BGE 101 IV 270 | |||
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61. Urteil des Kassationshofes vom 17. November 1975 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen X. | |
Regeste |
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB. | |
Sachverhalt | |
A.- X. duschte im Sommer 1973 im Schwimmbad Kriens mit den Mädchen U. und S., geb. 1968 bzw. 1965, und anfangs Februar 1974 im Hallenschwimmbad Ebikon mit den Mädchen R., geb. 1964, und K., geb. 1963. Er zog den Kindern die Badehose herunter, betastete sie am nackten Körper und streichelte deren Geschlechtsteil.
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B.- Am 13. September 1974 sprach das Kriminalgericht des Kantons Luzern X. der fortgesetzten Unzucht mit Kindern nach Art. 191 Ziff. 2 StGB schuldig und bestrafte ihn unter Berücksichtigung einer leichten Verminderung der Zurechnungsfähigkeit mit sechs Monaten Gefängnis. Den Strafvollzug schob es auf und ordnete eine ambulante Behandlung gemäss Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB an.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern appellierte gegen dieses Urteil. Nachdem das Obergericht des betreffenden Kantons zur Frage, ob die im Gutachten des Psychiaters empfohlene ärztliche Behandlung des Verurteilten mit dem sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe unvereinbar sei oder ob die Behandlung durch den Strafvollzug schwer beeinträchtigt werde, ein Ergänzungsgutachten eingeholt hatte, bestätigte es am 11. Juni 1975 den erstinstanzlichen Entscheid.
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C.- Die Staatsanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt Aufhebung des obergerichtlichen Urteils insoweit, als damit der Aufschub des Strafvollzuges verfügt wurde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Welche Wirkungen der Vollzug der Freiheitsstrafe auf die notwendige Behandlung des Täters haben wird, ist weitgehend eine Ermessensfrage. Soweit erforderlich, holt der Sachrichter den Bericht eines Experten ein.
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2. Hinsichtlich des Geisteszustandes des Beschwerdegegners führt die Vorinstanz unter Hinweis auf die beiden Gutachten aus, beim Angeklagten handle es sich um einen stimmungslabilen, gehemmten, selbstunsicheren, kontaktgestörten, infantil-unreifen, durchschnittlich intelligenten Psychopathen mit einer sexualneurotischen Fehlentwicklung, die durch eine strenge, tabuierende Erziehung und enttäuschend verlaufende Beziehung zu Frauen in jungen Jahren verursacht und durch anlagemässige charakterliche Besonderheiten verstärkt worden sei. In neuester Zeit sei bei X. zusätzlich eine paranoid-depressive Entwicklung angelaufen. Die Unzuchtsdelikte hingen mit diesem Geisteszustand und insbesondere mit der sexualneurotischen Fehlentwicklung zusammen. Ferner erfordere dieser Geisteszustand eine ärztliche Behandlung im Sinne einer psychagogisch-psychotherapeutischen und gegebenenfalls medikamentösen, entspannenden oder antidepressiven Behandlung. Diese habe nicht in einer Heil- und Pflegeanstalt, sondern ambulant zu erfolgen. Schliesslich sei nicht auszuschliessen, dass der Angeklagte durch die psychagogisch-psychotherapeutische Behandlung auch im sexuellen Bereiche für eine befriedigendere Beziehung frei werde. Es sei nämlich durchaus möglich, dass er bei Erreichen einer für ihn akzeptablen sexuellen Beziehung zu einer Frau die pädophilen Tendenzen nicht mehr auszuleben brauche, bzw. die Triebenergien derart in normalsexueller Betätigung verbraucht werden könnten, dass sich die pädophile Fehlhaltung oder Fehlentwicklung mit der Zeit totlaufe oder ausschleife. Es könne somit angenommen werden, durch die vorgesehene ambulante Behandlung lasse sich die Gefahr weiterer mit Strafe bedrohter Taten zumindest verhindern.
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Sodann folgt die Vorinstanz der Ansicht des Experten, wonach bei sofortigem Strafvollzug die bereits deutlich vorhandene paranoid-depressive Entwicklung des Beschwerdegegners rasch vorwärts schreiten und ein Mass annehmen könnte, das nicht nur die Behandlung im Strafvollzug, sondern auch in der Zeit nachher schwer beeinträchtigen oder verunmöglichen würde. Die Vorinstanz schliesst daraus, ein sofortiger Strafvollzug würde die vordringliche ambulante psychiatrische Behandlung des Beschwerdegegners schwer beeinträchtigen. Eine Behandlung in der vom Experten vorgeschlagenen Weise sei während des Strafvollzugs nicht möglich.
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3. Ob eine psychotherapeutische Behandlung während des Strafvollzugs durchführbar ist, hängt vom Zustand des Verurteilten, der Art der Behandlung und den Mitteln und Verhältnissen des Strafvollzugs ab.
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Die vom Experten vorgeschlagene Therapie besteht vorwiegend in einer psychagogisch-psychotherapeutischen Individualbetreuung, gegebenenfalls verbunden mit medikamentöser, entspannender oder antidepressiver Behandlung. Diese kann nach Ansicht des Experten in der Strafanstalt nicht mit der erforderlichen Intensität, wie sie der Beschwerdegegner heute nötig hat, durchgeführt werden. Die Strafverbüssung würde diesen ungünstig beeinflussen, so dass der Erfolg der Therapie nicht nur gehemmt, sondern unter Umständen sogar ins Gegenteil verkehrt würde. Damit wird gesagt, der sofortige Strafvollzug würde den Zustand des Beschwerdegegners trotz sofort einsetzender Behandlung wahrscheinlich verschlechtern. Dies darf aber nicht in Kauf genommen werden. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, den Vollzug der Strafe aufzuschieben. Die Würdigung der Vorinstanz überschreitet das ihr zustehende Ermessen nicht; der Aufschub des Vollzugs der Freiheitsstrafe verletzt demnach Bundesrecht nicht.
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Die Beschwerdeführerin wendet ein, diese neue, vom Obergericht berücksichtigte Entwicklung hänge nicht mit dem früheren Geisteszustand und der Tat zusammen. Der Beschwerdegegner sei deshalb nicht mit der angeordneten Massnahme zu behandeln. Wenn der neue Zustand den Strafvollzug hindere, habe die Vollzugsbehörde darüber zu befinden.
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Über einen allfälligen Zusammenhang des früher diagnostizierten Zustandes mit der heute festgestellten paranoid-depressiven Entwicklung spricht sich der Experte nicht näher aus. Er sagt lediglich, eine solche Entwicklung stelle sich bei abnormen oder neurotischen Persönlichkeiten leichter ein.
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Wie die Kompetenzen des Sachrichters nach Art. 43 StGB und von Vollzugsbehörden nach Art. 40 StGB auszuscheiden sind, wenn nachträglich zum festgestellten Geisteszustand des Täters weitere geistige Störungen hinzutreten, kann hier offen bleiben. Denn unbestrittenermassen hat sich im vorliegenden Fall der früher diagnostizierte Zustand nicht geändert, weshalb die vom Experten ursprünglich empfohlene Behandlung nicht durch eine andere zu ersetzen ist.
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Ob die Therapie aber mit dem Strafvollzug vereinbar sei oder nicht, hatte der Sachrichter nach dem Gesamtzustand des Beschwerdegegners zur Zeit der Urteilsfällung zu beurteilen. Nur wenn der neu festgestellte Zustand die seinerzeit gegebene Behandlungsbedürftigkeit aufgehoben oder eine andere Therapie notwendig gemacht hätte, würde die ursprünglich indizierte Behandlungsart entfallen. Das aber trifft hier nicht zu.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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