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10. Urteil des Kassationshofs vom 1. März 1989 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 229 StGB; Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde. |
2. Der Begriff des Bauwerkes im Sinne von Art. 229 StGB ist weit zu fassen. Zur Ausführung eines solchen gehören auch Bauarbeiten auf dem Vorplatz eines im Rohbau fertiggestellten Gebäudes (E. 2b). |
3. Unsorgfältiges Manövrieren mit einem Bagger als Verletzung der Regeln der Baukunde, jedenfalls bei Verwirklichung einer bautypischen Gefahr; sinngemässe Anwendung der Vorschriften des Strassenverkehrsrechts (E. 2c). | |
Sachverhalt | |
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Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte X. am 3. Mai 1988 wegen fahrlässiger Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde zu einer Busse von Fr. 200.--.
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Gegen dieses Urteil führt X. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
1. a) Nach den Feststellungen der Vorinstanz spielte sich der Unfall wie folgt ab: Der Beschwerdeführer hatte den Auftrag, den Vorplatz des im Rohbau fertiggestellten Gebäudes mit einer Kiesschicht zu versehen. Um mit dem Bagger auf diesen Vorplatz zu gelangen, musste er vorerst einen Bauschutthügel beseitigen, der sich rechts neben dem Unfallschacht befand. Während dieser Arbeit konnte er beobachten, wie der Lehrling Y. am fraglichen Schacht seinen Arbeitsplatz einzurichten begann und sich, offenbar um Material zu holen, wieder entfernte. Nachdem der Beschwerdeführer am Schacht vorbeigefahren war, bewegte er, ohne sich zu vergewissern, ob sich der Lehrling erneut beim Schacht befinde, das Fahrzeug um ca. einen Meter zurück, so dass er wieder sehr nahe beim Schacht zu stehen kam. Er nahm an, wegen der Höhe des Baggeraufbaus würde er bei einer Drehung den Schacht nicht berühren. An den Lehrling dachte er in diesem Moment nicht. Beim Abdrehen der vollen Baggerschaufel nach rechts ![]() | 4 |
Die Vorinstanz ging in rechtlicher Hinsicht sinngemäss davon aus, Vorbereitungsarbeiten zur Erstellung eines Vorplatzes fielen unter Art. 229 StGB. Spezielle Vorschriften seien in den Richtlinien der SUVA für die Benützung von Erdbewegungsmaschinen enthalten. Diese Richtlinien enthielten aber ausser dem Hinweis auf die Anwendbarkeit des SVG keine Vorschriften, die für den vorliegenden Fall von Bedeutung seien. Nebst schriftlich festgelegten seien jedoch auch alle nach dem Stand des Erfahrungswissens unbestrittenen Regeln zu beachten, insbesondere die Pflicht zur Überwachung der Gefahr, die durch die Maschine und ihre spezielle Funktion auf dem Bauplatz geschaffen werde. Dieser Pflicht habe der Beschwerdeführer nicht hinreichend Rechnung getragen, da er sich beim fraglichen Rückfahrmanöver nicht vergewissert habe, dass sich niemand in unmittelbarer Nähe des Baggers aufhalte.
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b) Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, Art. 229 StGB sei nicht anwendbar, da keine Verletzung der Regeln der Baukunde vorliege; vielmehr sei eine Tätigkeit zu beurteilen, die unter die Herrschaft des SVG falle, "respektive unter Art. 17 VRV, welcher unbestrittenermassen verletzt wurde".
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a) Zunächst ist festzuhalten, dass das Verhalten des Beschwerdeführers entgegen seiner Behauptung jedenfalls nicht unter das SVG fällt. Denn dieses Gesetz gilt nur für den Verkehr auf öffentlichen Strassen (Art. 1 SVG). Im vorliegenden Fall wurde keine Baumaschine auf der Strasse bewegt, und es geht nicht einmal um eine Baustelle auf oder im unmittelbaren Bereich einer Strasse. Deshalb käme eine Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Verletzung von Art. 17 VRV von vornherein nicht in Betracht. Ob die Regeln des Strassenverkehrsrechts gegebenenfalls analog heranzuziehen sind, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, ob der Führer einer Baumaschine bei der Ausführung eines Bauwerkes die anerkannten Regeln der Baukunde beachtet hat, wird weiter unten (E. 2c) zu prüfen sein.
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c) Der Beschwerdeführer macht geltend, ihm könne höchstens unsorgfältiges Rückwärtsfahren im Sinne von Art. 17 VRV vorgeworfen werden, worin aber keine Verletzung der Regeln der Baukunde liege.
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Wie in E. 2a bereits dargelegt, kommt eine direkte Anwendung der Bestimmungen des Strassenverkehrsrechts und insbesondere von Art. 17 VRV nicht in Frage. Dies schliesst jedoch nicht aus, dass im Rahmen der anerkannten Regeln der Baukunde beim Einsatz von Baumaschinen analog auf Überlegungen zurückgegriffen werden kann, die im Strassenverkehrsrecht entwickelt wurden. Geht man von einem weiten Begriff des Bauwerkes aus und bezieht man insbesondere unter den Begriff der Ausführung eines Bauwerkes alle Arbeiten im Zusammenhang mit dem Bauwerk ein, für den vorliegenden Fall also alle Arbeiten im Zusammenhang mit dem Vorplatz, dann fallen auch sämtliche Manöver mit einer Baumaschine unter Art. 229 StGB. Bei der Frage, welche Sorgfaltspflichten der Baggerführer in concreto zu beachten hat, ist deshalb - gegebenenfalls modifiziert im Hinblick auf die ![]() | 11 |
Zwar trifft es zu, dass sich der vorliegende Fall von BGE 90 IV 246 dadurch unterscheidet, dass beim heute zu beurteilenden Sachverhalt durch den Bagger nicht eine Anlage beschädigt wurde, die mit Grund und Boden verbunden war, sondern einzig ein unvorsichtiges Manöver mit einer Baumaschine vorgenommen wurde. Wenn aber alle Bauarbeiten auf einem Bauplatz in den Schutzbereich von Art. 229 StGB einbezogen werden, kann es nicht darauf ankommen, ob das Bauwerk selbst beeinträchtigt wurde (was z.B. für die Anwendung von Art. 227 StGB relevant wäre). Entscheidend ist vielmehr, dass Art. 229 StGB Leib und Leben aller Menschen schützen will, die im Zusammenhang mit einem Bau betroffen werden können, insbesondere aber alle am Bau beteiligten Mitarbeiter (vgl. STRATENWERTH, a.a.O., S. 121). Ob diese direkt durch ein Werkzeug oder eine Baumaschine gefährdet werden oder nur indirekt dadurch, dass das unsachgemässe Vorgehen wie in BGE 90 IV 246 eine Explosion bewirkt, ist für die Anwendung von Art. 229 StGB unerheblich.
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