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Informationen zum Dokument  BGE 110 IV 1  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. In der Beschwerdeschrift wird anerkannt, dass nach dem Wortlau ...
2. Gerügt wird in der Beschwerde eine Verletzung von Art. 1  ...
3. Es bleibt zu prüfen, ob in bezug auf die vom Beschwerdef& ...
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1. Urteil des Kassationshofes vom 18. September 1984 i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB.  
 
Sachverhalt
 
BGE 110 IV, 1 (1)A.- M. wurde am 30. November 1983 vom Bezirksgericht Zürich wegen wiederholten Diebstahls und Diebstahlsversuchs zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt als Zusatzstrafe zum Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 24. November 1972. Bezirksgericht gewährte ihm für diese Freiheitsstrafe den bedingten Strafvollzug.
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In Gutheissung der Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Obergericht am 6. März 1984 Schuldspruch und Strafmass bestätigt, aber den bedingten Strafvollzug nicht gewährt, weil die zu beurteilenden neuen Delikte in der Zeit von Januar bis Juni 1972 begangen wurden und M. sich innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat (bis 25. Januar 1971) in der Verwahrung gemäss Art. 42 StGB befand, so dass gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB die Gewährung des bedingten Strafvollzuges ausgeschlossen ist.
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B.- Gegen dieses Urteil führt M. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das vorinstanzliche Urteil sei bezüglich der Verweigerung des BGE 110 IV, 1 (2)bedingten Strafvollzuges aufzuheben, das Obergericht sei anzuweisen, die objektiven Voraussetzungen zur Gewährung des bedingten Strafvollzuges als gegeben anzunehmen, und die Sache sei zur Prüfung der subjektiven Voraussetzungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
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Der Beschwerdeführer vertritt jedoch die Auffassung, die gesetzliche Regelung enthalte insofern eine Lücke, als die Verweigerung des bedingten Strafvollzuges wegen vorangehender Strafverbüssung oder vorangehender Verwahrung nicht mehr ohne weiteres, d.h. aus objektiven Gründen erfolgen sollte, wenn zwischen der Tat und dem Urteil - wie im vorliegenden Fall - zehn Jahre verstrichen sind. In sinngemässer Lückenfüllung sei in Analogie zu Art. 45 Ziff. 6 StGB (Frage des Vollzugs der Verwahrung zehn Jahre nach dem Urteil) die Regel aufzustellen, dass zehn Jahre nach der Tat der objektive Ausschlussgrund des Rückfalls (genauer: der vorangehenden Strafverbüssung bzw. des Massnahmenvollzugs) nicht mehr gelte und die subjektiven Voraussetzungen von Art. 41 Ziff. 1 StGB zu prüfen seien.
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Art. 1 StGB ist durch das angefochtene Urteil sicher nicht verletzt worden. Die vom Beschwerdeführer zur Entscheidung gestellte Frage einer Lückenfüllung zu Gunsten des Verurteilten bezieht sich nicht auf die gesetzliche Umschreibung des strafbaren Verhaltens oder auf die Gesetzmässigkeit der verhängten Sanktion. Ob im konkreten Fall eine Gesetzeslücke vorliegt, die in der vom Beschwerdeführer vorgeschlagenen Weise zu füllen ist, stellt keine Frage der Auslegung von Art. 1 StGB dar (GERMANN, Kommentar zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, erste Lieferung, Zürich 1953, Vb zu Art. 1 N 3 und N 18 zu Art. 1).
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a) Die Frage einer Wirkung des Zeitablaufs zwischen Tat und Urteil auf die objektive Zulässigkeit des bedingten Strafvollzugs ist im Strafgesetzbuch nicht geregelt. Das heisst jedoch nicht ohne weiteres, dass eine entsprechende Regel auf dem Wege der freien Rechtsfindung zu entwickeln sei; das Schweigen des Gesetzes zu dieser Frage kann auch bedeuten, dass eine solche Wirkung des Zeitablaufs zu verneinen ist (vgl. zum methodischen Problem A. MEIER-HAYOZ, Kommentar zu Art. 1 ZGB, S. 145 ff.).
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b) Inwiefern die Tatsache des Zeitablaufs die Strafverfolgung und den Vollzug von Strafen und Massnahmen beeinflussen soll, ist im Strafgesetzbuch ausdrücklich geregelt. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang in erster Linie die Vorschriften über die Verjährung (Art. 70-75 StGB), dann aber auch die Bestimmungen über den Rückfall (Art. 67 StGB), über den Einfluss des Zeitablaufs auf die Strafzumessung (Strafmilderung gemäss Art. 64 Abs. 9 StGB), über den Verzicht auf den Vollzug einer aufgeschobenen Strafe wegen der inzwischen verstrichenen Zeit (Art. 41 Ziff. 3 letzter Abs. StGB), über den Verzicht auf Massnahmenvollzug (Art. 45 Ziff. 6 StGB) und auch die im vorliegenden Fall zur Anwendung kommende Norm von Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB über den Ausschluss des bedingten Strafvollzuges wegen Rückfalls. Aus diesen verschiedenen Vorschriften lassen sich nicht allgemein gültige Prinzipien ableiten, wonach der Ablauf einer längern Zeitspanne auf Beurteilung bzw. Strafvollzug stets Auswirkungen haben müsste. Der Umkehrschluss, eine solche Wirkung des Zeitablaufs bestehe nur, wenn und soweit dies vom Gesetz vorgesehen sei, liegt näher.
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c) Die Regelung des Ausschlussgrundes des Rückfalls in Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB stellt - wie die starre Festsetzung einer obern Grenze der Strafdauer (18 Monate) - eine vom Gesetzgeber gewollte objektive Schranke der Möglichkeit des bedingten Strafvollzuges dar. Kriminalpolitisch lässt sich die Auffassung vertreten, die ausschliessende Wirkung des Rückfalls könnte zeitlich limitiert werden. Das Fehlen einer solchen zeitlichen Begrenzung stellt jedoch keine Lücke dar, die vom Richter auszufüllen wäre. Die gleiche Interessenlage wie im vorliegenden Fall bestände übrigens auch, wenn der Beschwerdeführer kurz nach der Tat rechtskräftig (zu einer unbedingten Gefängnisstrafe) verurteilt worden wäre, sich aber dem Strafvollzug durch Flucht ins Ausland BGE 110 IV, 1 (4)während über zehn Jahren entzogen hätte. Dass dieser Zeitablauf zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens bezüglich der Frage des bedingten Strafvollzuges führen und zu einer neuen Beurteilung unter Nichtbeachtung des objektiven Ausschlussgrundes des Rückfalls führen sollte, lässt sich wohl kaum ernstlich postulieren. Dieser Hinweis auf einen rechtsgleich zu behandelnden Parallelfall zeigt deutlich, in welche Problematik der Weg einer richterlichen Lückenfüllung in diesem Bereich führen müsste.
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Auch rein praktische Überlegungen sprechen gegen die Annahme einer Gesetzeslücke. Wenn zwischen Tat und Beurteilung zehn Jahre verstrichen sind, dann ist dies wohl häufig auf eine Flucht ins Ausland zurückzuführen; die Feststellung des deliktfreien Verhaltens während der verflossenen Jahre bietet in solchen Fällen oft Schwierigkeiten und bleibt unsicher. Wenn aber der Täter sich tatsächlich während einer längern Zeit nachgewiesenermassen sozial integriert hat, so dass der Vollzug der seinerzeit verwirkten Strafe als unzweckmässig und hart erscheint, so bleibt für solche Ausnahmefälle immer noch der Weg der Begnadigung. Diese Lösung ist einer fragwürdigen Lückenfüllung vorzuziehen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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