BGE 109 IV 156 | |||
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43. Auszug aus dem Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 10. Oktober 1983 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Kruszyk und Mitbeteiligte (Bundesstrafprozess) | |
Regeste |
Botschaftsbesetzung. |
2. Bundesgerichtsbarkeit. Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften sind grundsätzlich auch auf Taten anwendbar, die vor dem Inkrafttreten neuer Strafbestimmungen begangen worden sind (E. I/2). |
3. Notstand. Auf Notstandshilfe kann sich nicht berufen, wer eine Botschaft in der Schweiz besetzt und die Botschaftsangehörigen gefangenhält, um dadurch auf die schwierige Lage des Volkes in seiner Heimat aufmerksam zu machen (E. I/3). | |
Sachverhalt | |
Vom 6. bis 9. September 1982 besetzte der polnische Staatsangehörige Florian Kruszyk zusammen mit drei Landsleuten die polnische Botschaft in Bern. Die Besetzer hielten die Botschaftsangehörigen und einen zufälligen Besucher der Botschaft gefangen und stellten folgende Forderungen an die polnische Regierung:
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1. Aufhebung des Kriegszustandes in Polen,
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2. Freilassung aller polnischen politischen Gefangenen,
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3. Auflösung aller Gefangenenlager,
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4. Stopp der Repression gegen das polnische Volk.
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Verbunden wurden diese Forderungen mit der Drohung, bei Nichterfüllung werde das Botschaftsgebäude samt Geiseln und Besetzer in die Luft gesprengt. Der Polizei gelang es schliesslich, der Besetzungsaktion durch Stürmung des Gebäudes ein unblutiges Ende zu bereiten. Gegenstand der Anklage gegen die vier Besetzer bildeten vor allem in den Botschaftsräumlichkeiten begangene strafbare Handlungen. Das Bundesstrafgericht sprach die Angeklagten nach durchgeführter Hauptverhandlung der altrechtlichen Form der Freiheitsberaubung, der Nötigung, der Drohung, der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, der versuchten Erpressung sowie weiterer Straftaten schuldig. Den Anführer und verschuldensmässig am stärksten belasteten Angeklagten Kruszyk bestrafte es mit sechs Jahren Zuchthaus und fünfzehn Jahren Landesverweisung. Die drei jüngeren Angeklagten, zu deren Gunsten in erheblichem Masse achtenswerte Beweggründe berücksichtigt werden konnten, wurden zu Gefängnisstrafen von zweieinhalb bzw. drei Jahren verurteilt und je für fünf Jahre des Landes verwiesen.
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Aus den Erwägungen: | |
I.
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1. Während der Voruntersuchung hat der Angeklagte Kruszyk wiederholt die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte zur Beurteilung dieser Anklage bestritten, weil die polnische Botschaft exterritoriales Gebiet sei. Auch noch in der Hauptverhandlung hat er die Aktion als innerpolnische Angelegenheit bezeichnet, welche die Schweiz eigentlich gar nicht berühre. Damit wird übersehen, dass gemäss einem anerkannten Grundsatz des Völkerrechts diplomatische Vertretungen für ihr Personal und ihre Räumlichkeiten wohl Immunität geniessen, dabei aber Teil des Empfangsstaates bleiben und keineswegs exterritorial sind (VERDROSS, Völkerrecht, 1964, S. 333; THIERRY/COMBACAU/SUR/VALLÉE, Droit international public, 1981, S. 309). Dem entsprechen auch die Bestimmungen des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961. Art. 22 Ziff. 2 dieses Übereinkommens auferlegt dem Empfangsstaat zudem die Pflicht, "alle geeigneten Massnahmen zu treffen, um die Räumlichkeiten der Mission vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen und zu verhindern, dass der Friede der Mission gestört oder ihre Würde beeinträchtigt wird". Die schweizerische Gerichtsbarkeit ist im vorliegenden Fall somit offensichtlich gegeben.
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3. Der Angeklagte Kruszyk hat sich in seinem Schlusswort zur Verteidigung auf den Rechtfertigungsgrund des Notstandes berufen. Er selbst befand sich nicht in einer unmittelbaren Gefahr, die ihn zum gewählten Vorgehen getrieben hätte. Ziff. 1 von Art. 34 StGB fällt daher von vornherein ausser Betracht. In Ziff. 2 wird jedoch auch diejenige Tat als straflos erklärt, die begangen wird, um Leib, Leben, Freiheit, Ehre oder Vermögen eines andern aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten. Der Angeklagte Kruszyk begründet sein Verhalten nicht etwa mit konkreten Gefahren für ihm nahestehende Personen, sondern mit der Lage des polnischen Volkes. Auch ihm musste indes klar sein, dass eine Botschaftsbesetzung zwar Aufsehen zu erregen, an der Situation seiner Landsleute in Polen aber kaum etwas zu ändern vermag. Abgesehen davon, dass sein Vorgehen in bezug auf den zu erwartenden Erfolg völlig unverhältnismässig war, verbietet auch das Interesse der Völkergemeinschaft an der Unverletzlichkeit diplomatischer Vertretungen, derartige Aktionen als Mittel zur Herbeiführung politischer Veränderungen einzusetzen. Von einer Notstandshilfe im Sinne von Art. 34 Ziff. 2 StGB kann daher ebenfalls nicht die Rede sein.
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