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11. Urteil des Kassationshofes vom 16. Februar 1979 i.S. K. gegen Schweiz. Bundesanwaltschaft und Generalprokurator-Stellvertreter des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 237 StGB. |
2. Diese Bestimmung schützt den Passagier ohne Rücksicht auf seine Beziehung zum Fahrzeugführer und unabhängig davon, ob das Transportmittel ein öffentliches oder ein privates ist (E. 3). Bestätigung der Rechtsprechung. | |
Sachverhalt | |
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Nach dem Delegationsbeschluss der Bundesanwaltschaft und dem Einspruch gegen das Strafmandat des Richteramtes I Interlaken sprach der Gerichtspräsident I von Interlaken K. von der Anschuldigung der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Art. 237 Ziff. 2 StGB frei, überband ihm aber die Kosten.
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Auf Appellation der Bundesanwaltschaft und Anschlussappellation des K. zur Kostenfrage verurteilte die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern K. wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs zu einer in zwei Jahren bedingt löschbaren Busse von Fr. 300.- und zu Kosten.
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K. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Der Generalprokurator-Stellvertreter des Kantons Bern verzichtet auf Gegenbemerkungen; die Bundesanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Das Gesetz enthält keine Definition des "öffentlichen Verkehrs". Es zählt lediglich einige Beispiele ("namentlich") auf, so den Verkehr auf der Strasse, zu Wasser und in der Luft. Dabei stand stets ausser Zweifel, dass der öffentliche Verkehr im Sinne von Art. 237 StGB nicht nur den Verkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Autobusse, Postkurswagen, Trolleybusse, Tramwagen, Kursschiffe, Linienflüge usw.) meint, sondern auch Fahrzeuge einschliesst, die von Privaten zu Privatzwecken benutzt werden, wenn sie sich an Orten bewegen, die dem allgemeinen Verkehr offen stehen (für den Strassenverkehr vgl. Art. 1 SVG und Art. 1 VRV). Insbesondere ist nicht erforderlich, dass sich dort auch ein Verkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln abwickelt (KARL DANNEGGER, ZBJV 108/1972, S. 436). Auf dem Erdboden kann der Tatbestand von Art. 237 StGB nicht nur auf der Strasse, sondern auch etwa auf Strassenverzweigungen und auf Plätzen erfüllt werden (BGE 101 IV 175), sowie auf einem Ausstellungsareal oder einem Festplatz (HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, BT, S. 524). Daraus, dass Art. 237 StGB nicht vom Verkehr "zu Lande" schlechthin spricht, sondern lediglich vom Verkehr "auf der Strasse", darf daher nicht der Schluss gezogen werden, Art. 237 StGB gelte nur für den Verkehr, der sich auf den üblichen Verkehrswegen abspielt, so etwa auf den üblichen Flugrouten bzw. den von den Linienflugzeugen benutzten Flugschneisen (vgl. indessen SCHULTZ, ZBJV 113/1977, S. 542); gerade in der Abweichung von der Schneise kann die rechtswidrige Gefährdung liegen. Vielmehr ist, vorbehältlich klar umschriebener Ausnahmen, der ganze Luftraum dem öffentlichen Verkehr zugänglich ![]() | 9 |
b) Der Beschwerdeführer ist indessen der Meinung, der Luftraum sei nicht überall dort öffentlich, wo er einem unbestimmten Benützerkreis zugänglich sei, sondern nur in jenen Abschnitten, die zur Benützung durch ein bestimmtes Luftfahrzeug "geeignet" seien. Der von ihm benützte Abschnitt sei aber ungeeignet gewesen, was denn auch ein Grund für den Absturz gewesen sei.
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Der Einwand geht fehl. Wenn das Bundesgericht in BGE 101 IV 175, auf den der Beschwerdeführer verweist, zur Bejahung der Öffentlichkeit das Kriterium als massgebend bezeichnet hat, dass die Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr "dient", so hat es damit - wie aus dem Gesamtzusammenhang klar hervorgeht - ausgedrückt, dass sie dem öffentlichen Verkehr zugänglich sein, ihm "zur Verfügung stehen", nicht aber, dass sie für den öffentlichen Verkehr geeignet sein müsse. Oft kann nicht zum vornherein gesagt werden, ob sich ein bestimmter Abschnitt des Luftraumes zur Benützung durch einen Helikopter eigne oder nicht; selbst übliche Flugrouten können sich unter Umständen (Wetter, Thermik, Defekt an der Maschine usw.) im konkreten Fall als "ungeeignet" erweisen. Auch an abgelegenen Stellen des allgemein zugänglichen Luftraums soll der Mensch vor Gefährdung durch ein Verkehrsmittel geschützt sein. Das Kriterium der "Eignung" ist zu unbestimmt und kann daher zur Abgrenzung des im Sinne von Art. 237 StGB strafbaren Verhaltens zum straflosen nicht herangezogen werden. Es ist demnach am Kriterium der allgemeinen Zugänglichkeit festzuhalten, wobei ein Raum auch dann einem unbestimmten Personenkreis offen steht, d.h. allgemein zugänglich ist, wenn die Benützung nach Art und Zweck eingeschränkt wurde (BGE 86 IV 31, BGE 92 IV 11 E. 1). Belanglos ist schliesslich, ob die Stelle, an welcher der Helikopter auf dem Erdboden aufschlug, dem öffentlichen Verkehr offen steht oder nicht; denn nicht erst auf dem Erdboden, sondern schon im Luftraum wurde in casu der Tatbestand von Art. 237 StGB erfüllt.
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Es besteht keine Veranlassung, im vorliegenden Fall von der neuen Rechtsprechung abzugehen.
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a) Der Beschwerdeführer räumt ein, die Passagiere eines Fahrzeugs seien vom Schutz durch Art. 237 StGB nicht schlechterdings ausgenommen, es könne also der Führer eines Verkehrsmittels nicht nur Menschen, die sich ausserhalb desselben befinden, im Sinne von Art. 237 StGB gefährden, spiele es doch im Hinblick auf deren Gesundheit von ihrer Sicht aus gesehen keine Rolle, ob sie durch den eigenen Fahrzeugführer oder durch eine Drittperson gefährdet werden. Der Beschwerdeführer ist aber der Auffassung, dass nur die Passagiere öffentlicher Verkehrsmittel durch Art. 237 StGB geschützt seien.
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Der Einwand geht fehl. Steht fest, dass der Passagier eines privaten Transportmittels gegen von aussen herrührende Gefährdung ![]() | 16 |
b) Ebensowenig kann es darauf ankommen, ob der Passagier zum Führer des - öffentlichen oder privaten - Verkehrsmittels in einer besonderen Beziehung stehe oder nicht, zumal die Umschreibung dieses Verhältnisses unlösbare Schwierigkeiten bereiten würde (Verwandtschaftsgrad, Freundschaft, Bekanntschaft; Schulbusse, Transport zum Arbeitsplatz; Unentgeltlichkeit, Kostenteilung, eigenes Interesse an der Fahrt usw.). Weder das SVG noch Art. 237 StGB enthalten ein solches Unterscheidungsmerkmal. Im Gegenteil lässt Art. 63 Abs. 3 lit. b SVG in der Fassung vom 20. März 1975 (BBl 1973 II 1173) es nicht mehr zu, dass der Halter eines Motorfahrzeuges ![]() | 17 |
c) Wenn der Kassationshof in BGE 100 IV 55 als Beispiele geschützter Mitfahrer die Passagiere eines Linienflugzeuges und die Benützer eines Passagierschiffes erwähnte, so hat er damit den geschützten Personenkreis entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht auf die Benützer öffentlicher Verkehrsmittel bzw. auf die Passagiere, die zum Fahrzeugführer in keiner besonderen Beziehung stehen, beschränken wollen; dies ergibt sich aus dem jenem Entscheid zugrundeliegenden Sachverhalt, aus der Regeste und aus der Bezugnahme auf BGE 76 IV 121, welcher dem Passagier im Verhältnis zum Fahrzeugführer den Schutz des Art. 237 StGB ebenso unterschiedslos versagt hatte, wie er ihm nach der neuen Rechtsprechung gewährt wird.
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d) Sind nach dem Gesagten die Passagiere des Täters mitgeschützt, so ist Art. 237 StGB entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers unabhängig von der Dichte des zur Tatzeit am Tatort herrschenden Verkehrs anwendbar. Die Gefährdung des Passagiers durch den Fahrzeugführer fällt unter Art. 237 StGB, ohne dass es darauf ankommt, ob und wieviele Fahrzeuge zufälligerweise in der Nähe zirkulieren.
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