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Informationen zum Dokument  BGE 101 IV 298  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Das angefochtene Urteil sagt teils nicht klar, ob die Kritik d ...
2. Wegen Nötigung macht sich gemäss Art. 181 StGB straf ...
3. Vorausgesetzt, dass die von den Beschwerdeführern kritisi ...
4. Anders verhält es sich mit den von den Beschwerdefüh ...
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68. Urteil des Kassationshofes vom 12. September 1975 i.S. Bellettini und Konsorten gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau.
 
 
Regeste
 
Art. 181 StGB; Nötigung durch Androhen der Verteilung eines Flugblattes, das eine Aufforderung zum Boykott enthält.  
2. Kritik an wirklich bestehenden Missständen ist nicht schon allein deshalb rechts- oder sittenwidrig, weil sie durch ein öffentlich verteiltes Flugblatt erhoben wird. Sie wird es jedoch dort, wo der Inhalt des Flugblattes die Grenzen des Zulässigen überschreitet, z.B. durch ehrverletzende oder kreditschädigende Ausführungen oder durch verpönte Androhungen (Erw. 4).  
 
Sachverhalt
 
BGE 101 IV, 298 (299)A.- Am 16. Dezember 1971 erschienen die Mitglieder der "Progressiven Lehrlingsorganisation Hydra Dübendorf" Roger Herren, Hannes Lämmler, Hannes Reiser und ein Unbekannter beim Metzgermeister Karl Frei in Hüttwilen, stellten sich vor als "Lehrlingskontrollkomitee Frauenfeld" und verlangten die Unterzeichnung einer schriftlichen Verpflichtung bezüglich Verbesserung der hygienischen Verhältnisse in der Metzgerei, der Ausbildung und Behandlung der Lehrlinge. Frei weigerte sich, diesem Ansinnen zu entsprechen.
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Lämmler verfasste und vervielfältigte daraufhin unter Mithilfe anderer Hydra-Mitglieder ein Flugblatt in mehreren hundert Exemplaren, das folgenden Wortlaut hatte:
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"WISSEN SIE
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- dass in der METZGEREI FREI in Hüttwilen die Hygiene vernachlässigt
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wird?
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Mit dem gleichen Lappen werden Boden, Tisch und Fleisch gereinigt.
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- dass die Lehrlinge pro Woche 54-56 Stunden arbeiten müssen?
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Nach Lehrvertrag beträgt die maximale Arbeitszeit 45 Stunden.
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- dass die Lehrlinge vom Lehrmeister schikaniert werden? Er betitelt
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sie mit Übernamen und kneift sie dauernd in den Hintern.
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BGE 101 IV, 298 (300)- dass Metzgermeister FREI laut Reglement nur einen Lehrling
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ausbilden dürfte?
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Für einen zweiten Lehrling müsste ein zweiter Metzger eingestellt
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werden.
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Warum müssen ausgerechnet wir Sie auf diese Missstände aufmerksam
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machen? Wäre es nicht die Sache der Leute hier im Dorf, solche
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Schweinereien zu verhindern?
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WIR FORDERN
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- ständige Kontrolle der Metzgerei durch das Gesundheitsamt.
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- Abschaffung der Überstunden.
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- Einstellung eines gelernten Metzgers.
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WOLLEN SIE
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- dass Ihre Kinder in der Lehre so behandelt werden wie die Lehrlinge
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bei FREI?
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- dass das Fleisch, das Sie essen, aus einer unhygienischen Metzgerei
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kommt?
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WENN NICHT, DANN SAGEN SIE DOCH HERRN FREI, WAS SIE DENKEN!
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ÜBRIGENS: NICHTS HINDERT SIE DARAN, IHR FLEISCH IN
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EINER ANDEREN METZGEREI ZU KAUFEN!
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Lehrlingskontrollkomitee Frauenfeld
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(Verantwortl. f. Druck u. Inhalt:
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Hannes Lämmler, Dübendorf)"
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Am 21. Dezember 1971 suchten Reiser und Franco Bellettini in Begleitung zweier Unbekannter die Metzgerei Frei auf. Bellettini, unterstützt von Reiser, drohte Frei die Verteilung der Flugblätter in allen Hüttwiler Haushaltungen unmittelbar von Weihnachten an, wenn er nicht sofort die Forderungen der Hydra bezw. des Lehrlingskontrollkomitees annehme. Um geschäftlichen Schaden zu vermeiden, unterschrieb Frei eine vorbereitete Verpflichtung zu ständiger Kontrolle seiner Metzgerei durch das Gesundheitsamt, Abschaffung der Überstunden für die Lehrlinge und Einstellung eines gelernten Metzgers. Die Hydra versprach ihrerseits schriftlich, keine Flugblätter zu verteilen und die Metzgerei Frei nicht in Veröffentlichungen zu erwähnen, sofern nicht neue Missstände aufträten.
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Eines der Flugblätter kam in Hüttwilen trotzdem in Umlauf, und Bellettini und Reiser führten gleichentags im "Rhyhof" in Frauenfeld über die Angelegenheit eine Pressekonferenz durch.
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BGE 101 IV, 298 (301)B.- Das Obergericht des Kantons Thurgau erklärte Bellettini, Lämmler und Reiser am 8. April 1975 der Nötigung schuldig und verurteilte Bellettini zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 10 Tagen als Zusatzstrafe, Lämmler und Reiser zu Bussen von Fr. 500.-- bezw. 300.--.
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C.- Die drei Verurteilten führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung. Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung.
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Gleichzeitig führen die Verurteilten staatsrechtliche Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Die Beschwerdeführer bestreiten mit Recht nicht, dass sie Frei ernstliche Nachteile angedroht haben. Hingegen machen sie geltend, das sei weder widerrechtlich noch sittenwidrig gewesen; es habe sich um eine durchaus übliche gewerkschaftliche Aktion im Rahmen der Rechtsordnung gehandelt.
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3. Vorausgesetzt, dass die von den Beschwerdeführern kritisierten Zustände tatsächlich bestanden, war der von ihnen BGE 101 IV, 298 (302)angeblich verfolgte Zweck - wozu die Vorinstanz Zweifel äussert, aber nicht klar Stellung bezieht - nicht rechts- oder sittenwidrig. Das Bestreben, den Rechtsvorschriften über Hygiene und Berufsbildung Nachachtung zu verschaffen, ist nicht widerrechtlich. Und wenn es zutreffen sollte, dass gegenüber dörflichen Kleinmetzgereien eine gewisse Toleranz geübt wird, verstösst die Absicht, auch diese Toleranz abzuschaffen, nicht gegen die guten Sitten.
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Das von den Beschwerdeführern zur Verteilung vorgesehene Flugblatt erschöpft sich nun nicht in der Schilderung der behaupteten Missstände. Es gipfelt in einer nur leicht verhüllten Aufforderung zum Boykott der Metzgerei Frei. Der Boykott ist grundsätzlich widerrechtlich; nur wer mit ihm offensichtlich überwiegende berechtigte Interessen verfolgt, die er auf keine andere Weise wahren kann, verstösst nicht gegen das Recht (BGE 86 II 378). Die Beschwerdeführer konnten den von ihnen verfolgten Zweck auf andere Weise als durch Boykottandrohung erreichen, nämlich durch Vorstelligwerden bei den für Berufsbildung und öffentliche Hygiene zuständigen Behörden. Sie machen zwar geltend, Roger Herren habe erfolglos das kantonale Lehrlingsamt orientiert. Selbst wenn das zutrifft, berechtigte sie dieser Misserfolg nicht zu ihrem Vorgehen. Vielmehr hätten sie ihr Anliegen auch der übergeordneten Behörde vortragen müssen, bevor sie zur Boykottdrohung griffen.
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Selbst wenn somit die Nötigung Freis ein rechtmässiges Ziel verfolgte, wurde sie mit rechtswidrigen Mitteln ausgeübt. Die Beschwerdeführer sind daher zu Recht nach Art. 181 StGB bestraft worden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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