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4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Mai 1982 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 127 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. |
2. Der Eintritt der Gefahr ist nicht der Grund zur Entstehung der Hilfeleistungspflicht, sondern der Anlass zur Hilfeleistung (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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B.- Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach S. vom Vorwurf der Aussetzung im Sinne von Art. 127 Ziff. 1 Abs. 2 StGB frei. Hingegen fand sie ihn wegen verschiedener anderer Taten des gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls (Art. 137 Ziff. 2 Abs. 2 und 3; Deliktsbetrag rund Fr. 22'000.--), des gewerbsmässigen Diebstahls, der wiederholten Sachbeschädigung, des wiederholten Hausfriedensbruchs, der Hehlerei sowie des Missbrauchs von Ausweisen und Schildern im Sinne von Art. 97 Ziff. 1 Abs. 7 SVG schuldig, verurteilte ihn deswegen unter Annahme einer leichten bis mittleren Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zu 15 Monaten Gefängnis, abzüglich 31 Tage Untersuchungshaft, und schob den Vollzug der Strafe zwecks ambulanter Behandlung seiner Trunksucht gemäss Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB auf.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei in bezug auf den Freispruch vom Vorwurf der Aussetzung aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, S. auch wegen Aussetzung im Sinne von Art. 127 Ziff. 1 Abs. 2 StGB schuldig zu erklären und die Strafe entsprechend zu erhöhen.
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D.- S. beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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In der Lehre wird allgemein angenommen, dass mit der Wendung "für den er zu sorgen hat" rechtliche, auf Gesetz oder auf ![]() | 6 |
Die Beschwerdeführerin behauptet mit Recht nicht, der Beschwerdegegner sei aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung oder einer vertraglichen Abmachung verpflichtet gewesen, seinen Komplizen vor Gesundheitsgefährdungen zu schützen bzw. im Falle von deren Eintritt für Hilfe zu sorgen. Sie macht lediglich geltend, dass die beiden Einbrecher "eine Gefahrengemeinschaft bildeten, weshalb eine Obhutspflicht des einen für den andern entstand".
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Die Annahme eines Obhutsverhältnisses im Sinne von Art. 127 StGB setzt jedoch nicht notwendigerweise Ungleichheit der Partner hinsichtlich Stärke und Erfahrung etc. in bezug auf die gemeinsam unternommene Tätigkeit voraus. Ein Obhutsverhältnis kann auch zwischen gleich erfahrenen Partnern bestehen und begründet in diesem Falle gegenseitige Obhutspflichten. Als Beispiel hiefür werden in der Lehre die Bergsteiger der gleichen Seilpartie erwähnt (GERMANN, Verbrechen, Ziff. 3 zu Art. 127 StGB; SCHWANDER, StGB, Nr. 523 S. 318). Eine Gefahrengemeinschaft kann mithin ein Obhutsverhältnis begründen. Ob sie in jedem Fall Obhutspflichten der an der Gefahrengemeinschaft beteiligten Personen entstehen lässt, etwa auch dann, wenn diese zur Verübung von Straftaten eingegangen wurde, braucht hier nicht untersucht zu werden. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob zur Bejahung von Obhutspflichten aufgrund des Bestehens einer Gefahrengemeinschaft oder anderer, ein Obhutsverhältnis begründender Beziehungen ![]() | 9 |
b) Der Zusammenschluss von S. und L. zur Verübung eines Einbruchdiebstahls begründete keine Gefahrengemeinschaft mit gegenseitigen Obhutspflichten. Nichts deutet darauf hin, dass der Zusammenschluss im Hinblick auf die möglichen Gefahren für die Gesundheit und im Vertrauen auf gegenseitige Hilfeleistung bei Gefahr für die Gesundheit erfolgte, dass sich die beiden Einbrecher also gerade auch deshalb zusammentaten, um den Eintritt solcher Gefahren für die Gesundheit nach Möglichkeit zu verhindern bzw. bei deren Eintritt für Hilfe zu sorgen. Es ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass S. und L., die mehr oder weniger angetrunken waren, einen (in bezug auf die Gesundheit) "zunächst kaum gefährlichen Einbruchsversuch" unternahmen. Dass L. sich im Verlauf des Unternehmens spontan zu einem Vorgehen entschloss, das verhängnisvoll endete, ist schon deshalb unerheblich, weil die Gefährlichkeit dieses Vorgehens von beiden Einbrechern nicht erkannt wurde; zudem hatte S. nach den Feststellungen der Vorinstanz zum verhängnisvollen Entschluss seines Komplizen, durch den Lichtschacht auf den Fenstersims zu gelangen, und dessen Durchführung, in keiner Weise beigetragen.
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3. Soweit die Beschwerdeführerin mit ihrem Hinweis auf zwei Spaziergänger die Auffassung vertritt, eine durch Art. 127 StGB sanktionierte Hilfeleistungspflicht sei jedenfalls in dem Augenblick entstanden, als L. in den Lichtschacht stürzte und sich dadurch verletzte, kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden. Ein Obhutsverhältnis im Sinne von Art. 127 StGB zwischen zwei einander weder durch Gesetz noch durch Vertrag verbundenen Personen entsteht nicht dadurch, dass die eine Person bei einem gemeinsamen Unternehmen, das als solches noch kein Obhutsverhältnis begründet, in eine Gefahr für die Gesundheit gerät. Andernfalls würde der Tatbestand der Aussetzung, die immerhin ein Verbrechen ist, uferlos. Es geht auch nicht an, aus der Tatsache der Verletzung eines Beteiligten nachträglich ein Obhutsverhältnis zu konstruieren. Ein Obhutsverhältnis zwischen zwei Personen besteht, unabhängig vom Eintritt der Gefahr für die Gesundheit, schon vorher aufgrund ihrer persönlichen Beziehungen bzw. der Art des von ihnen durchgeführten Unternehmens. Beim Eintritt der Gefahr werden ![]() | 11 |
Da nach dem Gesagten zwischen den beiden Einbrechern vor dem Sturz des L. kein Obhutsverhältnis bestand und ein solches nicht infolge des Sturzes entstehen konnte, verstösst der Freispruch des S. von der Anschuldigung der Aussetzung nicht gegen Art. 127 StGB. Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
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