BGE 101 IV 234 | |||
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52. Urteil des Kassationshofes vom 20. Juni 1975 i.S. Keller gegen Statthalteramt Horgen | |
Regeste |
Art. 1 Abs. 8 VRV. |
Eine durch ein Fabrikgelände führende Strasse, die nur von denjenigen befahren werden darf, die von der Fabrikinhaberin eine besondere Bewilligung besitzen, und die für Dritte äusserlich als Fabrikausfahrt in Erscheinung tritt, bildet beim Zusammentreffen mit der Hauptstrasse keine Verzweigung. | |
Sachverhalt | |
A.- Frau Keller führte am 11. Juli 1973, um 19.05 Uhr ihren Personenwagen in Kilchberg durch die Schoorenstrasse abwärts in Richtung Seestrasse. Auf der Höhe des von rechts einmündenden Pilgerwegs stiess sie mit einem aus diesem Weg herauskommenden, von Ermatinger gesteuerten Wagen zusammen, wobei die Mitfahrerin leicht verletzt wurde.
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B.- Frau Keller wurde mit Strafverfügung vom 24. Mai 1974 vom Statthalteramt Horgen wegen Nichtgewährens des Rechtsvortritts gemäss Art. 36 Abs. 2 SVG mit Fr. 40.-- gebüsst. Sie verlangte gerichtliche Beurteilung.
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Am 19. September 1974 sprach sie der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Horgen von der Anklage frei, weil ihr das Vortrittsrecht zugestanden sei.
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C.- Frau Keller führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt Freisprechung von Schuld und Strafe.
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D.- Das Statthalteramt des Bezirkes Horgen beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Wie der Kassationshof schon Wiederholt entschieden hat (BGE 95 IV 95, BGE 91 IV 41), stellt das Gesetz damit nicht auf die Eigentumsverhältnisse an einem Verkehrsweg ab, sondern auf die Bedeutung, die dieser für den allgemeinen Fahrverkehr hat. Auch eine dem allgemeinen Verkehr offen stehende Privatstrasse kann von erheblicher Bedeutung sein und daher beim Zusammentreffen mit einer anderen Strasse eine Verzweigung im Sinne des Art. 1 Abs. 8 VRV bilden. Umgekehrt schliesst das Merkmal des öffentlichen Eigentums nicht aus, dass ein Verkehrsweg für den allgemeinen Verkehr bedeutungslos ist (BGE 84 IV 34, BGE 86 IV 189, BGE 91 IV 41). In Weiterverfolgung dieses Gedankens hat die Rechtsprechung die Einmündung eines unbedeutenden Seitensträsschens in eine grosse Durchgangsstrasse nicht als Verzweigung angesehen (BGE 84 IV 32, BGE 92 IV 27) und eine solche auch verneint, wo eine mit einem absoluten Fahrverbot belegte Strasse mit einer dem öffentlichen Verkehr geöffneten zusammentraf (BGE 91 IV 144, BGE 100 IV 85).
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Die untergeordnete verkehrsmässige Bedeutung für den allgemeinen Fahrverkehr war es denn auch, die den Gesetzgeber veranlasste, u.a. Ausfahrten aus Fabriken, Garagen usw. von der für Verzweigungen geltenden Ordnung auszunehmen. Es soll nämlich der auf einer öffentlichen Strasse verkehrende Führer nicht bei jeder Ausfahrt mit Fahrern rechnen müssen, die ihm gegenüber den Vortritt beanspruchen.
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Das Obergericht stellt sich auf den Standpunkt, die letzten 15 m des Pilgerwegs stünden dem allgemeinen Verkehr zur uneingeschränkten Benützung offen. Zudem sei auf dem anschliessenden Teilstück der öffentliche Fahrverkehr nicht absolut verboten, sondern bloss auf die bewilligten Fahrten eingeschränkt. Der Pilgerweg diene somit dem Fahrverkehr und sei daher auf der für diesen bestimmten Fläche Fahrbahn im Sinne des Art. 1 Abs. 4 VRV. Im übrigen sei der Pilgerweg nicht eine Sackgasse, sondern bilde die Verbindung zur Wiesenstrasse. Seine Einmündung in die Schoorenstrasse könne daher nicht einer Ausfahrt gleichgestellt werden.
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Die Frage, ob die Einmündung bis auf eine Tiefe von 15 m als öffentliche Fahrbahn anzusehen ist, kann offen bleiben. Entscheidend ist, dass es sich dabei nur um eine kurze Endstrecke des bedeutend längeren Teils des Pilgerweges handelt, auf welchem der Verkehr nur mit einer Bewilligung der Firma Lindt & Sprüngli gestattet ist. Eine natürliche Betrachtung der Dinge legt es daher nahe, die verhältnismässig kurze Einmündungsstrecke zusammen mit jener in privater Verfügung stehenden, weit längeren Strecke des Pilgerwegs als eine Einheit zu erfassen und sie das rechtliche Schicksal der letzteren teilen zu lassen.
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Hievon ausgehend, liegt der Schluss nahe, dass es sich bei der Einmündung des Pilgerwegs in die Schoorenstrasse um eine Fabrikausfahrt im Sinne des Gesetzes handelt, denn abgesehen davon, dass sie nach bei den Akten liegenden Photos für den auf der genannten Strasse verkehrenden Führer schon als solche in Erscheinung tritt, führt der Pilgerweg durch das Fabrikareal und unterliegt insoweit der Verfügungsbefugnis der Fabrikinhaberin, wie das durch die Signale klar zum Ausdruck gebracht wird. Dass der Pilgerweg auf der Gegenseite des Fabrikgeländes in die Wiesenstrasse einmündet und hier noch eine Ausfahrt besteht, macht ihn auf der signalisierten Strecke nicht zu einer öffentlichen Durchgangsstrasse, die einem unbestimmten Personenkreis offenstünde (BGE 100 IV 61; s. auch das unveröffentlichte Urteil des Kassationshofes i.S. Rossier vom 30.1.1975). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Pilgerweg, wie das Statthalteramt des Bezirkes Horgen in seiner Vernehmlassung geltend macht, noch andere Liegenschaften als die Fabrik Lindt & Sprüngli erschliesst. Tatsächlich führt der Pilgerweg nicht nur durch das Fabrikareal, sondern reicht über dieses hinaus, indem er jenseits der Wiesenstrasse bis zur Schwalbenstrasse sich fortsetzt. Insoweit ist der genannte Weg unzweifelhaft eine öffentliche Strasse. Das hilft jedoch nicht über die Tatsache hinweg, dass die Strecke des Pilgerweges, welche durch das Fabrikgelände führt, diese Eigenschaft nicht hat, indem diese nur befahren darf, wer von der Fabrikinhaberin eine besondere Bewilligung besitzt. Dies ist vielmehr ein gewichtiges Indiz dafür, dass diese Strecke des Pilgerwegs dem Werkverkehr vorbehalten Sein soll, also einen eigentlichen Fabrikweg darstellt, dessen Einmündung in die Schoorenstrasse denn auch als Fabrikausfahrt anzusehen ist.
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Ferner spielt das äussere Erscheinungsbild als Fabrikausfahrt eine Rolle. Soweit er auf Ausfahrten Bezug hat, will Art. 1 Abs. 8 VRV vermeiden, dass der auf öffentlicher Strasse verkehrende Führer an solchen Stellen stets mit den Vortritt beanspruchenden Fahrern rechnen muss. Müsste er das tun, würde nicht nur die Flüssigkeit, sondern auch die Sicherheit des Verkehrs darunter leiden; es wäre nämlich im konkreten Fall für den nicht ortskundigen Führer insbesondere ausserhalb der Zeiten, in welchen eine Fabrik die Arbeit beginnt oder beendet, häufig schwer abzuschätzen, ob es sich um eine Verzweigung oder eine Fabrikausfahrt handelt, wenn nicht auf das äussere Erscheinungsbild abgestellt werden dürfte. Da der Strassenverkehr aber in hohem Masse an einfachen und klaren Regeln interessiert ist, die nur durchbrochen werden sollen, wo besondere Umstände es rechtfertigen (BGE 94 IV 75, BGE 100 IV 84), ist bei Vorliegen einer Fabrikausfahrt, die für Dritte auch als solche in Erscheinung tritt, die für jeden Führer leicht verständliche Regel des Art. 1 Abs. 8 VRV so anzuwenden, wie sie lautet. Das führt im vorliegenden Fall zum Schluss, dass es sich beim Zusammentreffen des Pilgerwegs mit der Schoorenstrasse nicht um eine Verzweigung handelt. Die Beschwerdeführerin war deshalb gegenüber dem aus dem Pilgerweg herausfahrenden Ermatinger vortrittsberechtigt. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur Freisprechung der Beschwerdeführerin an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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