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54. Urteil des Kassationshofes vom 27. November 1981 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 293 StGB, Art. 22 GRN (Geschäftsreglement des Nationalrates). Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen. |
2. Art. 22 Abs. 2 GRN bildet eine rechtsgenügende Grundlage für eine Geheimhaltungserklärung im Sinne von Art. 293 StGB (E. 2b u. E. 3b). |
3. Art. 293 StGB liegt ein formeller Geheimnisbegriff zugrunde (E. 3c). | |
Sachverhalt | |
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B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich sprach X. am 24. Oktober 1980 der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen im Sinne von Art. 293 Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 750.--.
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Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 12. März 1981 den erstinstanzlichen Entscheid im Schuld- und Strafpunkt.
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C.- X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
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Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Soweit diese Bestimmung von "durch Gesetz" geheim erklärten Verhandlungen spricht, ist damit nicht ein Gesetz im formellen Sinne gemeint. Vielmehr muss eine Verordnungsvorschrift ausreichen, wenn der Verordnungsgeber seine Kompetenz dazu unmittelbar aus der Verfassung (selbständige Verordnung) oder aus einer gesetzlichen Delegationsnorm (unselbständige Verordnung) ableiten kann. Es wäre schlechterdings nicht einzusehen, warum die fragliche Behörde ihre Verhandlungen zwar durch Beschluss, also durch eine Verfügung nach Art. 293 Abs. 1 StGB rechtsverbindlich sollte geheim erklären können, nicht aber durch eine Verordnung, wenn sie zum Erlass einer solchen befugt ist.
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b) Sodann setzt Art. 293 Abs. 1 StGB mit dem Begriff des Gesetztes auch nicht eine generell-abstrakte Norm im Sinne eines die Bürger zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichtenden Rechtssatzes voraus (s. BGE 105 Ia 351 f.). Auch Erlasse, die sich nur an die Behörde selber richten, ihr Handeln in organisatorischer Hinsicht regeln (Verwaltungsverordnungen) fallen in Betracht. Das folgt schon aus der Umschreibung des Tatbestandes, wenn darin von Verhandlungen einer Behörde die Rede ist, die durch Gesetz (oder behördlichen Beschluss) als geheim erklärt worden sind. Die damit gemeinte Norm muss sich notwendig an die Mitglieder der Behörde und an allfällige andere Sitzungsteilnehmer richten, ohne zugleich einem aussenstehenden Bürger unmittelbar eine Geheimhaltungspflicht aufzuerlegen. Diese mag als Aussenwirkung der Verordnungsbestimmung den Dritten mittelbar treffen (s. das vorgenannte Urteil), folgt hier aber unmittelbar aus Art. 293 StGB.
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a) Bei dieser Reglementsvorschrift handelt es sich unzweifelhaft um ein "Gesetz" im oben umschriebenen Sinne des Art. 293 StGB, zu dessen Erlass der Nationalrat kraft Art. 8bis Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung (SR 171.11) befugt war. Dabei hat der Nationalrat seine Befugnis als Verordnungsgeber keineswegs überschritten, wenn er die Verhandlungen seiner Kommissionen grundsätzlich dem Sitzungsgeheimnis unterstellt hat. Es liegt vielmehr im wohlverstandenen Interesse einer möglichst freien, durch keinerlei unzeitige Beeinflussung von aussen behinderten Meinungsbildung, Sitzungen von parlamentarischen Kommissionen so lange geheimzuhalten, als es die betreffende Kommission nach dem Gang ihrer Beratungen für geboten erachtet. Im übrigen wurde - wie sich im folgenden zeigen wird - das Sitzungsgeheimnis in Art. 22 GRN nicht schlechthin und unbegrenzt verhängt, sondern zeitlich und nach dem Kreis der Mitteilungsempfänger in sachlich vertretbarer und dem ungestörten Geschäftsgang objektiv dienender Weise umschrieben.
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b) Nach dem unter dem Titel "Information, Sitzungsgeheimnis" stehenden Art. 22 GRN unterrichtet die Kommission durch ein beauftragtes Mitglied die Vertreter von Presse, Radio und Fernsehen, je nach der Bedeutung der Geschäfte, schriftlich und allenfalls mündlich über ihre Verhandlungen (Abs. 1 Satz 1). Die Kommissionsmitglieder und Sitzungsteilnehmer greifen dieser Kommissionsmitteilung nicht vor (Abs. 2 Satz 1).
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Diese Bestimmungen sind nach Wortlaut und Sinn komplementär und damit als eine Einheit zu verstehen. Aus ihnen ergibt sich, dass die Kommission den Zeitpunkt bestimmt, an welchem sie die ![]() | 15 |
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a) Die Behauptung des Beschwerdeführers, der Bericht sei für ![]() | 17 |
b) Nach Art. 22 Abs. 1 GRN unterliegen dem Sitzungsgeheimnis die "Verhandlungen" der Geschäftsprüfungskommission. Es versteht sich nach Sinn und Zweck dieser Bestimmung, dass die darin enthaltene Geheimhaltungserklärung auch Papiere umfasst, in denen Verhandlungen ihren Niederschlag gefunden haben und die noch der Beratung der Gesamtkommission unterliegen und deshalb ihrer Natur nach für den internen Gebrauch bestimmt sind. Der fragliche Berichtsentwurf fiel damit ohne weiteres unter das Sitzungsgeheimnis des Art. 22 Abs. 1 GRN; einer besonderen Geheimhaltungserklärung bedurfte es deshalb für das betreffende Aktenstück entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht.
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c) Art. 293 StGB liegt des weiteren ein formeller Geheimnisbegriff zugrunde. Es genügt danach die durch Gesetz oder behördlichen Beschluss abgegebene Erklärung, dass die Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen geheim seien. Entsprechend ist deshalb vom Richter nicht zu prüfen, ob die im konkreten Fall bekanntgegebene Tatsache wirklich geheim gewesen ist oder nicht (STRATENWERTH, 2. Aufl. S. 303). Auch ist es ohne Belang, ob die Kommissionsmitglieder durch die Indiskretion in ihrer Meinungsbildung tatsächlich gestört worden sind. Art. 293 StGB will schon die blosse Gefahr einer Beeinflussung des Verhandlungsgangs von aussen her, wie sie bei der vorzeitigen Bekanntgabe von die Beratungen betreffenden Tatsachen möglich wäre, verhindern.
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d) Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die in Art. 22 GRN getroffene Lösung befriedige nicht, ist er nicht zu hören. Es ist nicht Sache des Richters, die sich im Rahmen des Art. 8bis Abs. 2 ![]() | 20 |
4. Nach Art. 293 StGB macht sich strafbar, wer "ohne dazu berechtigt zu sein", aus geheim erklärten Akten usw. etwas an die Öffentlichkeit bringt. Da gemäss Art. 22 Abs. 1 GRN die Kommission durch ein von ihr beauftragtes Mitglied Presse, Radio und Fernsehen und damit die Öffentlichkeit über die grundsätzlich dem Sitzungsgeheimnis unterliegenden Verhandlungen unterrichtet, versteht sich von selbst, dass der Beschwerdeführer als Journalist a priori dazu nicht befugt gewesen ist. Anders wäre es nur, wenn er sich auf einen Rechtfertigungsgrund berufen könnte. X. macht in diesem Sinne Wahrung überwiegender öffentlicher Interessen geltend. Was er jedoch zur Begründung vorbringt, erschöpft sich in allgemeinen Ausführungen über das öffentliche Informationsbedürfnis einerseits und die Wahrung der Staatssicherheit und des Persönlichkeitsschutzes anderseits. Zudem greift er dabei immer wieder auf die Behauptung zurück, der Berichtsentwurf der Arbeitsgruppe habe keine Geheimnisse enthalten. Das letztere Vorbringen ist schon deswegen belanglos, weil - wie ausgeführt - Art. 293 StGB von einem formellen Geheimnisbegriff ausgeht. Und was die allgemeinen Erwägungen zu den vorgenannten Problemkreisen anbelangt, so reichen sie in keiner Weise aus, um darzutun, dass der Beschwerdeführer im konkreten Fall zur Tat berechtigt gewesen wäre. Das würde den Nachweis voraussetzen, dass die Öffentlichkeit, deren Informationsbedürfnis er angeblich hat wahren wollen, in casu ein dringendes Interesse daran gehabt hätte, gerade über die aus dem Berichtsentwurf der Arbeitsgruppe der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats vom Beschwerdeführer an die Öffentlichkeit gebrachten Tatsachen unterrichtet zu werden, bevor die Gesamtkommission jenen Entwurf beraten und den Gehalt ihrer Verhandlungen durch ein von ihr ![]() | 21 |
Der in der Beschwerde enthaltene Vergleich mit dem Parlamentarier aber, der als Geheimnisträger geheime Tatsachen an einen Journalisten weitergegeben hatte, hinkt. Dass ersterer für den Geheimnisbruch strafrechtlich nicht verfolgt wurde, hatte seinen Grund in der Tatsache, dass die eidgenössischen Räte die Ermächtigung zur Strafverfolgung verweigert hatten (Art. 14 Abs. 1 Verantwortlichkeitsgesetz; SR 170.32). Dafür durften Opportunitätsgründe wie staatspolitische Erwägungen herangezogen werden (s. BGE 106 IV 44), die der Journalist, der nicht Parlamentarier war, nicht für sich in Anspruch nehmen konnte. Wo aber die eidgenössischen Räte so verfahren, liegt in ihrem Entscheid keine Rechtfertigung des dem Parlamentarier zur Last gelegten Verhaltens, weshalb auch der unter diesem Gesichtspunkt vom Beschwerdeführer erhobene Einwand fehl geht.
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In dem Masse aber, als X. mit dem Hinweis auf Art. 10 EMRK die Bestimmung des Art. 22 GRN als verfassungswidrig bezeichnen möchte, ist darauf hinzuweisen, dass der Kassationshof im Rahmen eines Meinungsaustauschs mit der 2. öffentlichrechtlichen Abteilung beschlossen hat, in Korrektur der in BGE 98 IV 137 gemachten Aussagen auf seine frühere Praxis zurückzukommen und dieser entsprechend sich grundsätzlich auf eine Gesetzmässigkeitskontrolle unselbständiger Verordnungen zu beschränken, die sich auf eine in einem Bundesgesetz enthaltene Delegationsnorm stützen; das Bundesgericht ist nämlich gemäss Art. 113 Abs. 3 BV an die von der Bundesversammlung erlassenen Gesetze gebunden und hat sich auch an die auf solche Gesetze gestützten Verordnungen zu halten, soweit sie in den Grenzen der dem Verordnungsgeber im Gesetz erteilten Gesetzgebungskompetenz bleiben; in diesem Umfang nehmen sie an der Verbindlichkeit des Gesetzes teil. Sie können nur daraufhin überprüft werden, ob sie über den Rahmen der Ermächtigung hinausgehen (BGE 92 IV 109, BGE 75 IV 79, BGE 62 I 79). Dass dies hier nicht der Fall ist, wurde bereits dargetan (E. 2a). Im übrigen wäre der Einwand des Beschwerdeführers ohnehin unbegründet; denn wie das Bundesgericht entschieden hat, schafft Art. 10 EMRK keine Informationspflicht der Behörden, und es folgt eine solche Pflicht auch nicht aus der von der Meinungsäusserungs- und der Pressefreiheit miterfassten Informationsfreiheit (BGE 104 Ia 88, insbes. 94 ff.). Sind aber die Behörden nach dem Gesagten nicht zur Information verpflichtet, dann kann nicht darin, dass sie in einem Erlass zwar eine Information der Öffentlichkeit über ihre Verhandlungen vorsehen, sie aber bestimmten Einschränkungen unterwerfen, ein Verstoss gegen Art. 10 EMRK liegen.
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