BGE 109 IV 99 | |||
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27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. Dezember 1983 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 117 StGB. Verkehrssicherungspflicht für Skipisten. |
2. Ein problemlos traversierbares Skilifttrassee kann unter solchen Umständen in der Regel nicht als Begrenzung der Piste betrachtet werden. | |
Sachverhalt | |
A.- Am 3. April 1981 gegen 10.15 Uhr fuhr eine Gruppe von sechs Skifahrern von der Bergstation des Balmeregghornskiliftes in Richtung Talstation. Im oberen Streckenteil fuhren sie den links der Skiliftanlage gelegenen Steilhang hinunter, überquerten die Schleppspur des Skiliftes und gelangten auf die offizielle Piste rechts desselben. Kurz danach kreuzten sie erneut die Schleppspur, um schliesslich den restlichen Streckenteil bis zur Talstation wiederum ausserhalb der Piste, in der Fahrrichtung links vom Skilift zurückzulegen. Der die Gruppe anführende A., der den letzten, flach abfallenden Teil in der Hocke fuhr, stiess mit einem quer zum Abfahrtshang gespannten Heutransportseil zusammen. Er erlag noch auf der Unfallstelle den erlittenen Verletzungen.
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Das 12 mm dicke Stahlseil war 90 m oberhalb der Talstation und 30 m neben der Schleppspur des Skiliftes im Boden verankert und führte leicht ansteigend zum gegenüberliegenden Hang. Die Verankerung war mit einem schwarz-gelben Lattenkreuz markiert; die Kollision ereignete sich ca. 10 m daneben, wo das Seil, welches keine Markierung trug, eine Höhe von ca. 80 bis 105 cm aufwies.
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B.- Am 3. März 1983 verurteilte das Kantonsgericht Obwalden den Betriebsleiter X. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Busse von Fr. 150.-- mit bedingter Löschung nach einer Probezeit von einem Jahr. Das Obergericht des Kantons Obwalden hat mit Urteil vom 26. August 1983 die Appellation des Angeschuldigten abgewiesen und das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich bestätigt.
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C.- X. führt gegen das obergerichtliche Urteil eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zu neuer Entscheidung und Freisprechung des Angeschuldigten an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Unbestrittenermassen beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht nicht strikte auf die präparierte Fahrspur. Wie weit dieser Bereich in räumlicher Hinsicht geht, hängt von den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles ab (BGE 101 IV 399). Dabei ist davon auszugehen, dass eine genaue Begrenzung der Skipiste in vielen Fällen kaum möglich ist, da die Spur bei entsprechenden Gelände- und Schneeverhältnissen durch häufiges Befahren bis auf ein Mehrfaches der präparierten Fahrbahn ausgeweitet werden kann. Natürliche Begrenzungen können sich aus den Geländeverhältnissen ergeben (Waldränder, Einschnitte etc.). Schwieriger wird diese Grenzziehung, wenn keine natürlichen Begrenzungen bestehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn mühelos von der eigentlich präparierten Fahrbahn auf offenes und übersichtliches, von Hindernissen freies und für den Skilauf an und für sich geeignetes Gelände gefahren werden kann. Bei solchen Verhältnissen kann erfahrungsgemäss besonders im Gebiet einer Talstation häufig überhaupt nicht mehr von einer eigentlichen Fahrspur gesprochen werden, da die Skiläufer eine ausgedehnte Fläche benützen. Ein problemlos traversierbares Skiliftrassee kann unter solchen Umständen in der Regel nicht als künstliche Begrenzung der Piste betrachtet werden, da es nicht als solche erkennbar und seine Funktion eine völlig andere ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn jenseits des Liftes Skispuren erkennbar sind.
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b) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz verläuft die markierte und maschinell präparierte Skipiste in ihrer ganzen Länge rechts von der Skiliftanlage. Im oberen Teil wird sie häufig durch Befahren seitlich bis zur Schleppspur des Liftes ausgeweitet; bei entsprechenden Schneeverhältnissen wird auch über den links vom Skilift abfallenden Hang hinunter gefahren. Im mittleren Teil führt die markierte Piste, sich aus topographischen Gründen bis auf wenige Meter verengend, streckenweise praktisch an das Lifttrassee heran, währenddem sie sich im unteren Teil zunächst auf der rechten Seite davon entfernt, um allmählich, sich erneut verbreiternd, die Talstation zu erreichen. Je nach den Schneeverhältnissen kann der Pistenrand im oberen und unteren Streckenteil stark variieren. Die Unfallstelle befindet sich 90 m oberhalb der Talstation, 40 m links vom Skilift und dieser ca. 50 m vom Rand der markierten Piste entfernt. Der Unfall ereignete sich demnach ausserhalb der präparierten Piste.
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Das links des Skiliftes gelegene Gelände stellt im unteren Teil eine offene, übersichtliche und bis zur Talstation leicht abfallende Fläche dar. Da keine Hindernisse bestehen (Steine, Felsblöcke, Abschrankungen etc.), kann das Lifttrassee auf weiten Strecken mühelos überquert werden. Insbesondere zwischen den Masten drei und fünf (in deren Bereich sich auch die Unfallstelle befindet) besteht die verlockende Möglichkeit, die präparierte Piste zu verlassen, um in das - insbesondere im Frühling - ideal erscheinende Gebiet auf der linken Seite des Skiliftes zu gelangen. Das Kantonsgericht stellte denn auch fest, dass sich immer wieder Skifahrer im Gefahrenbereich des Heuseils aufhielten.
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Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie davon ausging, die Unfallstelle liege in der der Verkehrssicherungspflicht unterliegenden Nebenfläche der Skipiste. Daran ändert die Tatsache nichts, dass der nächstgelegene, präparierte Pistenrand 90 m entfernt ist. Gerade im Bereich der Talstation, die sich im konkreten Fall nur ca. 90 m unterhalb der Unfallstelle befindet, erfahren Skipisten bei entsprechenden Verhältnissen häufig eine besonders weitgehende Ausdehnung, welche die erwähnte Distanz ohne weiteres erreichen oder überschreiten kann. Der Beschwerdeführer beruft sich im weiteren darauf, ein das Kreuzen von Piste und Skilift anzeigendes Signal sei nicht angebracht gewesen, was dem Verunglückten hätte andeuten müssen, er verlasse die markierte Fahrbahn. Damit verkennt er aber, dass das in einem solchen Fall allenfalls zu verwendende Signal 9a die grundsätzlich nicht ungefährliche Situation beim Kreuzen mit einem Skilift entschärfen soll, indem es den Fahrer ermahnt, besonders vorsichtig zu traversieren. Das Fehlen eines solchen Signals verbietet jedoch das Überqueren des Lifttrassees im offenen Gelände nicht. Wenn der Beschwerdeführer schliesslich geltend macht, im Gebiet Melchsee-Frutt lasse sich "praktisch überall" fahren, und eine umfassende Markierung und Sicherung sei unmöglich und unverhältnismässig, so ist ihm entgegenzuhalten, dass im konkreten Fall nur das Gebiet direkt neben dem Skilift und unmittelbar vor der Talstation in Frage steht. Eine ausreichende Signalisation hätte für dieses Gelände, wo immer wieder, und nicht nur gelegentlich gefahren wird, und wo sich zudem ein den Verantwortlichen bekanntes, überaus gefährliches und in früheren Jahren entsprechend gesichertes Heuseil befand, mit geringem Aufwand erstellt werden können. Dies wurde nach dem Unfall denn auch unverzüglich nachgeholt.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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