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9. Urteil des Kassationshofes vom 21. Februar 1990 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen D. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 238 Abs. 2, Art. 239 Ziff. 2 StGB. |
2. Wer eine Eisenbahn während über einer Stunde am ordnungsgemässen Betrieb hindert, stört diesen in gravierender Weise. | |
Sachverhalt | |
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Der Einzelrichter in Strafsachen am Bezirksgericht Uster büsste D. am 3. Mai 1988 wegen fahrlässiger Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, im Sinne von Art. 239 Ziff. 2 StGB mit Fr. 300.--. Am 8. November 1988 bestätigte die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich dieses Urteil.
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Dagegen richtet sich die vorliegende eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil sei wegen Verletzung von Art. 239 Ziff. 2 StGB (infolge von Art. 238 Ziff. 2 StGB) aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Angeklagten wegen Verletzung einer Verkehrsregel im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 SVG an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Das Bundesgericht entschied in BGE 72 IV 68 ff., eine fahrlässige Gefährdung des Eisenbahnverkehrs, die unerheblich und daher nach Art. 238 Abs. 2 StGB nicht strafbar sei, dürfe nicht als fahrlässige Gefährdung des Eisenbahnbetriebes nach Art. 239 ![]() | 5 |
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b) Das Bundesstrafrecht (BStR) von 1853 enthielt mit Art. 67 eine umfassende Vorschrift über "Beschädigung und Gefährdung von Post- oder Eisenbahnzügen" (Wortlaut in BGE 54 I 53), die sich nur auf die Sicherheit von Personen und Waren im Eisenbahnverkehr, also auf die Verkehrsgefährdung bezog. Nach Ansicht des Bundesrates war diese Bestimmung insbesondere deshalb mangelhaft, weil das Transportmittel selber von der Strafnorm nicht erfasst wurde (vgl. BBl 1900 Bd. IV S. 157 ff.). Was die im Jahre 1902 revidierte Fassung von Art. 67 BStR betrifft (wesentlicher Wortlaut in BGE 54 I 53 /54), stellte das Bundesgericht fest, der Gesetzgeber habe mit dieser Bestimmung jedes schuldhafte Verhalten unter Strafe stellen wollen, "welches den technischen Bahnbetrieb in irgend einer Beziehung derart in seinem planmässigen Verlaufe stört, dass dadurch eine erhebliche Gefahr für irgend ein Rechtsgut begründet wird" (BGE 54 I 55). Geschütztes Rechtsgut der neuen Bestimmung war also wieder nur die Verkehrssicherheit (vgl. auch BGE 54 I 296 /297 E. 2a, 360, 361/362 E. 1, BGE 58 I 218 /219). Das alte Recht kannte somit keine der heutigen allgemeinen Norm von Art. 239 StGB entsprechende Bestimmung.
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Der Vorentwurf des Bundesrates für ein Schweizerisches Strafgesetzbuch enthielt demgegenüber als Art. 204 und 205 die heutige Unterteilung der Straftatbestände in Störung des Eisenbahnverkehrs und Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen; im Unterschied zur heutigen Regelung sollte bei beiden Bestimmungen die fahrlässige Tatbegehung in jedem Fall mit Gefängnis oder Busse bestraft werden (BBl 1918 IV S. 169). Der Bundesrat ![]() | 8 |
Die Mehrheit der nationalrätlichen Kommission stimmte dieser Regelung im wesentlichen zu, während eine Minderheit die fahrlässige Störung des Eisenbahnverkehrs nur in der heute geltenden qualifizierten Form, d.h. bei einer erheblichen Gefährdung bestraft wissen wollte (Sten.Bull. 1929 N 439/440). Es ging ihr in Anlehnung an die bisherige gesetzliche Regelung darum, dass insbesondere bei den Strassenbahnen der Wagenführer wegen der dem Stadtverkehr immanenten Gefahren oft in eine Lage komme, "bei der man formell von einer Fahrlässigkeit sprechen kann, wobei es sich aber trotzdem nicht um Fahrlässigkeit handelt" (Votum Farbstein, S. 441). In bezug auf die fahrlässige Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, wollte die Kommissionsminderheit die Strafbarkeit aus "logischen" (d.h. mit den vorgesehenen Strafrahmen zusammenhängenden) Gründen generell streichen oder jedenfalls mildern, da die vorsätzliche Begehung dieses Deliktes nur mit Gefängnis, die vorsätzliche Störung des Eisenbahnverkehrs jedoch mit Zuchthaus bestraft werde (Votum Farbstein, S. 442). Bundesrat Häberlin widersprach dieser Ansicht, da es unbedingt nötig sei, auch die fahrlässige Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, unter Strafe zu stellen; was die Frage der Störung des Eisenbahnverkehrs betraf, schloss er sich der Kommissionsminderheit an, da die Bestrafung jeglicher Fahrlässigkeit bei diesem Delikt "nur Weiterungen bringen" würde und sich die bis anhin geltende Regelung "bewährt" habe (Votum Häberlin, S. 442).
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In der Folge äusserte sich zunächst Perrin, der - nur bezüglich der Störung des Eisenbahnverkehrs - den Minderheitsantrag befürwortete, insbesondere um zu vermeiden, dass Bahnbeamte, die 20 oder 30 Jahre ausgezeichnete Dienste geleistet haben, wegen leichter Vergehen ("peccadilles") bestraft werden könnten (Votum Perrin, S. 442/443). Seiler opponierte in bezug auf diese Frage nicht, wehrte sich aber gegen den Minderheitsantrag, die fahrlässige Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, straflos zu lassen oder nur als Übertretung zu ahnden, denn es gehe um "derart wichtige Dinge" und die Legaldefinition der Fahrlässigkeit garantiere, "dass nicht jede Unvorsichtigkeit als strafbare Fahrlässigkeit behandelt werden" könne; deshalb sei in diesem Punkt ![]() | 10 |
Aus dem Gesagten erhellt, dass das Parlament zwar tatsächlich unerhebliche Verkehrsgefährdungen namentlich im Interesse der Eisenbahner straflos lassen wollte; dagegen war von einer derartigen Regelung im Falle der Betriebsgefährdung nicht die Rede, sondern hielten die obsiegenden Votanten mit Nachdruck und ausdrücklich an der bundesrätlichen Fassung fest, die jede fahrlässige Betriebsgefährdung strafbar wissen wollte. Entgegen der in BGE 72 IV 70 geäusserten Ansicht ergibt sich also auch aus den Materialien nicht, dass eine unerhebliche Verkehrsgefährdung nicht als fahrlässige Betriebsgefährdung bestraft werden dürfte.
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c) Die in BGE 72 IV 68 ff. vertretene Auffassung überzeugt aber auch aus einem anderen Grund nicht, denn sie führt zum (nach TRECHSEL, a.a.O., N 12 zu Art. 238) "widersinnigen" Ergebnis, dass Betriebsstörungen, welche sich in einer Gefährdung der Verkehrssicherheit auswirken, nur bei Erheblichkeit der Gefährdung strafbar sind, Betriebsstörungen, welche die Verkehrssicherheit nicht aufs Spiel setzen, jedoch immer (BGE 72 IV 70).
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d) GÜNTER STRATENWERTH vertritt die Auffassung, die Lösung des Problems liege darin, die Anforderungen für die Anwendung von Art. 239 StGB zu erhöhen, also eine Störung des "Gesamtbetriebes" in zumindest wesentlichem Umfang zu verlangen (Schweizerisches Strafrecht, BT II, 3. Aufl. 1984, § 34 N 42 in fine i.V. mit N 35; ebenso TRECHSEL, a.a.O., N 5 zu Art. 239). Nach Ansicht von VITAL SCHWANDER fallen denn auch "Bagatellfälle" nicht unter Art. 239 StGB (Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Nr. 683c Ziff. 5). Diese Ansicht deckt sich im wesentlichen mit der oben zitierten Auffassung von Nationalrat Seiler.
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In BGE 78 IV 12 ff. ging es um einen Fahrzeuglenker, der mit seinem Auto in angetrunkenem Zustand zwei Masten einer elektrischen Freileitung "beschädigt" hatte, davon einen "leicht"; der ![]() | 14 |
Auch der vorliegende Fall stellt eine erhebliche Störung des gesamten Betriebes der Forchbahn dar. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wurde der fahrplanmässige Verkehr während 1 1/2 Stunden gestört, sodass der Transport der Fahrgäste durch Taxis übernommen werden musste. Wer eine Bahn während über einer Stunde am ordnungsgemässen Betrieb hindert, stört diesen in gravierender Weise. Von einer Bagatelle kann schon gar nicht die Rede sein (ebenso HANS SCHULTZ, Rechtsprechung und Praxis im Strassenverkehr in den Jahren 1973-1977, Bern 1979, S. 61 f. für die durch eine Kollision zwischen Auto und Strassenbahn verursachte Verspätung von 3/4 Stunden; a.A. jedoch TRECHSEL, a.a.O., N 5 zu Art. 239).
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