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39. Urteil des Kassationshofes vom 12. September 1990 i.S. A. und B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 173 StGB; üble Nachrede, Gutglaubensbeweis. | |
Sachverhalt | |
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Das Bezirksgericht Aarau verurteilte A. und B. wegen übler Nachrede je mit einer Busse von Fr. 200.--. Eine Berufung der Verurteilten wies das Obergericht des Kantons Aargau am 8. Januar 1990 ab.
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Gegen das obergerichtliche Urteil führen A. und B. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zu ihrer Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde, verzichtete jedoch unter Hinweis auf die Erwägungen der Vorinstanz auf Gegenbemerkungen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Die Vorinstanz warf dem Beschwerdeführer A. vor, auch wenn er geltend mache, die von den Asylbewerbern Y. und Z. erhobenen Vorwürfe seien für ihn kein Novum gewesen, weil er schon zahlreiche ähnliche Fälle erlebt habe, hätte er nicht allein auf die Aussagen der beiden Asylbewerber abstellen dürfen, um derart schwerwiegende Vorwürfe zu erheben; vielmehr hätte er weitere Abklärungen vornehmen müssen, um zur Überzeugung gelangen zu können, dass diese Aussagen der Wahrheit entsprächen; er hätte Einsicht in die Protokolle nehmen oder mit den befragenden Polizisten, den Dolmetschern und deren Vorgesetzten Kontakt aufnehmen können.
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Für die Beschwerdeführerin B. galt gemäss dem vorinstanzlichen Urteil das gleiche wie für A.; sie hätte überdies nicht allein auf die Schilderungen von A. abstellen dürfen, sondern wäre verpflichtet gewesen, selbst entsprechende Abklärungen vorzunehmen, um sich zu überzeugen, dass die geschilderten Missstände der Wahrheit entsprachen; sie habe selbst zugegeben, die Asylbewerber Y. und Z. nicht persönlich zu kennen und sie nie gesehen zu haben; gleichwohl habe sie als Juristin die Aufsichtsbeschwerde ![]() | 10 |
b) Art und Umfang der Informations- und Prüfungspflicht richten sich u.a. danach, ob der den Entlastungsbeweis führende Angeschuldigte zu seiner Äusserung begründeten Anlass hatte. Der Entlastungsbeweis kann auch dann zulässig sein, wenn ein begründeter Anlass fehlte, sofern der Täter nicht vorwiegend in übler Absicht handelte; diese beiden gesetzlichen Voraussetzungen müssen nämlich für den Ausschluss vom Entlastungsbeweis kumulativ erfüllt sein (BGE 116 IV 37 f. E. 3 mit Hinweisen). Nur werden in diesem Falle strengere Anforderungen an die Prüfungspflicht gestellt (BGE 104 IV 16, BGE 86 IV 175 f.). Umgekehrt sind die Anforderungen an die Prüfungspflicht geringer, wenn die Äusserung aus begründetem Anlass geschah. Das gilt etwa bei Strafanzeigen an die Polizei und andere Untersuchungsbehörden (BGE 85 IV 184 f.), bei Äusserungen einer Prozesspartei (BGE 96 IV 56, BGE 86 IV 75) und erst recht eines Anwaltes, dessen Sorgfaltspflicht nicht so weit gespannt werden darf, dass er dadurch in der normalen Ausübung seines Berufes gehindert würde (BGE 86 IV 176 f.). Für all diese Fälle wird aber hervorgehoben, dass der Täter nicht ohne weiteres straflos bleibt, sondern nur dann, wenn er beweisen kann, dass er jenen (geringeren) Anforderungen an seine Informationspflicht genügt hat (besonders deutlich BGE 98 IV 90; vgl. auch BGE 107 IV 35; kritisch dazu VON BÜREN, Ehrverletzungen: Nicht im Prozess, SJZ 73/1977 S. 86). Strengere Anforderungen an die Prüfungspflicht werden in der Regel auch bei öffentlichen, durch die Presse oder Flugblätter usw. verbreiteten Äusserungen gestellt, dies insbesondere, wenn der Täter kein berechtigtes oder doch kein öffentliches Interesse verfolgte (BGE 105 IV 118 f. mit Hinweisen). Allgemein ist zu beachten, ob mit der fraglichen Äusserung feststehende Tatsachen behauptet oder lediglich Verdachtsmomente vorgebracht werden. Wer bloss einen Verdacht kundgibt, braucht nur zu beweisen, dass ernsthafte Gründe ihn zum Verdacht berechtigten; wer aber Tatsachen als gegeben hinstellt, hat ernsthafte Gründe für deren Annahme nachzuweisen. Dies gilt auch für Äusserungen (z.B. Strafanzeigen) gegenüber Strafverfolgungsbehörden (BGE 85 IV 185).
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c) Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, dass die Beschwerdeführer nicht ohne begründete Veranlassung handelten. Die Aussagen der Asylbewerber Y. und Z. bildeten zusammen mit früheren gleichen Schilderungen anderer asylsuchender Flüchtlinge ![]() | 12 |
Die Vorinstanz verletzte Bundesrecht, soweit sie von den Beschwerdeführern weitere Abklärungen verlangte. Dass die Verdachtsgründe ernsthaft waren, nachdem mehrere Asylbewerber unabhängig voneinander ihren Betreuern gleiche oder doch ähnliche Schilderungen zutrugen, ist nicht zu bezweifeln. Die gegebenen Verdachtsgründe veranlassten denn auch die zuständige Aufsichtsbehörde, eine Untersuchung einzuleiten.
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Um ihrer Aufsichtsbeschwerde das nötige Gewicht zu verleihen, d.h. um zu vermeiden, die Verdachtsgründe würden für die Einleitung einer Untersuchung als nicht ausreichend betrachtet, mussten die Beschwerdeführer gegenüber der zuständigen Aufsichtsbehörde zeigen, dass sie überzeugt seien, es gehe um Vorkommnisse, bei denen sich ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde aufdränge. Wenn die Beschwerdeführer daher in ihrer Aufsichtsbeschwerde nicht durchwegs von blossen Verdachtsgründen sprachen, so darf dies nicht dazu führen, dass sie den Gutglaubensbeweis für die Vorkommnisse als bestehende Tatsachen und nicht nur als Verdächtigungen zu leisten hätten. Dies wäre insbesondere nicht gerechtfertigt, weil die Grenzen zwischen der Behauptung einer Tatsache und der blossen Verdachtsäusserung bei entsprechender Ausdrucksweise fliessend sein können. Die persönliche Überzeugung des Anzeigeerstatters steht bei einer Anzeige auch nicht im Vordergrund. Entscheidend ist vielmehr, dass mit einer an die zuständige Behörde gerichteten Anzeige die Einleitung einer Untersuchung verlangt wird und damit grundsätzlich stets eingeräumt wird, die behaupteten Tatsachen seien noch nicht erwiesen. So war auch die Aufsichtsbeschwerde der Beschwerdeführer gesamthaft betrachtet zu verstehen.
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e) Die Vorinstanz verlangt von der Beschwerdeführerin, sie hätte nicht auf die Angaben des Beschwerdeführers abstellen dürfen, sondern eigene Abklärungen treffen müssen. Auch damit stellt sie zu hohe Anforderungen an den Gutglaubensbeweis. Dass der Beschwerdeführer die Beschwerdeführerin über das Ergebnis seiner Abklärungen nicht richtig unterrichtet hätte oder dass sie mit eigenen Abklärungen weitere Erkenntnisse als er hätte erlangen können, stellt die Vorinstanz nicht fest. Wenn diese ihr anlastet, sie hätte die Asylbewerber Y. und Z. nicht persönlich gekannt und ![]() | 16 |
4. Damit erweist sich der angefochtene Entscheid insoweit als bundesrechtswidrig, als der Gutglaubensbeweis als nicht erbracht betrachtet und die Beschwerdeführer folglich wegen übler Nachrede verurteilt wurden. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher gutzuheissen, ohne dass weiter zu prüfen wäre, ob sich die Beschwerdeführer auf einen Rechtfertigungsgrund der Berufspflicht berufen könnten.
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