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53. Urteil des Kassationshofes vom 26. Juni 1980 i.S. F. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 42 Ziff. 5 StGB. Aufhebung der Verwahrung vor Ablauf der normalen Mindestdauer. |
2. Materielle und formelle Voraussetzungen der vorzeitigen Aufhebung der Verwahrung. Dem Verwahrten zustehende Rechtsbehelfe. | |
Sachverhalt | |
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2. Die Justizdirektion des Kantons Appenzell A.Rh. verfügte am 27. November 1978 den Widerruf der F. am 3. Mai 1977 gewährten bedingten Entlassung und die Verbüssung des Strafrestes von 198 Tagen Gefängnis innerhalb des laufenden Massnahmevollzuges.
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3. Am 19. Juni 1979 wurde F. vom Bezirksgericht Wil wegen Nötigung zu einer anderen unzüchtigen Handlung, wegen wiederholter Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch, wiederholten Fahrens ohne Führerausweis, Nichtbeherrschens des Fahrzeuges und Missbrauchs eines Ausweises zu acht Wochen Gefängnis, abzüglich 29 Tagen Untersuchungshaft, verurteilt. Das Gericht ordnete an, dass die Strafe in der laufenden Verwahrung des Bezirksgerichtes Kulm aufgehe.
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B.- Am 6. November 1979 stellte F. bei der Justizabteilung des Kantons Aargau das Gesuch, die Verwahrung nach Art. 42 Ziff. 5 StGB auf Bewährung auszusetzen und ihm die Entlassung auf den 31. Januar 1980 zu bewilligen. Nach Einholung eines Berichtes bei der kantonalen Strafanstalt Lenzburg überwies die Justizabteilung das Gesuch an die Staatsanwaltschaft zur Antragstellung an das Bezirksgericht Kulm. Die Staatsanwaltschaft stellte bei diesem am 26. November 1979 den Antrag auf Abweisung des Gesuchs.
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Das Bezirksgericht Kulm beschloss am 8. Januar 1980, nachdem es eine Verhandlung mit Befragung des Gesuchstellers durchgeführt hatte, das Gesuch um vorzeitige Aufhebung der Verwahrung abzuweisen.
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Am 17. April 1980 wies das Obergericht des Kantons Aargau eine gegen diesen Entscheid eingereichte Berufung des F. ab, hob jedoch den angefochtenen Beschluss auf und berichtigte ihn dahin, dass auf das Gesuch des F. nicht eingetreten werde.
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C.- F. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei bezüglich der Ziffern 1 und 2 des ![]() | 7 |
Der Staatsanwalt des Kantons Aargau hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, das Gesetz verlange ausdrücklich einen Antrag der zuständigen Behörde und räume somit dem Verurteilten selber kein entsprechendes Antragsrecht ein. Hätte der Gesetzgeber ihm ein solches zubilligen wollen, so hätte er den Satzteil "auf Antrag der zuständigen Behörde" weggelassen. Aus den Materialien ergebe sich nichts anderes. Der Gesetzgeber habe die ausnahmsweise vorzeitige Aufhebung der Verwahrung sehr einschränkend interpretiert wissen wollen; er habe nur an Fälle gedacht, in denen ein Verwahrter infolge physischer oder psychischer Erkrankung deliktsunfähig werde. Wollte man dem Verwahrten ein Antragsrecht einräumen, würde das gegen den Wortlaut des Gesetzes und den Willen des Gesetzgebers verstossen. Das Bezirksgericht Kulm hätte deshalb richtigerweise auf das Gesuch des F. überhaupt nicht eintreten sollen.
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Der Beschwerdeführer erblickt in diesem Entscheid eine Verletzung von Art. 42 Ziff. 5 StGB und macht geltend, die Vorinstanz habe mit ihrer Weigerung, einen materiellen Entscheid über die Voraussetzungen der vorzeitigen Aufhebung der Verwahrung zu fällen, sich einer Rechtsverweigerung schuldig gemacht und indirekt gegen Art. 4 BV verstossen. Die Auslegung des Obergerichtes setze einen materiellen Vorentscheid der zuständigen Behörde voraus, weil der Richter seinen Entscheid nur dann zu treffen habe, falls die antragsberechtigte Behörde überhaupt einen bzw. einen befürwortend en Antrag stelle. Weigere sie sich, es zu tun, so liege darin ein materieller ![]() | 11 |
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3. In der Sache selbst ist davon auszugehen, dass es sich - wie schon aus dem Wortlaut des Gesetzes erhellt - bei Art. 42 Ziff. 5 StGB um eine Ausnahmebestimmung handelt, die den Fall einer ausserordentlichen Beendigung der Verwahrung regelt. Anders als bei der ordentlichen Beendigung dieser Massnahme gemäss Art. 42 Ziff. 4 StGB geht es hier darum, schon vor Ablauf der normalen Mindestdauer von drei Jahren die ![]() | 13 |
Den Entscheid darüber hat der Gesetzgeber wegen der Tragweite desselben dem Richter vorbehalten (Prot. ExpKo 1954-1959, A XI S. 75), ihn jedoch von einem "Antrag der zuständigen Behörde" abhängig gemacht. Dass es sich dabei nicht um eine blosse Vernehmlassung oder Meinungsäusserung handelt, die der Richter von sich aus bei jener Behörde einholen könnte und die somit nicht Vorbedingung für sein Eingreifen wäre, folgt aus den vom Gesetzgeber verwendeten Worten. Anders als etwa in Art. 43 Ziff. 5,44 Ziff. 5 und 45 Ziff. 1 Abs. 3 StGB, wo vom Anhören des Arztes, von der Äusserung der zuständigen Behörde, vom Einholen eines Berichtes der Anstaltsleitung die Rede ist, spricht Art. 42 Ziff. 5 gleich dem Art. 45 Ziff. 3 Abs. 1-3 StGB vom Antrag der zuständigen Behörde an den Richter und bringt damit zum Ausdruck, dass dieser mit der Sache nur befasst werden soll, wenn die "zuständige Behörde", die in der Regel die Vollzugsbehörde ist und die Verhältnisse des Verwahrten kennt, nach Prüfung der Angelegenheit zum Schluss gekommen ist, dass bedeutsame Anhaltspunkte für ein Dahinfallen der Deliktsfähigkeit des Verwahrten bestehen. Diese einschränkende Auslegung entspricht auch dem Ausnahmecharakter des Art. 42 Ziff. 5 StGB und verhindert, dass die Gerichte schon vor Ablauf der gesetzlichen Mindestdauer mit Entlassungsgesuchen belastet werden.
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4. Wie die Vorinstanz zutreffend angenommen hat, steht ein entsprechendes Antragsrecht dem Verwahrten selber nicht zu. Dies schliesst indessen nicht aus, dass der Verwahrte die ![]() | 15 |
5. Im vorliegenden Fall hat das Obergericht die Prüfung der Frage, ob ausserordentliche Umstände für eine Aufhebung der Verwahrung nach Art. 42 Ziff. 5 StGB bestünden, abgelehnt, weil die zuständige Behörde keinen diesbezüglichen Antrag gestellt und dem Beschwerdeführer ein entsprechendes Antragsrecht nicht zugestanden habe. Letzteres trifft nach dem Gesagten zu. Auch entspricht es den Tatsachen, dass die nach kantonalem Recht zuständige Behörde keinen positiven Antrag auf Aufhebung der Verwahrung gestellt hat. Sie ist anderseits aber nicht untätig geblieben, sondern hat das Gesuch des F. dem Bezirksgericht Kulm überwiesen mit dem Antrag, es abzuweisen. Das entsprach bei der oben gegebenen Auslegung des Art. 42 Ziff. 5 StGB jedoch nicht der gesetzlichen Ordnung. Nach dieser soll der Richter nur tätig werden, wenn die zuständige Behörde einen Antrag auf Aufhebung der Massnahme für angebracht erachtet und auch stellt, nachdem ihre Prüfung sachliche Anhaltspunkte für ein Dahinfallen der Deliktsfähigkeit des Verwahrten ergeben hat. Wenn hingegen die zuständige Behörde die Voraussetzungen einer vorzeitigen Aufhebung der Verwahrung als nicht erfüllt erachtet, hat sie von einer Antragstellung an den Richter abzusehen; sie muss aber dem Verwahrten ihren negativen Entscheid mitteilen, damit ihn der Betroffene allenfalls je nach der Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens auf dem Verwaltungsweg oder dem Verwaltungsrechtsweg und schliesslich mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht anfechten kann. Da im vorliegenden Fall die Behörde unrichtigerweise einen negativen Antrag gestellt hat, ![]() | 16 |
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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