BGE 112 IV 34 | |||
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10. Urteil des Kassationshofes vom 7. Januar 1986 i.S. Sch. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 262 Ziff. 2 StGB. Störung des Totenfriedens. | |
Sachverhalt | |
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Ungefähr 1980/81 nahm er von einer Leiche eine Goldzahnbrücke weg und bewahrte dieses Objekt in der folgenden Zeit in seinem Büro auf. Sein Verhalten erklärte er damit, dass die herausragende Zahnbrücke, die er beim Präparieren der Leiche habe in den Mund zurückschieben wollen, abgebrochen sei. Er habe das Objekt dann aus wissenschaftlichem Interesse an sich genommen.
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B.- Sch. wurde am 5. September 1984 durch den Gerichtspräsidenten VII von Bern von der Anschuldigung des Diebstahls und der Störung des Totenfriedens freigesprochen.
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Auf Appellation der Staatsanwaltschaft wurde er vom Obergericht des Kantons Bern (2. Strafkammer) am 9. Juli 1985 der Störung des Totenfriedens im Sinne von Art. 262 Ziff. 2 StGB schuldig erklärt und zu einer Busse von Fr. 300.-- verurteilt. Das sichergestellte Objekt (Goldbrücke und Goldkrone) wurde gemäss Art. 58 StGB eingezogen.
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C.- Gegen das Urteil des Obergerichts führt Sch. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Dass auch künstliche Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen (Prothesen usw.) als Teile des Leichnams im Sinne von Art. 262 Ziff. 2 StGB dem strafrechtlichen Schutz unterstehen, wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten.
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b) Die Behändigung des hier in Frage stehenden Objektes und dessen Verwahrung im Büro von Sch. stellen eine Wegnahme dar. Die Zahnprothese wurde faktisch der Zugriffsmöglichkeit der Berechtigten (Angehörige, evtl. Organe des Pathologischen Institutes) entzogen und in den Gewahrsam des Beschwerdeführers verbracht. Dass er die alleinige Verfügungsmöglichkeit erhalte, war der Zweck des Vorgehens des Täters.
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c) Sch. war zu dieser Wegnahme nicht berechtigt und handelte ohne die Zustimmung des Berechtigten. Da sich nicht eruieren lässt, von welcher Leiche die Goldzahnbrücke weggenommen wurde, muss offenbleiben, wer als Berechtigter in Frage kam. Für die strafrechtliche Subsumtion genügt die Feststellung, dass eine Einwilligung des Berechtigten, wer das auch immer gewesen sein mochte, nicht vorlag. Wider den Willen des Berechtigten erfolgt jede Wegnahme, die ohne Zustimmung der Personen erfolgt, denen die Bewahrung und die Obhut über den Leichnam zusteht (HAFTER, BT II, S. 473). Die zivilrechtliche Natur der "Berechtigten" braucht hier nicht abgeklärt zu werden. Ob eine sachenrechtliche oder eher eine persönlichkeitsrechtliche, allenfalls auch eine öffentlichrechtliche Betrachtungsweise zutrifft (vgl. hiezu BGE 98 Ia 521 ff., BGE 101 II 177), ist für die Anwendung von Art. 262 Ziff. 2 StGB insoweit unwesentlich, als feststeht, dass im konkreten Fall eine Zustimmung des Berechtigten fehlte und die Wegnahme somit wider den Willen des Berechtigten erfolgte (vgl. dazu HAFTER in ZStR 1946 S. 395).
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Unter Berufung auf eine Äusserung von STRATENWERTH (BT II, 3. Aufl., S. 211) wird in der Nichtigkeitsbeschwerde die Auffassung vertreten, auch eine Bestrafung gemäss Ziff. 2 von Art. 262 StGB setze den Vorsatz der Verunehrung des Leichnams voraus (wie Ziff. 1); es müsse die Absicht bestanden haben, das Pietätsgefühl zu verletzen.
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STRATENWERTH wirft an der erwähnten Stelle die Frage auf, ob Ziff. 2 überhaupt nötig sei, nachdem Ziff. 1 bereits die Verunehrung des Leichnams mit Strafe bedrohe und damit Angriffe auf das Pietätsgefühl erfasse, soweit sie am Leichnam selbst verübt werden. Der in dieser Bemerkung zum Ausdruck kommende Gedanke, auch Ziff. 2 von Art. 262 StGB wolle lediglich bestimmte Formen der Verunehrung erfassen, entspricht nicht dem Wortlaut und kann auch nicht als ratio legis der Bestimmung angenommen werden. Weder subjektiv noch objektiv bildet die Verunehrung ein Tatbestandselement von Art. 262 Ziff. 2 StGB. Geschützt sind der Leichnam und die Asche des Toten gegen irgendwelche Zugriffe nicht berechtigter Personen. Die Wegnahme eines Leichnams oder eines Teils eines Leichnams oder der Asche ist unabhängig vom Motiv des Täters unter Strafe gestellt. Auch wenn Anhänger des Verstorbenen den Leichnam oder die Asche des Verstorbenen wider den Willen der Berechtigten (Angehörigen) wegnehmen, um die irdischen Überreste zum Gegenstand besonderer Verehrung machen zu können, so wäre dadurch der Straftatbestand des Art. 262 Ziff. 2 StGB erfüllt. Die Vorschrift erfasst aber auch das widerrechtliche Wegnehmen aus wissenschaftlichem Interesse. Unter Strafe gestellt wird jede Verfügung unbefugter Personen über Leichnam oder Asche. Weil es sich dabei nicht um gewöhnliche Sachen - res in commercio - handelt, sondern um Objekte, die nur in beschränktem Masse besonderen Rechtsbeziehungen unterworfen sein können, bedarf es eines besondern strafrechtlichen Schutzes gegen rechtswidrige Verfügungen; die Normen des strafrechtlichen Vermögensschutzes reichen nicht aus. Die Strafwürdigkeit ist gegeben, auch wenn der Täter weder sich unrechtmässig bereichern noch die Leiche verunehren will. Erfasst wird durch den gesetzlichen Straftatbestand jede eigenmächtige Verfügung eines Unbefugten.
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3. Der Beschwerdeführer hat durch die Wegnahme der Goldzahnbrücke als Unbefugter einen - wenn auch kleinen und unwesentlichen - Teil eines Leichnams weggenommen und damit den Tatbestand von Art. 262 Ziff. 2 StGB erfüllt. Subjektiv und objektiv handelt es sich dabei um eine geringfügige Verfehlung. Die grundsätzliche Strafbarkeit wurde jedoch zu Recht bejaht. Mit einer Busse ist das Delikt ausreichend geahndet. Gegen die Bemessung der Busse werden keine Einwendungen erhoben; es fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die Vorinstanz mit der Festsetzung der Busse auf Fr. 300.-- ihr Ermessen überschritten oder missbraucht haben könnte.
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