VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 102 IV 162  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Verurteilung wegen Betruges zum Nachteil von R. ist nicht  ...
2. Der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt erfüllt  ...
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Juni 1976 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden.
 
 
Regeste
 
Art. 110 Ziff. 3 StGB.  
 
Sachverhalt
 
BGE 102 IV, 162 (162)A.- X. wurde am 27. November 1974 geschieden und verliess am 10. Dezember 1974 seine Stelle als Werkzeugschleifer bei der Firma M. in Zürich. Seit Januar 1975 will er im Hause seiner Mutter in P. wohnen.
1
Vermutlich im Mai 1975 nahm X. im Estrich des Hauses seiner Mutter zwei dieser gehörende Kupferkessi an sich und verkaufte sie ohne Wissen der Eigentümerin für den Betrag von Fr. 200.-- dem Antiquitätenhändler R. Die Mutter lehnte es indessen ab, gegen ihren Sohn Strafantrag zu stellen.
2
B.- Y. ist als Pflegesohn bei den Eltern des X. aufgewachsen und wohnte ebenfalls im Hause der Mutter des X., bis er am 10. Juli 1975 wegen eines Unfalles in das Kantonsspital in Chur verbracht wurde. Y. bevollmächtigte X. schriftlich, ihn "während der Dauer seines Unfalles in allen Belangen zu vertreten". Mit dieser Vollmacht sprach X. bei der Arbeitgeberin des Y. vor und bezog dort von dessen Lohnguthaben am 18. August 1975 Fr. 930.15 und am 27. August 1975 weitere Fr. 1'826.95. Das Geld verwendete X. teils zur Zahlung wirklicher, bzw. angeblicher eigener Schulden, teils verwendete er es für persönliche Bedürfnisse. Fr. 415.-- konnten anlässlich seiner Verhaftung sichergestellt werden.
3
Y. hat gegen X. rechtzeitig Strafantrag wegen Veruntreuung gestellt, diesen aber später wieder zurückgezogen.
4
C.- Mit Urteil vom 20. November 1975 sprach der Kreisgerichtsausschuss Chur X. der fortgesetzten Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 und des Betruges gemäss Art. 148 Abs. 1 StGB schuldig und verurteilte ihn als Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom BGE 102 IV, 162 (163)2. September 1975 zu sechs Monaten Gefängnis. Die erstandene Untersuchungshaft von 14 Tagen wurde auf die Strafe angerechnet.
5
Eine hiegegen eingereichte Berufung hat der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden mit Urteil vom 29. März 1976 abgewiesen.
6
D.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt Freisprechung von Schuld und Strafe, eventuell Einstellung des Verfahrens im Anklagepunkt der Veruntreuung.
7
E.- Die Staatsanwaltschaft Graubünden beantragt Abweisung der Beschwerde.
8
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
9
Hinsichtlich des Urteils der Vorinstanz macht der Beschwerdeführer geltend, er sei Familiengenosse des Geschädigten Y. Dieser habe aber den Strafantrag vor der erstinstanzlichen Verurteilung zurückgezogen, so dass die Verurteilung wegen Veruntreuung zu Unrecht erfolgt sei.
10
11
a) Familiengenossen sind Personen, die im gemeinsamen Haushalte leben (Art. 110 Ziff. 3 StGB). Grund der Privilegierung ist nach der Rechtsprechung der Hausfrieden (BGE 72 IV 6, BGE 86 IV 159). Das Gesetz will durch das Antragserfordernis den Hausfrieden unter Personen begünstigen, die durch gemeinsames Haushalten eine Hausgemeinschaft bilden, die derjenigen unter den Gliedern ein und derselben Familie nahe kommt. Dazu gehört, dass zwei oder mehr Personen gemeinsam essen und wohnen und unter einem gemeinsamen Dache schlafen (BGE 72 IV 6, BGE 86 IV 158 ff.).
12
b) Der Beschwerdeführer behauptet, er habe seit Januar 1975 und jedenfalls im Zeitpunkt der Tat mit dem Geschädigten BGE 102 IV, 162 (164)Y. im Hause seiner Mutter gelebt und sei in dieser Zeit Familiengenosse des Y. gewesen. Der Kreisgerichtsausschuss hat diese Behauptung jedoch mit der Begründung verneint, der Beschwerdeführer habe bis Ende August 1975 seine Schriften in Zürich eingelegt gehabt und er sei bis zu diesem Zeitpunkt nur unregelmässig nach P. gekommen.
13
Der Ort, wo eine Person ihre Schriften hinterlegt, kann lediglich ein Indiz dafür sein, dass sie auch an diesem Ort ihren Wohnsitz im Sinne von Art. 23 ZGB hat. Es schliesst dies nicht aus, dass sie in Wirklichkeit an einem anderen Ort wohnt. Mit Recht hat daher die Vorinstanz dem Umstand, dass der Beschwerdeführer die Schriften in Zürich eingelegt hat, hinsichtlich des Wohnsitzes keine entscheidende Bedeutung beigemessen.
14
Die Vorinstanz bemerkt sodann, es möge durchaus der Fall sein, dass der Beschwerdeführer seit Januar 1975 im Hause seiner Mutter gewohnt habe. Damit ist die gegenteilige Annahme der ersten Instanz aufgehoben und die Frage offen gelassen, wo der Beschwerdeführer zur Zeit der Tat seinen Wohnsitz gehabt hat.
15
c) Die Vorinstanz hat den betreffenden Punkt deshalb nicht abgeklärt, weil sie fand, Y. habe sich seit dem 10. Juli 1975 im Kantonsspital befunden. Damit sei eine allfällige Hausgemeinschaft mit dem Beschwerdeführer bereits anderthalb Monate vor der Tat aufgehoben worden. Es stellt sich somit die Frage, ob ein krankheitsbedingter Spitalaufenthalt die Familiengemeinschaft im Sinne von Art. 110 Ziff. 3 StGB aufhebt.
16
Die Beantwortung der Frage hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Ein Spitalaufenthalt kann Anlass dafür sein, dass der Erkrankte die frühere Hausgemeinschaft aufhebt und den Willen bekundet, nicht mehr an den früheren Ort zurückzukehren. Dass dem im vorliegenden Fall so war, geht weder aus dem angefochtenen Urteil noch aus den Akten hervor. Sollte Y. im Gegenteil seine Effekten im Hause der Mutter des Beschwerdeführers gelassen und die Absicht gehabt haben, nach einer in absehbarer Zeit zu erwartenden Spitalentlassung wieder in die dortige Hausgemeinschaft zurückzukehren und wurde auch von den anderen im selben Haushalt lebenden Personen die Hausgemeinschaft nicht aufgehoben, so handelt es sich nur um eine vorübergehende Unterbrechung gemeinsamen BGE 102 IV, 162 (165)Wohnens, welche das Band der Familiengenossenschaft zwar während einer bestimmten Zeit lockert, ohne es aber aufzuheben. Das ist anzunehmen, wenn Möbel oder Effekten des kranken Hausgenossen in der Wohnung bleiben mit der Absicht, die Hausgemeinschaft nach der krankheitsbedingten Abwesenheit wenigstens vorübergehend fortzusetzen. In solchen Fällen erscheint es nicht angezeigt, dass eine Strafverfolgung von Amtes wegen eine Hausgemeinschaft gegen den Willen des Verletzten störe und einer allenfalls vom Verletzten gewünschten Fortsetzung der Hausgemeinschaft entgegenwirke. Es verhält sich hier nicht wesentlich anders als mit Militärdienst, Ferien, Geschäftsreisen, beruflichen Kursen, welche das unmittelbare Zusammenleben zwar vorübergehend unterbrechen, ohne aber die Gemeinschaft als solche aufzulösen.
17
d) Die Vorinstanz wird daher prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer und Y. während dessen Spitalaufenthalt Familiengenossen im Sinne der angestellten Erwägungen geblieben sind. Sollte dies zutreffen, wäre die Verurteilung wegen Veruntreuung mangels Strafantrages aufzuheben und die Strafe neu zuzumessen.
18
Demnach erkennt das Bundesgericht:
19
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
20
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).