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6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. März 1987 i.S. S. gegen Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 93 Abs. 1 StGB. Änderung einer Massnahme. |
2. Die urteilende Behörde ist bei der Änderung einer Massnahme nur an die gesetzlichen Voraussetzungen gebunden, unter welchen die neue Massnahme überhaupt zulässig ist, und entscheidet im übrigen nach ihrem Ermessen (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Am 18. September 1986 änderte das Oberländische Jugendgericht die vom Jugendgerichtspräsidenten angeordnete Erziehungshilfe ab und verfügte die Unterbringung des S. in einem Erziehungsheim. Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 27. November 1986 in Anwendung von Art. 91 Ziff. 1 und Art. 93 ![]() | 2 |
Aus den Erwägungen: | |
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a) Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hat sich mit der Revision der jugendstrafrechtlichen Bestimmungen an der schon im früheren Art. 93 StGB vorgesehenen Möglichkeit, eine einmal angeordnete Massnahme durch eine andere, den Erziehungs- oder Behandlungsbedürfnissen des Jugendlichen besser angepasste zu ersetzen, grundsätzlich nichts geändert. Die Sanktionen des Jugendstrafrechts sind weiterhin ausschliesslich auf die Spezialprävention ausgerichtet (REHBERG, Grundriss, Strafrecht II 4. Aufl. S. 89 Ziff. 2), und es ist die Abänderbarkeit der Massnahmen auch heute noch einer der charakteristischen Züge des jugendstrafrechtlichen Massnahmerechts (BBl 1965 I 592; BOEHLEN, Kommentar zum schweizerischen Jugendstrafrecht, N. 3 zu Art. 86 in Verbindung mit N. 2 zu Art. 93). Dieser Gedanke ist denn auch im rev. Art. 93 Abs. 1 StGB verankert und hat seinen Niederschlag überdies in den Art. 93ter und 94 Ziff. 2 Abs. 1 in fine StGB gefunden. Der Hinweis der Vorinstanz auf BGE 80 IV 149 ist deshalb keineswegs verfehlt.
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Entsprechend der besonderen Zielrichtung der jugendstrafrechtlichen Massnahmen verpflichtet das Gesetz die vollziehende Behörde, die Erziehung und besondere Behandlung des Jugendlichen stets zu überwachen (Art. 93bis Abs. 1 StGB). Erweist sich dabei, dass die angeordnete Massnahme ihren Zweck nicht erfüllt, ist sie von der urteilenden Behörde zu ändern. Das ist nicht nur gegenüber dem ursprünglichen Entscheid möglich, sondern auch gegenüber einem Abänderungsurteil, wobei die Änderung in der Anordnung einer im Verhältnis zur bisherigen mehr oder weniger eingreifenden Massnahme bestehen kann (BOEHLEN, op.cit. N. 3 zu Art. 86 in Verbindung mit N. 2 zu Art. 93; SCHULTZ, Einführung in den AT des Strafrechts II, 4. Aufl. S. 247). Dass die urteilende Behörde - wie der Beschwerdeführer meint - eine Massnahme nur so lange ändern dürfte, als der Jugendliche noch "strafunmündig" ist, lässt sich weder dem Wortlaut noch dem ![]() | 5 |
b) Art. 93 Abs. 1 StGB weist in seiner revidierten Fassung die Befugnis zur Änderung einer getroffenen Massnahme der "urteilenden" Behörde zu. Damit wurde die frühere Regelung, die von der "zuständigen" Behörde sprach, lediglich zum Zweck der Unterscheidung der urteilenden von der vollziehenden Behörde geändert, um klarzumachen, dass Entscheide, durch welche eine jugendstrafrechtliche Massnahme abgeändert wird, eine inhaltliche Änderung eines früheren Urteils bewirken und daher ihrerseits Urteilscharakter haben mit der Folge, dass sie gleich jenem mit den durch das kantonale Verfahrensrecht gegebenen Rechtsmitteln und in letzter Instanz mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden können (Sten.Bull. N 1969, 131; S 1970 S. 109 und 435 f.). Im übrigen aber blieb es den Kantonen anheimgestellt, die urteilende Behörde im Sinne des Art. 93 StGB zu bezeichnen (Art. 369 StGB). Insoweit sind demnach die Kantone in der Organisation der Jugendrechtspflege frei. Da zu dieser die Änderung von Massnahmen gemäss Art. 93 StGB gehört, bestimmt auch das kantonale Recht, welche Behörde diesen Entscheid zu fällen hat, wenn der Jugendliche inzwischen strafmündig geworden ist. Aus Art. 1 Abs. 4 VStGB (1) ergibt sich entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nichts, was zu einem andern Schluss führen müsste. Diese Bestimmung regelt den Fall, dass der Täter sich teils vor, teils nach dem zurückgelegten 18. Altersjahr ![]() | 6 |
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Wie der Kassationshof schon unter der Herrschaft der früheren Fassung des Art. 93 Abs. 1 StGB - die anlässlich der Revision von 1971 (Inkrafttreten 1.1.1974) bloss geringfügig abgeändert wurde (s. hierzu BOEHLEN, op.cit. N. 1 zu Art. 93) - entschieden hat, ist die urteilende Behörde bei der Änderung der getroffenen Massnahme nur an die gesetzlichen Voraussetzungen gebunden, unter welchen die neue Massnahme überhaupt zulässig ist, und entscheidet sie im übrigen nach ihrem Ermessen (BGE 80 IV 149 E. 2, s. auch BGE 99 IV 138 E. 2, BGE 96 IV 13 E. 3, BGE 88 IV 98 E. 2). Voraussetzung für die Anordnung einer Einweisung in ein Erziehungsheim ist nach Art. 91 Ziff. 1 StGB, dass der Jugendliche einer besonderen erzieherischen Betreuung bedarf. Dass diese Voraussetzung in casu erfüllt ist, steht nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz über das Verhalten des S. seit Juli 1984 ausser jedem Zweifel; aus ihren eingehenden Erwägungen ergibt sich nämlich, dass die vom Jugendgerichtspräsidenten des Oberlandes angeordnete Erziehungshilfe trotz intensiver Betreuung des S. durch die vollziehende Behörde und vorbildlicher Bemühungen des Lehrmeisters klarerweise versagt hat.
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Der Einwand aber, der Beschwerdeführer sei in keiner Weise motiviert und habe sich konsequent und regelmässig gegen eine Anstaltseinweisung ausgesprochen, ist unbehelflich. Angesichts seines bisherigen Verhaltens kann diese Einstellung nicht dazu führen, von der durch die kantonalen Behörden angeordneten Massnahme abzusehen; der Eingewiesene soll nicht durch schlechte Führung sich der Anstaltseinweisung entziehen und eine weniger eingreifende Massnahme erzwingen können, wenn er diese für vorteilhafter hält (BGE 96 IV 15). Im vorliegenden Fall ruft das wiederholte Versagen des Beschwerdeführers geradezu einer Fortsetzung seiner erzieherischen Betreuung mit den Mitteln einer anstaltlichen Disziplin.
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