![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
23. Urteil des Kassationshofes vom 9. Juni 1978 i.S. C. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden | |
Regeste |
Art. 96, 137, 151 StGB. Missbrauch eines Warenautomaten, Vollzug einer bedingt aufgeschobenen Jugendstrafe. |
2. Über den Widerruf des bedingten Aufschubes einer Jugendstrafe ist gemäss Art. 96 Ziff. 3 StGB zu entscheiden, auch wenn der Verurteilte für die neue Tat dem Recht für junge Erwachsene untersteht (E. 2). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
![]() | 2 |
C.- C. führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt die Aufhebung des Urteils des Kantonsgerichtsausschusses.
| 3 |
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
| 4 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
5 | |
a) Wegnehmen ist Bruch fremden Gewahrsams und Begründung neuen, in der Regel eigenen Gewahrsams. Als Gewahrsam gilt die tatsächliche Sachherrschaft mit dem Willen, sie auszuüben (BGE 97 IV 196 E. 3a). Zur Wegnahme gehört somit in erster Linie, dass das bestehende Herrschaftsverhältnis gegen oder doch ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers aufgehoben, die Sache also seiner Einwirkungsmöglichkeit entzogen wird (STRATENWERTH, I, S. 183). Mit welchen Mitteln und auf welche Art der Täter die Aufhebung der fremden Sachherrschaft herbeiführt, ist nicht von Bedeutung. Der Begriff der Wegnahme setzt weder Gewalt voraus, noch schliesst er die Anwendung von List aus (vgl. HAFTER, II/1, S. 245, THORMANN/OVERBECK, N. 10 zu Art. 137 StGB).
| 6 |
b) Wie in BGE 97 IV 198 entschieden wurde, hört bei Warenautomaten, die Sachleistungen vermitteln, die tatsächliche Herrschaft und damit der Gewahrsam des Automateninhabers am Inhalt des Geräts auf, sobald die Ware durch den Mechanismus des Apparates ausgestossen wird. Es kommt daher entscheidend darauf an, ob der Automateninhaber mit dem Übergang des Gewahrsams an den Benützer des Apparates ![]() | 7 |
Im vorliegenden Fall gelang es dem Beschwerdeführer, mit Hilfe des Zündfunkens eines Gasanzünders die Computersteuerung von Spielautomaten in der Weise zu beeinflussen, dass sie Geldbeträge in einer Höhe ausstiessen, die bei Anwendung der vorgeschriebenen Spielregeln nicht hätten gewonnen werden können. Er hat damit die tatsächliche Herrschaft an diesen durch regelwidrigen Eingriff in den Automatenmechanismus ausgeworfenen Gewinnen gegen den Willen des Geräteinhabers erlangt, somit fremden Gewahrsam gebrochen und das angeeignete Geld im Sinne des Art. 137 StGB weggenommen. Daraus folgt, dass die bei einzelnen Automaten eingetretene Beschädigung der Computersteuerung, auf die sich die Vorinstanz zur Begründung des Diebstahls beruft, für die Wegnahme bedeutungslos ist und dass es deshalb entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch keine Rolle spielt, welcher Art die Schäden waren und ob zwischen diesen und dem Geldauswurf überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang bestand. Vielmehr genügt die ![]() | 8 |
c) Erfüllt der Missbrauch von Warenautomaten, deren typische Leistung in der Abgabe von Sachen besteht, den Tatbestand des Diebstahls, so ist ausschliesslich Art. 137 StGB anzuwenden, der als Sondernorm der weiter gefassten Bestimmung des Art. 151 StGB vorgeht (ebenso STRATENWERTH, I, S. 239; SCHULTZ, ZbJV 1972, S. 354 ff.; MEYER, Das Erschleichen einer Leistung nach dem StGB, Berner Diss. 1973, S. 60 ff.; BGE 97 IV 196 E. 2). Folgerichtig fällt denn auch die Wegnahme einer Sache von geringem Wert unter den Tatbestand der Entwendung, nicht unter den der Erschleichung einer Leistung.
| 9 |
Das planmässige Vorgehen des Beschwerdeführers und die fortgesetzte Begehung sowie die Höhe der unrechtmässig erzielten Gewinne schliessen die Annahme einer blossen Entwendung aus (vgl. BGE 103 IV 86). Der Beschwerdeführer ist demnach zu Recht wegen Diebstahls verurteilt worden.
| 10 |
11 | |
a) Nach Art. 41 Ziff. 3 Abs. 3 StGB ist der Richter, der die während einer Probezeit begangenen Verbrechen oder Vergehen zu beurteilen hat, auch für die Anordnung des Vollzuges der bedingt aufgeschobenen Strafe zuständig. Das gilt auch für bedingt aufgeschobene Jugendstrafen (BGE 98 IV 166). Die Vorschrift des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 3 StGB hat indessen keine weiterreichende Bedeutung als die einer einfachen Zuständigkeitsregel (BGE 99 IV 192); sie besagt also nicht, nach welcher Bestimmung über den Widerruf zu befinden ist. Steht eine Jugendstrafe in Frage, so ist Art. 96 StGB massgebend. Diese Bestimmung regelt die Gewährung des bedingten ![]() | 12 |
b) Gemäss Art. 96 Ziff. 3 Abs. 1 StGB bildet die Begehung eines Verbrechens oder Vergehens während der Probezeit im Unterschied zu Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB nicht schon an sich einen Grund zum Widerruf einer bedingt aufgeschobenen Strafe. Vielmehr ist der Vollzug einer Jugendstrafe nur anzuordnen, wenn der Verurteilte durch die Begehung neuer Delikte das auf ihn gesetzte Vertrauen getäuscht hat. Ob dies zutreffe, ist im Jugendstrafrecht nach weniger strengen Massstäben als nach Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB zu entscheiden. Art. 96 StGB räumt der urteilenden Behörde allgemein einen weiteren Ermessensspielraum ein als Art. 41 StGB (unveröffentlichter Entscheid des Kassationshofes vom 12. Dezember 1975 i.S. Galliker; SCHWANDER, S. 300, Nr. 502 a; BOEHLEN, a.a.O. S. 232). Das weiter gespannte Ermessen wirkt sich somit auch im Rahmen des Art. 96 Ziff. 3 Abs. 2 StGB beim Entscheid darüber aus, ob die neue Straftat als leichter Fall zu bewerten ist und ob anstelle des Strafvollzuges eine Ersatzmassnahme angeordnet werden kann. Die Gewährung des bedingten Vollzuges für die neu ausgesprochene Freiheitsstrafe hat jedoch nicht die Bedeutung, die ihr der Beschwerdeführer beimisst; sie zieht nicht notwendig den Verzicht auf die Anordnung des Vollzuges der aufgeschobenen Jugendstrafe nach sich (vgl. BGE 99 IV 69).
| 13 |
c) Der angefochtene Entscheid, der sich zu Unrecht auf Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB stützt, ist demzufolge aufzuheben und die Frage des Widerrufes der aufgeschobenen Jugendstrafe im Sinne der vorstehenden Erwägungen in Anwendung von Art. 96 Ziff. 3 StGB neu zu entscheiden.
| 14 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| 15 |
16 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |