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9. Urteil des Kassationshofes vom 10. Juni 1988 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen E. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 110 Ziff. 5 und 251 Ziff. 2 StGB. Urkundencharakter von Fotokopien. | |
Sachverhalt | |
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B.- Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft sprach E. mit Urteil vom 24. August 1987 von der Anklage der Urkundenfälschung und des Betruges frei.
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In teilweiser Gutheissung einer Appellation der Staatsanwaltschaft sprach das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft am 8. Dezember 1987 E. des vollendeten Betrugsversuchs (Art. 148 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit zwei Monaten Gefängnis bedingt; den Freispruch vom Vorwurf der Urkundenfälschung bestätigte es sinngemäss.
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Erwägungen: | |
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Dass im vorliegenden Fall der Fotokopie Beweisbestimmung zukam, ergibt sich aus deren Zusendung an die Garage und den Briefen vom 23. September und 8. Oktober 1986, die auf die im Steuerinventar ausgewiesene Erbschaft verweisen; das Steuerinventar sollte die Solvenz des Beschwerdegegners beweisen. Zu prüfen bleibt, ob der fraglichen Fotokopie auch die Beweiseignung bzw. eine erhöhte Beweisfunktion zuzuerkennen sei.
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b) Entgegen der in der schweizerischen Lehre zum Teil vertretenen und in Deutschland und Österreich vorherrschenden wissenschaftlichen Meinung sowie einer Tendenz, die sich in der Rechtsprechung der beiden letzteren Länder abzuzeichnen beginnt (KIENAPFEL, Urkunden und andere Gewährschaftsträger, S. 102; derselbe in ZStR 1981 S. 25 f.), stellte sich das Bundesgericht bisher auf den Standpunkt, dass Beweiseignung im Sinne von Art. 110 Ziff. 5 StGB einer Schrift nicht nur dann zukomme, wenn ihr diese durch Gesetz, sondern auch dann, wenn sie durch Verkehrsübung zuerkannt wird (BGE 102 IV 34; BGE 101 IV 279). Unter diesem Gesichtspunkt wurde der Urkundencharakter von Kopien ![]() | 8 |
c) Das Gesetz will mit den Tatbeständen des Urkundenstrafrechts das Vertrauen schützen, das im Rechtsverkehr einer Urkunde als einem Beweismittel entgegengebracht wird (HÄFLIGER, Probleme der Falschbeurkundung, in ZStR 1958 S. 404). Dieses Vertrauen ist u.a. abhängig von allgemeinen Umständen (technische Entwicklung im Reproduktionswesen, Tendenzen in der Abwicklung von Geschäftstransaktionen usw.) sowie von den Gegebenheiten des Einzelfalles (Art und Beschaffenheit des Schriftstücks; Zweck, für den es als Beweismittel eingesetzt wird). Die Verwendung von Fotokopien ist im heutigen Rechtsverkehr aufgrund der allgemeinen Verbreitung der entsprechenden Technik nicht mehr wegzudenken. Nicht zuletzt dank der Möglichkeit, ein - gegenüber den früheren Methoden - präziseres bzw. mit dem Original inhaltlich und formmässig identisches Doppel herzustellen, geniessen Fotokopien im Geschäftsverkehr allgemeines Vertrauen und werden nach der geltenden Übung als Beweismittel in der Regel anerkannt. Die Frage einer Beglaubigung stellt sich im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nicht, sondern erlangt lediglich bei Geschäften von ausserordentlicher Tragweite Bedeutung. Daran ändert nichts, dass die Verfälschung von Fotokopien leicht zu bewerkstelligen ist. Das Vertrauen, welches der Fotokopie heute im Geschäftsleben ganz allgemein entgegengebracht wird, ist daher grundsätzlich als schützenswert im Sinne des Urkundenstrafrechts zu bezeichnen.
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In casu geht es um die Beweiseignung der Fotokopie einer öffentlichen Urkunde. Bei Geschäftsvorgängen der vorliegenden Art widerspricht es der geltenden Übung, eine öffentliche Urkunde im Original einzureichen, ganz abgesehen davon, dass die Steuerämter in einem solchen Fall nur ein Original zu erstellen und den Erbschaftsanwärtern eine Kopie zu versenden pflegen. Der Benützer der Fotokopie weiss, dass deren Wahrheitsgehalt bei dem aus der Kopie ersichtlichen Aussteller (wie hier beim Steueramt) jederzeit und ohne Schwierigkeiten nachgeprüft werden kann; er wird sich deshalb in der Regel hüten, eine derart leicht eruierbare ![]() | 10 |
d) Der Beschwerdegegner übersandte die Fotokopie des Steuerinventars im Zusammenhang mit dem geplanten Kauf eines Occasionswagens Saab 900 Turbo DOHC der betreffenden Autogarage. Ihre Beweisbestimmung (Beleg seiner Solvenz aufgrund einer anfallenden Erbschaft) ist unbestritten. Bei diesem Autokauf handelt es sich um ein Geschäft üblichen Durchschnitts, wobei auf Fotokopien, die geeignet sind, die Solvenz des Käufers zu belegen, in der Regel abgestellt wird, auch wenn sie nicht beglaubigt sind. Dass der verantwortliche Geschäftsführer trotzdem den Wahrheitsgehalt nachprüfte, ist dabei unerheblich. Der vom Beschwerdegegner eingereichten Fotokopie kann somit auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles die vom Gesetz verlangte Beweiseignung zuerkannt werden.
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e) Beim Strafschutz von Fotokopien geht es nicht darum, die "Leichtgläubigkeit und Nachlässigkeit im Geschäftsverkehr" zu unterstützen, wie die Vorinstanz meint. Der von ihr zitierten Lehrmeinung, den Beteiligten im Rechtsverkehr sei zur Wahrung dessen Sicherheit ein gewisser Standard an "eigener Wachsamkeit und Sorge abzuverlangen", kann zwar durchaus beigepflichtet werden. Die im Geschäftsverkehr Verantwortlichen werden denn auch alles Interesse daran haben, zur Verhinderung eines allfälligen Vermögensschadens gewisse Abklärungen vorzunehmen, wie dies der Geschäftsführer der betreffenden Garage tatsächlich getan hat. Vorliegend steht indessen nicht der Schutz des Vermögens zur Diskussion, sondern der Schutz des Vertrauens, das einer Urkunde nach der Verkehrsübung und den Umständen entgegengebracht wird. Dass dieses Vertrauen im vorliegenden Fall ein schützenswertes im Sinne des Urkundenstrafrechts ist, untersteht nach dem Gesagten keinem Zweifel.
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