BGE 112 IV 1 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
1. Urteil des Kassationshofes vom 16. Juni 1986 i.S. X. gegen Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 95 Ziff. 3 Abs. 1 Satz 2 StGB; Strafvollzug bei Jugendlichen. | |
Sachverhalt | |
1 | |
Mit Eingabe vom 19. März 1986 hatte die amtliche Verteidigerin das Gesuch gestellt, es sei die Einschliessungsstrafe gemäss Art. 95 Ziff. 3 Abs. 1 StGB in einem Erziehungsheim zu vollziehen, weil die Einschliessungsdauer einen Monat überschreitet. Die Jugendanwaltschaft des Bezirkes Zürich wies das Gesuch mit Verfügung vom 11. April 1986 ab. Dieser Entscheid wurde durch die Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich im Rekursverfahren am 30. April 1986 bestätigt.
| 2 |
Dagegen richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, es seien die beiden vorgenannten Entscheide aufzuheben.
| 3 |
4 | |
aus folgenden Erwägungen: | |
5 | |
6 | |
7 | |
a) Die Vorinstanz stellte für den vorliegenden Fall zutreffend fest, der "erzwungene" Verzicht auf die vom Gericht unbedingt ausgesprochene Strafe sei nicht zu vertreten. Die Beschwerdeführerin ist eine jener jugendlichen Zigeunerinnen, die einzig zur Verübung von Straftaten in die Schweiz einreisen. Ob sie jünger oder älter als 18 Jahre (d.h. voll strafmündig) ist, konnte nicht mit hinreichender Sicherheit abgeklärt werden. Ein Kapitulieren in der Frage des Strafvollzuges hätte schwerwiegende Folgen und wäre insbesondere geeignet, "entsprechende Kreise im Ausland zu animieren, in der Schweiz ... noch vermehrt Diebstähle zu verüben". Die Beschwerdeführerin musste denn auch nach ihrer ersten bedingten Entlassung und Ausschaffung aus der Schweiz Ende Februar 1986 bereits am 4. März 1986 wegen neuer Straftaten verhaftet werden. Solange die passenden Heime nicht erstellt sind (dazu HUG, a.a.O. S. 107 oben), werden die Behörden in Fällen der vorliegenden Art um eine Ersatzlösung nicht herumkommen, bei der allerdings die unten in E. 3b aufzuzeigenden Gesichtspunkte beachtet werden müssen.
| 8 |
b) Die Behörden des Kantons Zürich haben nicht verkannt, dass eine für die Betroffene aussergewöhnliche Vollzugsform gewählt worden ist, und sie haben deshalb spezielle Vorkehren getroffen. Die Beschwerdeführerin befindet sich mit einer ebenfalls italienisch sprechenden jungen Frau in einer Gemeinschaftszelle, wo sie über einen Fernsehapparat verfügt, für den die Jugendanwaltschaft Kostengutsprache leistet. Zudem wird sie zusammen mit anderen Insassen zur Arbeit angehalten, die sie offenbar ohne besondere Schwierigkeiten verrichtet. Schliesslich haben die Behörden den gefängnispsychiatrischen Dienst der Klinik Rheinau ersucht, die jugendliche Straftäterin im Hinblick auf ihre Hafterstehungsfähigkeit zu "überwachen".
| 9 |
Bei der vorliegenden aussergewöhnlichen Vollzugsform ist ausschlaggebend, dass die Jugendliche nicht isoliert ist, zu einer Arbeitstätigkeit angehalten und regelmässig betreut wird. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich in Einzelfällen die Einweisung in ein Bezirksgefängnis verantworten, und es kann dann auch nicht von einem "unmenschlichen" Vollzug gesprochen werden, wie es die Verteidigung tut.
| 10 |
4. Der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, inwieweit die EMRK im vorliegenden Fall missachtet worden sein soll. Insbesondere wurde unter den konkreten Umständen Art. 5 Ziff. 1 lit. d EMRK nicht verletzt. Der Freiheitsentzug wurde in einem geregelten Verfahren angeordnet, hat eine materielle Grundlage und entspricht auch dem - weit auszulegenden - Zweckgedanken der überwachten Erziehung (TRECHSEL, Die Europäische Menschenrechtskonvention, ihr Schutz der persönlichen Freiheit und die schweizerischen Strafprozessrechte; Bern 1974, S. 189, 209).
| 11 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |