BGE 106 IV 314 | |||
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79. Urteil des Kassationshofes vom 6. November 1980 i.S. Z. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
1. Art. 6 des Bundesratsbeschlusses über besondere Massnahmen zur Bekämpfung der Tollwut (SR 916.421.91). |
2. Art. 44.2 Ziff. 4 der Tierseuchenverordnung (SR 916.401). |
Wann ist der Abschuss eines im Tollwutsperrgebiet streunenden Hundes im Lichte dieser Bestimmung rechtmässig (E. 2)? |
3. Art. 20 StGB. Rechtsirrtum (E. 3). | |
Sachverhalt | |
A.- Z. ist Pächter des Jagdreviers R. und Obmann der dortigen Jagdgesellschaft. Am Samstag, den 17. März 1979, schoss er im Jadgrevier R. drei Hunde ab. Die drei Tiere, ein Sennenhund, ein Schäfer und ein Bernhardiner, hatten sich - der Sennenhund etwas abseits von den beiden andern - in nicht genau bestimmter Entfernung von den Bauernhöfen ihrer Eigentümer in einer Wiese getummelt. Z. wies die Kadaver der drei Hunde gleichentags dem Polizeiposten Hochdorf vor und stellte Strafanzeige gegen die unbekannten Hundehalter wegen Jagenlassens von Hunden während der geschlossenen Jagdzeit. Die Eigentümer, die in der Folge ermittelt werden konnten, stellten gegen Z. Strafantrag wegen Sachbeschädigung.
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B.- Das Amtsgericht Hochdorf sprach Z. am 30. April 1980 in Bestätigung der Verfügungen des Amtsstatthalters von Hochdorf vom 16. August 1979/25. Januar 1980 der wiederholten Sachbeschädigung (Art. 145 Abs. 1 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 200.--, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr. Eine von Z. gegen dieses Urteil eingereichte kantonale Kassationsbeschwerde wies die II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern am 27. Juni 1980 ab.
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C.- Z. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das Obergericht zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Diese Einwände gehen offensichtlich fehl. Der Kassationshof hat in BGE 102 IV 138 ff. (insbesondere S. 140) unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien, die Literatur und einen älteren Bundesgerichtsentscheid erkannt, dass unter Jagen (durch einen Hund) jede Verfolgung von Jagdwild durch irgendeinen Hund zu verstehen ist. Einerseits ist der Begriff also weder auf bestimmte Hunderassen noch auf abgerichtete oder von Jägern begleitete Hunde beschränkt, anderseits ist aber in jedem Fall irgendwelche Art von Jagdwildverfolgung vorausgesetzt. Dieses Erfordernis ist im vorliegenden Fall nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts nicht erfüllt. Keiner der drei Hunde hatte ein Jagdwild verfolgt oder einer Fährte nachgespürt; es war überhaupt kein Wild sichtbar. Dass die Hunde beim allfälligen Auftauchen eines Wildes vom Jagdtrieb erfüllt oder aus Spiellust dieses möglicherweise verfolgt hätten, reicht entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung offensichtlich nicht aus, um sie als jagend im Sinne des Gesetzes anzusehen; ein Hund jagt nicht schon dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass er unter gewissen Voraussetzungen jagen könnte. Dass nicht jeder in einem Jagdgebiet umherstreunende Hund als jagend qualifiziert werden kann, geht übrigens aus dem Gesetz selber hervor. In Art. 6 des Bundesratsbeschlusses über besondere Massnahmen zur Bekämpfung der Tollwut vom 28. Februar 1968 in der Fassung vom 24. September 1973, der die Kantonsregierungen zur Regelung der Abschussberechtigung ermächtigt, ist einerseits von "streunenden", anderseits von widerrechtlich "jagenden" Hunden die Rede; da somit gemäss Art. 6 des Bundesratsbeschlusses die Kantone Abschussrecht und Abschusspflicht hinsichtlich streunenden Hunden anders als hinsichtlich widerrechtlich jagenden Hunden regeln können, kann von der in der Nichtigkeitsbeschwerde behaupteten rechtlichen Identität der Begriffe "Streunen" und "Jagen" nicht die Rede sein.
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Nach Art. 44.2 Ziff. 4 der Tierseuchenverordnung vom 15. Dezember 1967 (TSV; SR 916.401) in der Fassung vom 15. März 1978 haben die Polizeiorgane und die von den Kantonen hiefür bezeichneten Personen in Tollwutsperrgebieten streunende Hunde, die nicht eingefangen werden können, abzuschiessen. Es ist unbestritten, dass Z. zu dem nach der kantonalen Gesetzgebung zum Abschuss zuständigen Personenkreis gehört. Streitig ist hingegen, wann streunende Hunde im Sinne von Art. 44.2 Ziff. 4 TSV "nicht eingefangen werden können" und ihr Abschuss somit rechtmässig ist. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, Bedeutung und Tragweite dieser Voraussetzung verkannt und daher mit seiner Verurteilung wegen Sachbeschädigung Bundesrecht verletzt zu haben. Die Rüge ist unbegründet.
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a) Aus Art. 44.2 Ziff. 4 TSV geht hervor, dass in Tollwutsperrgebieten streunende Hunde nicht ohne weiteres getötet werden dürfen; nur jene streunenden Hunde sind abzuschiessen, "die nicht eingefangen werden können". Damit bringt das Gesetz klar zum Ausdruck, dass das Einfangen dem Abschuss vorzuziehen ist. Wie das Obergericht zutreffend ausgeführt hat, soll der unnötige Abschuss von Hunden vermieden werden. Es soll nach Möglichkeit versucht werden, einen im Sperrgebiet streunenden Hund einzufangen. Erst wenn die darauf abzielenden zumutbaren Bemühungen gescheitert sind, ist das Tier abzuschiessen. Immerhin kann es Situationen geben, in welchen die Unmöglichkeit, einen streunenden Hund einzufangen, bei vernünftiger Beurteilung der Lage von vornherein erkennbar ist, so etwa, wenn sich der Hund in einem unwegsamen Gelände oder jenseits eines praktisch unüberwindbaren Hindernisses (Fluss, Autobahn, etc.) aufhält. In solchen Fällen ist der Abschuss ohne vorangehenden Einfangversuch zulässig und geboten. Die Voraussicht bzw. Erwartung gewisser Schwierigkeiten beim Einfangversuch hingegen erlauben für sich allein den sofortigen Abschuss nicht; dass das Einfangen eines Hundes kein leichtes Spiel ist, liegt in der Natur der Sache und war auch dem Gesetzgeber bekannt.
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Die Auslegung von Art. 44.2 Ziff. 4 TSV durch das Obergericht stimmt mit den obigen Erwägungen überein. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers wird im angefochtenen Urteil nirgendwo ausgeführt, es bestehe immer die Pflicht, den Versuch zu unternehmen, einen Hund einzufangen, bevor dieser abgeschossen werde. Die Vorinstanz führt auf S. 12 oben ihres Urteils wörtlich aus: "Es wurde also selbst von einem anwesenden Jäger das Einfangen des Hundes nicht zum vornherein als unmöglich verworfen." Damit bringt das Obergericht zum Ausdruck, dass in jenen Fällen, in welchen das Einfangen von vornherein als offensichtlich unmöglich erkannt wird, keine Pflicht zu darauf abzielenden Versuchen besteht, sondern der sofortige Abschuss zulässig und geboten ist.
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b) Z. hat unbestrittenermassen nicht versucht, die Hunde einzufangen. Indem die Vorinstanz ihm diese Unterlassung zum Vorwurf machte, ging sie davon aus, dass ein solcher Versuch nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt war, die Unmöglichkeit, die Hunde einzufangen, mithin nicht von Anfang an feststand. Diese Annahme ist tatsächlicher Natur und daher für den Kassationshof im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde verbindlich (Art. 277bis BStP). Was Z. dagegen vorbringt, ist unzulässig und im übrigen unbegründet. Ob auf die Einholung der vom Beschwerdeführer vor Amtsgericht beantragten kynologischen Expertise verzichtet werden durfte, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die nicht mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung von Art. 249 BStP, sondern mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV aufzuwerfen ist (BGE 103 IV 301, BGE 91 I 120 /121). Abgesehen davon durfte von der Einholung dieser Expertise, mit welcher der Beschwerdeführer beweisen wollte, dass auf eine Distanz von 50-100 m überhaupt nur Rüden mit Hilfe einer "heissen" Hündin eingefangen werden könnten, schon deshalb abgesehen werden, weil eine solche Behauptung auch für den Laien erkennbar offensichtlich abwegig ist. Fehl geht im weiteren der Vorwurf, das Obergericht habe den Grundsatz der Unschuldsvermutung, der in Art. 18 StGB und Art. 6 Ziff. 2 EMRK enthalten sei, missachtet. Die Vorinstanz hat Z. entgegen seiner Behauptung nicht deshalb verurteilt, weil er den "Unschuldsbeweis", mit andern Worten den Beweis der offensichtlichen Unmöglichkeit, die Hunde einzufangen, nicht erbracht habe, sondern weil sie aufgrund der gesamten Umstände zum Schluss kam, die Erfolglosigkeit eines Einfangversuchs habe nicht von Anfang an festgestanden. Ein Jagdkamerad hatte denn auch dem Beschwerdeführer vorgeschlagen zu versuchen, den Hund des Landwirts L. einzufangen, bei Z. aber kein Gehör gefunden.
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Darf somit ein in einem Tollwutsperrgebiet streunender Hund nach Art. 44.2 Ziff. 4 TSV nur dann ohne vorangehenden Einfangversuch abgeschossen werden, wenn die Erfolglosigkeit eines solchen Versuchs angesichts der Umstände von vornherein feststeht, und war diese Voraussetzung nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz im konkreten Fall nicht erfüllt, so war der sofortige Abschuss der drei Hunde rechtswidrig.
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3. Der Beschwerdeführer beruft sich im weiteren auf Rechtsirrtum (Art. 20 StGB). Er macht geltend, die Rechtslage sei unklar, was sich schon daraus ergebe, dass über die Tollwutbekämpfung von verschiedenen kompetenten Behörden verschiedene Erlasse herausgegeben werden, statt die Materie einheitlich zu regeln. Selbst das luzernische Volkswirtschaftsdepartement irre sich über die jeweilige Rechtslage; so sei in der vom Departement am 3. Januar 1973 herausgegebenen, im Jahre 1976 neu gedruckten Gesetzessammlung "Jagdrecht" noch die ursprüngliche Fassung des Bundesratsbeschlusses über besondere Massnahmen zur Bekämpfung der Tollwut vom 28. Februar 1968 enthalten, die am 24. September 1973 erfolgte Revision von Art. 6 dieses Bundesratsbeschlusses mithin nicht berücksichtigt. Die interessierten Kreise würden durch die zuständige Behörde, welche die Sammlung "Jagdrecht", Neudruck 1976, nach wie vor verteile, somit falsch orientiert. Auch er, der Beschwerdeführer, sei aufgrund der alten Fassung von Art. 6 des Bundesratsbeschlusses davon ausgegangen, zum Abschuss berechtigt und verpflichtet zu sein.
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Die Ausführungen betreffend die Sammlung "Jagdrecht", auf die der Beschwerdeführer sich verlassen haben will, sind neu und daher unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Sie reichen im übrigen wie die andern Einwände nicht aus, um das Vorliegen "zureichender Gründe" im Sinne von Art. 20 StGB zu begründen. In der ursprünglichen Fassung von Art. 6 des erwähnten Bundesratsbeschlusses ist das Recht gewisser Personen zum Abschuss jagender Hunde geregelt. Von streunenden Hunden ist überhaupt nicht die Rede. Dem Erlass sind auch keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass auch streunende Hunde unter den Begriff "jagende" Hunde fielen. Der Beschwerdeführer behauptet zudem selber nicht, er habe angenommen, die Sammlung "Jagdrecht" enthalte sämtliche Erlasse, die den Abschuss von Tieren in Tollwutgebieten regeln. Dem Art. 44.2 Ziff. 4 der eidgenössischen Tierseuchenverordnung, die in der Sammlung "Jagdrecht" nicht enthalten ist, hätte Z. entnehmen können, das streunende Hunde nur dann abzuschiessen sind, wenn sie nicht eingefangen werden können. Der Beschwerdeführer musste als Pächter eines Jagdreviers, Obmann einer Jagdgesellschaft und Jurist die jeweils gültigen einschlägigen kantonalen und eidgenössischen Erlasse, wie sie in den amtlichen Gesetzessammlungen enthalten sind, kennen und sich bei auftauchenden Zweifeln sorgfältig informieren. Dies hat er nicht getan. Es kann daher keine Rede davon sein, er habe zureichende Gründe zur Annahme gehabt, er tue überhaupt nichts Unrechtes. Daran ändert nichts, dass Z. die Kadaver der drei Hunde zur Polizei brachte und die Hundehalter anzeigte; dieses Verhalten lässt verschiedene Deutungen zu und bildet jedenfalls keinen Beweis für Rechtsirrtum.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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