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Informationen zum Dokument  BGE 103 IV 261  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Art. 10 Abs. 3 VRV verpflichtet die Führer schwerer Motor ...
2. Die Fahrbahn ist auf dem betreffenden Abschnitt rechts durch e ...
3. Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 39 Abs. 3 VRV,  ...
5. Der Beschwerdeführer wendet ein, er hätte kurz nach  ...
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72. Urteil des Kassationshofes vom 8. November 1977 i.S. S. gegen Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Graubünden
 
 
Regeste
 
1. Art. 10 Abs. 3 VRV. Pflicht langsam fahrender Motorfahrzeuge, ausserorts den schnelleren Motorfahrzeugen das Überholen angemessen zu erleichtern, indem sie nötigenfalls auf Ausweichplätzen halten. Fall eines mit 25 km/h die Autostrasse des San Bernardino befahrenden Kleinwagens.  
 
Sachverhalt
 
BGE 103 IV, 261 (261)S. fuhr am 10. April 1977, dem Ostersonntag, bei dichtem Verkehr kurz vor Mittag mit seinem Personenwagen Citroën 2 CV auf der Autostrasse des San Bernardino mit 25 km/h durch Tunnel und Galerien, ohne die vorhandenen Ausstellnischen zu benutzen, sodass sich hinter ihm eine lange Autokolonne bildete.
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BGE 103 IV, 261 (262)Die Motorfahrzeugkontrolle Graubünden auferlegte ihm wegen Übertretung von Art. 10 Abs. 3 VRV eine Busse von Fr. 50.--.
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Den dagegen eingereichten Rekurs wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 16. September 1977 ab.
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Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt S. Rückweisung der Sache an das Verwaltungsgericht zu neuer Beurteilung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Der Beschwerdeführer bestreitet mit Recht nicht, dass diese Bestimmung auf ihn anwendbar war, als er am 10. April 1977 zum San Bernardino fuhr. Seine Geschwindigkeit von 25 km/h wurde entgegen seinen Schutzbehauptungen von der Vorinstanz verbindlich festgestellt (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Auf der sehr stark befahrenen Autostrasse des San Bernardino, heute einer der meist benutzten Nord-Süd-Übergänge, die nach Streckenführung und Ausbau häufig mit gegen 100 km/h befahren wird, bilden Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von nur 25 km/h ausgesprochene Verkehrshindernisse, die zu Kolonnenbildung und oftmals gefährlichen Überholmanövern führen. Da auf solchen Autostrassen nur Fahrzeuge zugelassen sind, die mindestens 60 km/h fahren können, sind längere Fahrten mit nur 25 km/h verkehrswidrig; jedenfalls müssen aber alle Gelegenheiten benutzt werden, um schnellere Fahrzeuge vorbeizulassen. Diese Verpflichtung würde im übrigen auch auf gewöhnlichen Strassen, ausserhalb von Autobahnen und -strassen, gelten.
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BGE 103 IV, 261 (263)3. Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 39 Abs. 3 VRV, wonach in Tunneln nur in Notfällen angehalten werden darf. Hier fehle eine Notstandssituation.
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a) Die Bestimmung spricht von Notfällen, nicht von Notstand. Sie vermeidet damit den Verweis auf das Notstandsrecht des Strafgesetzbuches und der Praxis. Ob ein Notfall vorliegt, entscheidet sich nach verkehrsrechtlichen Überlegungen.
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Mit der Einschränkung auf Notfälle wollte der Gesetzgeber ausschliessen, dass aus blosser Bequemlichkeit oder ohne wirklich triftige Gründe angehalten wird. Die besonderen Gefahren der Strassentunnels verlangen, dass die Fahrbahn frei von Hindernissen bleibt und die Durchfahrt gleichmässig möglich ist.
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Wie dringend der Grund zum Anhalten sein muss, um als Notfall im Sinne von Art. 39 VRV zu erscheinen, hängt von der Gesamtheit der Umstände ab. Zu diesen Umständen gehört auch die Anlage der Strasse selbst. Wie die Vorinstanz richtig feststellt, ist grosse Zurückhaltung am Platz, wo es um das Anhalten auf der Fahrbahn geht, während das Ausstellen in besonders ausgebauten und durch Linien von der eigentlichen Fahrbahn getrennten Nischen auch bei weniger dringlicher Veranlassung erlaubt und geboten sein kann. Es ist deshalb im konkreten Fall abzuwägen, ob die Verkehrssicherheit, auf die es in erster Linie ankommt, besser gewährleistet erscheint, wenn das Fahrzeug ausgestellt wird, oder ob die dadurch neu geschaffenen Gefahren überwiegen.
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b) Die Vorinstanz hat diese Güterabwägung zutreffend vorgenommen, jedenfalls aber das ihr auch insoweit zukommende Ermessen nicht überschritten und daher kein Bundesrecht verletzt.
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Der Beschwerdeführer konnte bei der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit von 25 km/h seinen Wagen in die Nische führen, ohne den nachfolgenden Verkehr durch Abbremsen oder auf andere Weise zu gefährden. Der Verkehrsfluss verbesserte sich, sobald das langsame Fahrzeug ausserhalb der Fahrbahn in der Nische stand. Es bildete dort keinerlei Hindernis.
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Gemäss Art. 39 letzter Satz VRV war beim Ausstellen im Tunnel der Motor abzustellen. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers bedeutet das Wiederanlassen des Motors BGE 103 IV, 261 (264)bei einem ordnungsgemäss unterhalten Personenwagen keine Belastung, geschweige denn eine Gefahr. Das vor der Wegfahrt in der Nische erforderliche Anlassen des Motors oder sogar ein kurzer Halt mit laufendem Motor vor dem Wiedereingliedern in den Verkehr erzeugt zwar eine zusätzliche Luftverunreinigung durch Abgase, die aber viel geringer ist, als wenn hinter einem langsamen Fahrzeug sich eine Kolonne sammelt und alle Motorfahrzeuge in einem kleineren Getriebegang durch den ganzen Tunnel fahren.
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Richtig ist dagegen, dass das Wiedereingliedern in den Verkehr mit dem langsam anfahrenden Wagen neue Probleme schafft. Versuchte der Beschwerdeführer, in eine kleine Kolonnenlücke zu gelangen, so konnten die Nachfolgenden zu plötzlicher Herabsetzung der Geschwindigkeit gezwungen werden, und es entstand die Gefahr von Auffahrkollisionen. Daraus folgt nicht, wie der Beschwerdeführer meint, dass er seine unverhältnismässig langsame Fahrt einfach fortsetzen durfte. Vermochte er über eine nicht ganz unbedeutende Distanz die Geschwindigkeit des übrigen Verkehrs nicht annähernd mitzuhalten, sodass sich hinter seinem Fahrzeug eine Kolonne bildete, so musste er den Wagen ausstellen und solange warten, bis ihm eine genügend grosse Lücke das Wiedereingliedern ohne Verkehrsgefährdung erlaubte. Nötigenfalls hatte er etwas später einer sich erneut anstauenden Kolonne wiederum die Vorbeifahrt zu ermöglichen.
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Der Einwand ist neu und daher nicht zu hören (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Von einer solchen Absicht hat der Beschwerdeführer weder dem ihn anhaltenden Polizisten etwas gesagt noch zu seiner Rechtfertigung in einer Eingabe an die Vorinstanz geschrieben. Die Vorinstanz hatte daher auch keinen Anlass zu prüfen, ob eine genügende Ausweichmöglichkeit bald nach Tunnelende bestand und ob der Verkehrssicherheit besser mit der Langsamfahrt bis zu dieser Stelle oder mit dem Ausstellen in einer Tunnelnische gedient war.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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