BGE 107 IV 91 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. Juli 1981 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB. |
Bei der Beurteilung der Bewährungsaussichten im Rahmen von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB darf und muss die mögliche Warnungswirkung der neuen zu vollziehenden Strafe mitberücksichtigt werden. | |
Sachverhalt | |
A.- In Gutheissung der Berufung der Staatsanwaltschaft hat der Ausschuss des Kantonsgerichtes Graubünden am 14. Januar 1981 H. der fortgesetzten groben Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 27 Abs. 1, 34 Abs. 2 und 4, 35 Abs. 2 und 3, 40 SVG und Art. 5 Abs. 1 lit. a, 29 Abs. 4 VRV) gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG sowie der Verletzung von Art. 34 Abs. 1 BAV in Verbindung mit Art. 85 Abs. 2 BAV schuldig erklärt und zu 30 Tagen Gefängnis und 100 Franken Busse verurteilt. Gleichzeitig ordnete der Kantonsgerichtsausschuss an, dass die vom Bezirksgericht Zurzach am 11. März 1976 über H. wegen fahrlässiger Tötung verhängte Strafe von 9 Monaten Gefängnis (mit bedingtem Strafvollzug) nun zu vollziehen sei.
| 1 |
B.- H. führt gegen dieses Urteil staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde. Die staatsrechtliche Beschwerde ist vom Kassationshof des Bundesgerichts am 2. Juli 1981 abgewiesen worden.
| 2 |
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie den Beschwerdeführer von den ihm im Zusammenhang mit den von ihm bestrittenen Überholmanöver am "Sagastutz" bei Nufenen GR zur Last gelegten Verfehlungen freispreche und ihn lediglich wegen Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit (Art. 5 Abs. 1 lit. a VRV) sowie wegen der Montage und Verwendung eines Zweiklanghornes (Art. 40 SVG, Art. 34 Abs. 1 BAV in Verbindung mit Art. 85 Abs. 2 BAV) mit einer Busse von Fr. 500.-- bestrafe (unter Verzicht auf den Vollzug der bedingten Gefängnisstrafe vom 11.3.1976). Eventualiter beantragt der Beschwerdeführer, in teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils (Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2) sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie eine bedingt vollziehbare Gefängnisstrafe von höchstens einem Monat ausspreche und die frühere Gefängnisstrafe (vom 11. März 1976) nicht als vollziehbar erkläre.
| 3 |
C.- Die Staatsanwaltschaft Graubünden hat auf Einreichung von Gegenbemerkungen verzichtet. Unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Urteils stellt sie den Antrag, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.
| 4 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
5 | |
Gemäss Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB kann der zuständige Richter in leichten Fällen, wenn begründete Aussicht auf Bewährung besteht, vom Widerruf absehen und statt dessen, je nach den Umständen, den Verurteilten verwarnen, zusätzliche Massnahmen anordnen und die im Urteil bestimmte Probezeit um höchstens die Hälfte verlängern. Im angefochtenen Urteil wird das während der Probezeit begangene Delikt als "schwerwiegendes Vergehen" bezeichnet und es wird dann ohne ausdrückliche Erörterung der Frage, ob ein Verzicht auf den Widerruf schon wegen der Schwere des neuen Deliktes ausgeschlossen sei, aus subjektiven Gründen - wegen Fehlens begründeter Bewährungsaussicht - der Vollzug der Gefängnisstrafe von 9 Monaten angeordnet. Dabei geht das Gericht im wesentlichen einfach davon aus, dass die Verneinung der günstigen Prognose hinsichtlich der neuen Verurteilung (gemäss Art. 41 Ziff. 1 StGB) auch die Verneinung der Bewährungsaussicht gemäss Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB zur Folge haben müsse und daher den Widerruf des seinerzeit gewährten bedingten Strafvollzuges nach sich ziehe.
| 6 |
Diese Folgerung ist naheliegend, aber nicht zwingend (vgl. BGE 98 IV 76). Bei der Beurteilung der Bewährungsaussicht im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB darf und muss auch die Wirkung der neuen Strafe berücksichtigt werden, welche der Beschwerdeführer jetzt zu verbüssen hat. Unter dem Aspekt der Resozialisierung kann der Vollzug der einen Strafe und die Einräumung oder Weiterführung der Bewährungsfrist für die andere Strafe eine angemessene und sinnvolle Lösung sein (vgl. hiezu BGE 101 IV 13, BGE 100 IV 196). Eine solche Kombination ist im vorliegenden Fall durch die Schwere der neuen Verurteilung nicht ausgeschlossen. Die zum Teil rücksichtslose Fahrweise, welche im angefochtenen Urteil bestraft wird, darf gewiss nicht bagatellisiert werden; doch entspricht es der ratio legis von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB, dass eine Verletzung von Verkehrsvorschriften (ohne Kollision), die wegen der Umstände und der Vorstrafen mit 30 Tagen Gefängnis geahndet wird, nicht automatisch den Widerruf eines zuvor gewährten bedingten Strafvollzuges zur Folge haben muss; es handelt sich somit um eine Verurteilung, die im Sinne der erwähnten Vorschrift noch als leichter Fall eingestuft werden darf (vgl. zur Auslegung dieses Begriffes BGE 101 IV 13). Die Vorinstanz hat dies übrigens nicht abgelehnt, sondern im Grunde offen gelassen, ob ein leichter Fall vorliege, weil sie davon ausging, die Aussicht auf Bewährung sei ohnehin nicht gegeben.
| 7 |
Der angefochtene Entscheid steht insofern mit Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 nicht im Einklang, als eine eigentliche Prüfung der Bewährungsaussicht unter Berücksichtigung der möglichen Warnungswirkung der neuen Strafe unterblieb. Gerade im vorliegenden Verfahren, wo es darum geht, ob ein an sich rechtschaffener Bürger als Folge eines im letzten Jahr einer vierjährigen Probezeit begangenen Verkehrsdeliktes, das noch als leichter Fall zu bezeichnen ist, eine Gefängnisstrafe von 9 Monaten verbüssen muss, drängt sich unter spezialpräventiven Gesichtspunkten eine sorgfältige Abwägung der für und gegen die Aussicht auf Bewährung sprechenden Umstände auf. Bei dieser Gesamtwürdigung im Rahmen von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB ist die Tatsache des Vollzuges der neuen Gefängnisstrafe (anders als im Fall BGE 98 IV 82 am Ende) nicht ohne Bedeutung. Der angefochtene Entscheid ist daher in diesem Punkt aufzuheben und die Widerrufsfrage ist von der Vorinstanz unter Beachtung aller Aspekte mit Einschluss des Vollzugs der neuen Gefängnisstrafe von 30 Tagen neu zu beurteilen.
| 8 |
9 | |
10 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |