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39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Juli 1988 i.S. H. gegen Generalprokurator des Kantons Bern | |
Regeste |
Art. 397 StGB; Art. 6 Ziff. 2 EMRK; Art. 2, 4 und 6 der Verordnung über das Strafregister; Verjährung, Strafregistereintrag bei erneuter Verurteilung im wiederaufgenommenen Verfahren. |
Im wiederaufgenommenen Verfahren gilt aufgrund von Art. 397 StGB das Verbot der reformatio in peius (E. 3a), und zwar auch hinsichtlich der Eintragung des Urteils in das Strafregister (E. 3b). Es ist Sache des Richters, im neuen verurteilenden Erkenntnis zum Ausdruck zu bringen, dass dieses registerrechtlich so zu behandeln ist, wie wenn es im Zeitpunkt des aufgehobenen gefällt worden wäre (E. 3c). | |
Sachverhalt | |
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H. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Aus den Erwägungen: | |
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2. a) Das Bundesgericht hat in BGE 85 IV 169 angenommen, das Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten verfolge den Zweck, das frühere Urteil, sofern ihm ein Justizirrtum zugrunde liegt, rückwirkend zu beseitigen und den zu Unrecht Verurteilten freizusprechen oder milder zu bestrafen. Würde die Verfolgungsverjährung im Revisionsverfahren wieder aufleben, so ![]() | 4 |
Das Bundesgericht folgte mit diesem Entscheid der in der Literatur herrschenden Auffassung (CLERC, ZStR 61/1946, S. 245; PFENNINGER, ZStR 70/1955, S. 59; WAIBLINGER, ZStR 75/1960, S. 393), welche auch später nicht in Frage gestellt worden ist (vgl. SCHULTZ, ZBJV 97/1961, S. 172 f.; ADAM-CLAUS ECKERT, Die Wiederaufnahme des Verfahrens im schweizerischen Strafprozessrecht, Berlin 1974, S. 104; PIQUEREZ, Traité de procédure pénale bernoise et jurassienne II, N 1021). Sie entspricht auch der in der deutschen Doktrin vertretenen Meinung, dass bei Wiederaufnahme zugunsten eines Verurteilten die Zeit zwischen Verurteilung und Wiederaufnahmebeschluss in die Verjährungsfrist nicht einbezogen wird (SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE, 23. Aufl., § 78a N 15; LÖWE/ROSENBERG/GÖSSEL, 24. Aufl., § 370 N 35 ff.).
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Das Argument, bei Verjährungseintritt während des Rechtsmittelverfahrens erfolge ebenfalls Einstellung, verfängt nicht. Zum einen gilt dies ohnehin nur bei ordentlichen Rechtsmitteln (BGE 92 IV 172 E. b, BGE 111 IV 91 E. b); die Wiederaufnahme steht aber einem ausserordentlichen Rechtsmittel näher. Zum andern besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten und einem ordentlichen Rechtsmittelverfahren. Im ersteren geht es, wie in E. 2a dargelegt, darum, ob die frühere rechtskräftige Verurteilung zu ![]() | 7 |
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a) Art. 397 StGB enthält für die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten einen bundesrechtlichen Revisionsgrund im Sinne einer Minimalvorschrift an die Kantone, denen im übrigen die Ordnung dieses Rechtsmittels obliegt (BGE 69 IV 137). Das Gesetz spricht sich nicht ausdrücklich darüber aus, ob für das wiederaufgenommene Verfahren das Verbot der reformatio in peius gilt. Die Frage ist jedoch aufgrund des Zweckes von Art. 397 zu bejahen: Sieht das Bundesrecht eine Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten vor, so wäre es ein Widerspruch in sich selbst, wenn das im wiederaufgenommenen Verfahren ergangene Urteil für den Betroffenen schlechter ausfallen könnte als das aufgehobene. Daraus folgt, dass das Verbot der reformatio in peius im Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten von Bundesrechts wegen aufgrund von Art. 397 StGB gegeben ist (CLERC, a.a.O., S. 246; im Ergebnis ebenso WAIBLINGER, a.a.O., S. 406 FN 71; SCHULTZ, ZBJV 97/1961, S. 173; vgl. auch NICOLAUS BERNOULLI, Das Verbot der reformatio in peius im schweizerischen Strafprozessrecht, Diss. Zürich 1953, S. 26; PIQUEREZ, a.a.O., N 1020; ECKERT, a.a.O., S. 108 f.).
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Dem könnte BGE 86 IV 77 entgegenstehen. Hier wurde angenommen, es sei nicht bundesrechtswidrig, dass der Revisionsrichter bei der Würdigung des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse des Täters auch Umstände berücksichtige, die erst nach dem früheren Urteil eingetreten seien. Das Bundesgericht hat jedoch in jenem Fall zur Frage der reformatio in peius nicht ausdrücklich Stellung genommen. Vielmehr ist es davon ausgegangen, dass es unzweckmässig wäre, in Fällen wie dem damals beurteilten, wo die früher ausgesprochene Strafe bedingt aufgeschoben wurde, später aber vollziehbar erklärt werden musste, im Revisionsverfahren nur auf den zur Zeit des früheren Urteils bekannten Sachverhalt abzustellen und nachträglich im Widerrufsverfahren die Gewährung des bedingten Strafvollzuges wieder rückgängig zu machen, anstatt ihn schon bei der Ausfällung des neuen Urteils zu verweigern. In der Doktrin ist wohl zu Recht darauf hingewiesen ![]() | 10 |
b) Ohne das Wiederaufnahmeverfahren wäre es beim Eintrag des Urteils vom 21. Januar 1977 geblieben. Die Löschungsfrist wäre ab diesem Datum zu berechnen gewesen. Wird dagegen das im wiederaufgenommenen Verfahren ergangene Urteil vom 15. Dezember 1987 eingetragen, so würde sich der Beginn der Löschungsfrist um rund zehn Jahre verschieben. Dies ist mit dem Verbot der reformatio in peius nicht zu vereinbaren. Vielmehr ist das am 15. Dezember 1987 ausgesprochene Urteil registerrechtlich so zu behandeln, wie wenn es bereits im Zeitpunkt des aufgehobenen Urteils (21. Januar 1977) ausgesprochen worden wäre. Dafür spricht auch, dass mit dem wiederaufgenommenen Verfahren der status quo ante wiederhergestellt werden soll (WAIBLINGER, a.a.O., S. 407). Es wäre in der Tat unhaltbar, dass derjenige, der unter Umständen nach vielen Jahren im Wiederaufnahmeverfahren erneut, wenn auch gegebenenfalls milder bestraft wird, mit einem neuen Strafregistereintrag belastet würde.
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c) Bleibt zu prüfen, wie diesem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen ist. Das Obergericht vertritt die Ansicht, die Kompetenz zur Löschung eines Eintrages liege bei der zuständigen Verwaltungsbehörde.
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Gemäss Art. 2 der Verordnung über das Strafregister (SR 331) sind alle ausgesprochenen eintragungspflichtigen Urteile der Strafregisterbehörde mitzuteilen, ebenso die Tatsachen, die eine Änderung der Eintragungen herbeiführen oder den Vollzug der Strafen oder Massnahmen betreffen. Die kantonale Amtsstelle trägt die eintragungspflichtigen Tatsachen in das kantonale Strafregister ein und leitet die Meldung unverzüglich an das schweizerische Zentralpolizeibüro weiter, welches die ihm gemeldeten Tatsachen in das Zentralstrafregister einträgt (Art. 4). Gemäss Art. 6 prüft der Registerbeamte die eingehenden Urteilsmeldungen auf die Vollständigkeit der Angaben.
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Daraus folgt, dass der Registerführer im Prinzip an die Urteilsmitteilung durch das kantonale Gericht gebunden ist. Es ist deshalb Sache des Richters, der im wiederaufgenommenen Verfahren ein neues verurteilendes Erkenntnis spricht, dafür besorgt zu sein, dass das Verbot der reformatio in peius auch in bezug auf den ![]() | 14 |
Da sich das Obergericht zu dieser Frage nicht abschliessend geäussert hat, ist sein Entscheid in diesem Sinne zu präzisieren. Das Bundesrecht verlangt jedoch nicht, dass diese Erwägung im Dispositiv seinen Niederschlag finden müsse. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist deshalb in diesem Punkt im Sinne der Erwägungen abzuweisen.
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