BGE 102 IV 120 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
30. Urteil des Kassationshofes vom 17. September 1976 i.S. R. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. | |
Regeste |
BRB über die Feststellung der Angetrunkenheit von Strassenbenützern. |
2. Art. 4 Abs. 4. Der Sachverständige hat seine Schlussfolgerungen zu begründen (Erw. 1c). |
3. Art. 3 Abs. 1. Der Arzt hat nur die im Formular gemäss Anhang II zum BRB verlangten medizinischen Feststellungen zu treffen (Erw. 2). | |
Sachverhalt | |
A.- R. fuhr am 10. Juni 1975 um 19 Uhr zur Behandlung eines Ischias-Syndroms von seinem Wohnort Bottmingen nach Bad Bellingen (BRD), wo er sich bis 20.30 oder 21 Uhr im Thermalbad aufhielt. Anschliessend kehrte er im ausserhalb von Bellingen gelegenen Restaurant "Schwanen" ein und blieb dort bis 00.15 Uhr. Zwischen 22 und 22.30 Uhr trank er auf den nüchternen Magen ein kleines Bier und ein Viertel Weissherbst. Darauf ass er Spargeln mit Mayonnaise und als Dessert eine Omelette. Dazu trank er zwei Viertel Weisswein und nach dem Dessert, um 23.40 Uhr, einen Kaffee mit einem grossen Weinbrand. Um 00.15 Uhr verliess er das Restaurant und diskutierte bis 00.40 Uhr vor diesem mit Kurgästen. Darauf setzte er sich ans Steuer seines Wagens und fuhr nach Basel. Nachdem er dort mit hoher Geschwindigkeit durch die Klybeckstrasse und von dieser mit laut quietschenden Pneus rechts in die Dreirosenstrasse gefahren war, seine Fahrt in Richtung Gross-Basel fortgesetzt hatte und dort auf dem Luzernerring zwischen Flughafen- und Burgfelderstrasse abwechselnd auf beiden Fahrspuren gefahren war, wurde er von der Polizei um 01.20 Uhr angehalten. Er roch nach Alkohol. Der um 01.35 Uhr durchgeführte Atemlufttest ergab eine Blutalkohol-Konzentration von 0,8%o und die Analyse der um 02.20 Uhr erhobenen Blutprobe durch den Gerichtschemiker eine solche von 0,9%o. Der Gerichtsarzt errechnete für den Zeitpunkt der inkriminierten Fahrt bei Annahme vollständiger Resorption des genossenen Alkohols einen Blutalkoholwert von schätzungsweise 1,05%o, entsprechend einer mittelgradigen Angetrunkenheit mit individuell je nach Alkoholtoleranz verschieden starken Störungen.
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B.- Der Polizeigerichtspräsident von Basel-Stadt verurteilte R. wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand und vorschriftswidrigen Motorfahrens zu 10 Tagen Gefängnis.
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Das Appellationsgericht bestätigte am 12. Mai 1976 dieses Urteil, wobei es den Antrag des R. auf Durchführung einer Oberexpertise über den Grad der Angetrunkenheit ablehnte.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt hat sich innert Frist nicht zur Beschwerde vernehmen lassen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Im Anschluss an die Vorschriften, dass die Blutanalyse von einem Institut vorgenommen werden muss, das die erforderlichen Einrichtungen besitzt und für eine zuverlässige Untersuchung Gewähr bietet (Abs. 1), und dass die Analyse nach zwei grundlegend verschiedenen Methoden zu erfolgen hat und bei wesentlichem Abweichen der Resultate voneinander zu wiederholen ist (Abs. 2), schreibt Art. 4 BRB in Absatz 3 vor, dass zum Ergebnis der Blutanalyse auf Verlangen des Verdächtigten und in Zweifelsfällen das Gutachten eines gerichtlich-medizinischen Sachverständigen einzuholen sei. Da für den Richter einzig der Blutalkoholgehalt des Beschuldigten im Zeitpunkt der Fahrt von Belang ist, ist "Ergebnis der Blutanalyse" nicht allein das Resultat des chemischen oder physikalischen Trennungsverfahrens, sondern auch dessen sachverständige Auswertung im Hinblick auf jenen Zeitpunkt, d.h. eine allfällige Rückrechnung, denn sie gehört jenem gerichtlich-medizinischen Wissensbereich an, für welchen das Gesetz den Richter an den Fachmann verweist.
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b) Gemäss Art. 4 Abs. 3 BRB hat der Richter ein Gutachten einzuholen "auf Verlangen des Verdächtigten und in Zweifelsfällen". Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist das Begehren des Beschuldigten ein selbständiger Grund zur Einholung einer Expertise, der alternativ zu den Zweifeln des Gerichtes gegeben sein kann und nicht nur zusammen mit diesen, ansonst auch der Zweifel des Richters nicht genügen würde, wenn ein Begehren des Beschuldigten fehlt. Für die dem Wortlaut folgende Auslegung spricht auch die Entwicklungsgeschichte.
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Bei der Beratung des Art. 55 Abs. 3 SVG unterrichtete der Vertreter des Bundesrates den Nationalrat über die vorgesehenen Vollzugsvorschriften, denen zufolge "auf Antrag des Beschuldigten... eine Kontrollanalyse, eventuell in einem Labor nach Wahl des Beschuldigten durchgeführt" werde (Sten.Bull. NR 1957 S. 219 oben). Nach einer Mitteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 26. August 1976 hatte denn auch der erste Entwurf der Ausführungsvorschriften folgendes vorgesehen: "Vom Ergebnis der Analyse ist dem Verdächtigten innert 5 Tagen seit der Feststellung Kenntnis zu geben. Dieser kann innert 10 Tagen seit Erhalt der Mitteilung eine Kontrolluntersuchung durch ein anerkanntes Institut oder ein Laboratorium seiner Wahl verlangen".
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In der weiteren Bearbeitung des Entwurfs wurde auf die Fristen verzichtet, am Grundsatz einer Begutachtung auf Begehren des Beschuldigten aber festgehalten und dieses als selbständiger Grund dem Zweifel des Gerichtes an die Seite gestellt. Der Gesetzgeber hat somit die Begutachtung des Ergebnisses der Blutanalyse aus zwei alternativen Gründen vorgesehen, mit der Folge, dass einem Begehren des Beschuldigten zu entsprechen ist, auch wenn der Richter selber keine Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses hegt.
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c) Der Beschwerdeführer hat vor Appellationsgericht ein solches Begehren gestellt, ohne damit gehört zu werden. Wohl war der sich in einem Satz erschöpfende Untersuchungsbericht des Gerichtschemikers, der einen Blutalkoholgehalt von 0,9%o verzeichnete, vom kantonalen Polizeidepartement dem Gerichtsarzt zur Prüfung überwiesen worden. Dessen Bericht besteht jedoch seinerseits bloss in drei Sätzen und gelangt zum Schluss, dass "bei Annahme vollständiger Resorption des genossenen Alkohols" sich ein Blutalkoholwert von schätzungsweise ungefähr 1,05%o ergebe, "entsprechend der Annahme eines Zustandes mittelgradiger Angetrunkenheit mit individuell je nach Alkoholtoleranz verschieden starken Störungen". Dieser Bericht ist jedoch kein Gutachten im Sinne des Art. 4 BRB. Nach Absatz 4 dieses Artikels hat nämlich der Sachverständige seine Schlussfolgerungen zu begründen. Daran fehlt es hier. Wohl erklärt der Gerichtsarzt, dass nach dem Polizeirapport die Blutentnahme eine Stunde nach dem kritischen Zeitpunkt erfolgt sei, weshalb sich für die Zeit der Fahrt ein Wert von 1,05%o ergebe. Indessen legt er nicht dar, worauf er seine Annahme einer vollständigen Resorption des genossenen Alkohols stützt. Da er aber diesem Moment entscheidende Bedeutung beimisst, hätte er seine Annahme begründen und überdies die Art der Rückrechnung erläutern müssen.
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Da der vom Gesetzgeber dem Beschuldigten gewährte Anspruch auf gutachtliche Überprüfung des Ergebnisses der Blutanalyse sich seiner Natur nach in den Rahmen des rechtlichen Gehörs im weiteren Sinne einfügt, ist dem Begehren um Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache zur Einholung einer Expertise stattzugeben unbekümmert darum, ob Aussicht besteht, dass die Behebung des Mangels zu einer sachlichen Änderung des angefochtenen Urteils führen wird. Das Appellationsgericht wird einen geeigneten Experten oder ein spezialisiertes Institut mit der Begutachtung gemäss Art. 4 Abs. 3 BRB zu beauftragen haben. Insoweit ist somit die Beschwerde gutzuheissen.
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Gemäss Art. 3 Abs. 1 BRB hat der mit der Blutentnahme beauftragte Arzt zwar den Verdächtigten zusätzlich auf die medizinisch feststellbaren Anzeichen von Angetrunkenheit zu untersuchen, die Untersuchung aber anhand des Formulars gemäss Anhang II vorzunehmen. Er hat somit nicht irgendwelche medizinischen Feststellungen zu treffen, sondern nur diejenigen, die im genannten Formular verlangt werden. Das aber ist geschehen; einmal entspricht das verwendete Formular in allen Teilen dem im Anhang II zum BRB vorgesehenen (SR 741, 172), und zum andern hat der Arzt alle darin gestellten Fragen pflichtgemäss beantwortet, was der Verteidiger hätte erkennen können.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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