BGE 104 IV 18 | |||
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6. Urteil des Kassationshofes vom 31. Januar 1978 i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich | |
Regeste |
Art. 238 Abs. 2, 18 Abs. 3 StGB, Störung des Eisenbahnverkehrs. |
2. Auslegung und Anwendung eines allgemeinen Erfahrungsgrundsatzes (E. 3). | |
Sachverhalt | |
A.- Am 14. Oktober 1975 leistete M. als Stellwerkbeamter im Rangierbahnhof Zürich HB, Posten 60, Dienst. Um ca. 08.55 Uhr liess er den ihm angekündigten Zug 6521, bestehend aus 13 Güterwagen, von Gleis F1 nach Gleis M3 durchfahren. In der Folge wollte er eine einzelne Lokomotive aus dem Gleis F2 heimfahren lassen. Im Zeitpunkt der Durchfahrt des Zuges 6521 waren die numerierten Schalthebel der Weichen Nr. 237 und 236 b, welche sich nebeneinander befinden, nach oben gerichtet, während die Hebel der nächsten Weichen Nr. 236 a und 235 b nach unten gerichtet waren. Zur Ermöglichung der Durchfahrt der ca. 30 Meter von ihm entfernt wartenden Lokomotive wollte M. nur die Weiche 237 umlegen. Durch ein auf Unachtsamkeit zurückzuführendes Versehen ergriff er nicht den aus seiner Sicht links aussen stehenden Hebel der Weiche 237, sondern den daneben befindlichen ebenfalls nach oben gerichteten Hebel der Weiche Nr. 236 b. Er zog diesen nach unten und legte damit die Weiche 236 b um. In diesem Zeitpunkt befand sich gerade der zweitletzte Wagen des Zuges Nr. 6521 auf der Weiche Nr. 236 b, was zur Folge hatte, dass zunächst eine Achse des zweitletzten Wagens und sodann der hinterste Wagen mit beiden Achsen entgleisten. Der letzte Wagen stürzte um. An Anlage (Weichen, Rangiersignal, Schwellen, Schienen) und Rollmaterial entstand ein Sachschaden von ca. Fr. 60 000.-.
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B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich sprach M. von Schuld und Strafe frei.
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Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich fand ihn dagegen mit Urteil vom 9. September 1977 der fahrlässigen Störung des Eisenbahnverkehrs im Sinne des Art. 238 Abs. 2 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 150.-.
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C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt der Verteidiger die Aufhebung des Urteils des Obergerichts und die Rückweisung der Sache zur Freisprechung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Der Beschwerdeführer war dienstlich verpflichtet, die Weichen richtig zu stellen. Es war dies eine für die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs wichtige Aufgabe, die mit entsprechender Sorgfalt auszuführen war. Die Vorinstanz stellt fest, dass keinerlei Umstände vorlagen, die den Beschwerdeführer beim Stellen der fraglichen Weichen in seiner Leistungsfähigkeit als überfordert erscheinen liessen. Die Betätigung des falschen Schalthebels sei weder auf ungenügende Ausbildung, zu geringe Erfahrung oder mangelnde Vertrautheit mit den zu bedienenden Geräten zurückzuführen, noch habe eine momentane Ausnahmesituation am Arbeitsplatz oder ein Grund zu besonderer Eile bestanden. Die versehentliche Bedienung der falschen Weichen beruhe auch vom Arbeitslauf her nicht nur auf einer ganz geringfügigen Unsorgfalt, denn die Weichen hätten nicht einfach mit einem Fingerdruck auf Knöpfe eines Schaltpultes gestellt werden können, sondern es hätten grosse Schalthebel umgelegt werden müssen, wozu etwelche Körperkraft nötig gewesen sei. Ausserdem habe sich der nach unten zu legende Hebel für die Weiche 237 ganz links aussen am Bedienungsblock befunden, weshalb der routinierte Beschwerdeführer selbst ohne Blick auf die gut sichtbare Weichenbezeichnung am Schalthebel die richtige Weiche hätte stellen können.
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Geht man von diesen Tatsachen aus, hat die Vorinstanz das Gesetz, insbesondere den Begriff der Fahrlässigkeit, richtig angewendet. Namentlich ist die Feststellung entscheidend, dass die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers im massgeblichen Zeitpunkt nicht überfordert war, was sinngemäss nichts anderes heissen kann, als dass der Beschwerdeführer bei pflichtgemässer Vorsicht die Weichen hätte richtig stellen und die Eisenbahngefährdung vermeiden können. Damit steht auch fest, dass der Beschwerdeführer physisch oder psychisch nicht so übermüdet war, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, bei Anwendung der ihm zumutbaren Anstrengung den richtigen Weichenhebel zu betätigen.
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3. Die Verteidigung wendet vor allem ein, dass es auch einem sorgfältigen Menschen nicht möglich sei, jahrelang 12 Weichenhebel fehlerfrei umzulegen und zwei Signale richtig zu bedienen. Selbst bei einwandfrei funktionierenden Maschinen könne über einen grossen Zeitraum hinweg eine gewisse Fehlerquelle statistisch nachgewiesen werden. Umso weniger könnten Fehler beim Menschen ausgeschlossen werden, der mannigfaltigen äusseren Einflüssen ausgesetzt sei. Besonders gross sei die Möglichkeit einer Fehlleistung, wo dieselben Arbeitsläufe mehrere hundert Male im Tag wiederholt und praktisch automatisch ausgeführt würden, wie es hier der Fall sei. Es liege in der Unvollkommenheit der menschlichen Natur begründet, dass trotz dauerndem Bemühen um höchste Konzentration nicht fehlerlos gearbeitet werden könne. Eine Fehlleistung, die früher oder später unvermeidlich sei, genüge daher nicht zum Nachweis einer schuldhaften Unvorsichtigkeit.
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Damit beruft sich der Beschwerdeführer auf einen allgemeinen Erfahrungsgrundsatz, dessen Auslegung und Anwendung vom Bundesgericht überprüft werden kann (z.B. BGE 103 IV 113, BGE 99 IV 74, BGE 99 II 84 E. 4 e, 329 E. 2 a). Im vorliegenden Fall kann aber die Unachtsamkeit des Beschwerdeführers nicht ohne weiteres mit diesem Erfahrungssatz gerechtfertigt werden. Auch die Vorinstanz stellt nicht in Abrede, dass eine häufige Wiederholung gleicher Handgriffe zu einer automatischen Ausführung und dadurch zu Fehlleistungen führen kann. Daraus folgt aber nicht zwingend, dass jede Fehlleistung, zu der es bei einem derartigen Arbeitsablauf kommt, auf ein menschlich unverschuldetes Versagen zurückzuführen sei. Das hängt vielmehr von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. In dieser Hinsicht stellt die Vorinstanz u.a. fest, dass der zu bedienende Schalthebel nach seiner Lage oder Stellung selbst ohne visuelle Nachkontrolle leicht zu finden war und dass er nur mit einem gewissen Kraftaufwand, also mit einer die Wachsamkeit des Dienstpflichtigen fördernden Anstrengung umgelegt werden konnte. Das sind tatsächliche Feststellungen. Wenn die Vorinstanz daraus schloss, das Versehen des Beschwerdeführers beruhe auf einem Versagen, das er bei pflichtgemässer Sorgfalt hätte vermeiden können, so hat sie aus den obwaltenden Umständen keinen Schluss gezogen, der mit dem angeführten Erfahrungssatz nicht vereinbar wäre. Damit hat sie das ihr bei der Anwendung von Erfahrungssätzen auf konkrete Verhältnisse zustehende Ermessen nicht überschritten und Bundesrecht nicht verletzt.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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