwendung.
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c) Nach Art. 26 VStrR kann gegen Zwangsmassnahmen und damit zusammenhängende Amtshandlungen bei der Anklagekammer des Bundesgerichts Beschwerde geführt werden. Richtet sich eine Beschwerde gegen eine kantonale Gerichtsbehörde, ist sie direkt bei der Anklagekammer einzureichen.
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Die Anordnung und die Verlängerung der Untersuchungshaft sind Zwangsmassnahmen im Sinne der genannten Bestimmung. Die im vorliegenden Verfahren angefochtenen Entscheidungen wurden vom Fürstlich Liechtensteinischen Landgericht gefällt. Da nach Art. 6 des Zollvertrags dem Fürstentum die gleiche Rechtsstellung wie den schweizerischen Kantonen zukommt, ist es gleich zu halten, wie wenn die erwähnten Entscheidungen von einer kantonalen Gerichtsbehörde gefällt worden wären. Gegen Haftverfügungen, die das Fürstlich Liechtensteinische Landgericht wegen Zollwiderhandlungen erlassen hat, kann demnach direkt bei der Anklagekammer des Bundesgerichts Beschwerde geführt werden. Diese ist für die Behandlung solcher Beschwerden zuständig. Auf die Beschwerde ist mithin einzutreten.
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