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51. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. November 1990 i.S. I. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 13 Abs. 1 StGB; Psychiatrisches Gutachten. | |
Sachverhalt | |
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Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte I. wegen schwerer Körperverletzung zu zwei Jahren Gefängnis.
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B.- Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt I., das Urteil des Obergerichts aufzuheben und dieses anzuweisen, über ihn ein psychiatrisches Gutachten einzuholen.
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Aus den Erwägungen: | |
4. a) Nach Art. 13 Abs. 1 StGB ordnet die urteilende Behörde eine Untersuchung des Beschuldigten an, wenn sie Zweifel an dessen Zurechnungsfähigkeit hat. Der Richter soll also seine Zweifel nicht selber beseitigen, etwa durch Zuhilfenahme psychiatrischer ![]() ![]() | 4 |
b) Gemäss dem Strafregisterauszug des Beschwerdeführers wurde er mit Urteil vom 22. Juni 1972 des Strafgerichts Zug des Mordes, der vorsätzlichen Körperverletzung, des Raubes und der Nötigung schuldig gesprochen und in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen; am 26. März 1975 verurteilte ihn das Strafgericht Basel-Landschaft unter anderem wegen Raubes zu 6 Monaten Gefängnis; am 29. August 1977 sprach ihn das Amtsgericht Solothurn-Lebern unter anderem schuldig der wiederholten Erpressung, der Freiheitsberaubung, des verbotenen Waffentragens und der Tätlichkeiten und bestrafte ihn mit 2 Jahren Zuchthaus; am 2. Juli 1982 bestrafte ihn die Bezirksanwaltschaft Zürich wegen einfacher Körperverletzung mit einer Busse von Fr. 300.--, und am 22. November 1985 wurde er zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat wegen Diebstahls und verbotenen Waffenbesitzes verurteilt. Anlässlich des ersten Strafverfahrens erstellte die Direktion der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen am 20. Februar 1972 über den Beschwerdeführer ein Gutachten, das zusammenfassend festhielt:
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2. Als primitiver, verstimmbarer, reizbarer, gewalttätiger und sekundär trunksüchtiger Psychopath war der Angeschuldigte aber zur Zeit des jetzt eingeklagten Deliktes zwar nicht in seiner Einsichtsfähigkeit behindert, wohl aber aus affektiven Gründen in der Fähigkeit, gemäss seiner Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln. Wir halten daher leicht verminderte Zurechnungsfähigkeit im Sinne von Art. 11 StGB für gegeben.
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5. Nach unserer Auffassung gefährdet zwar der Angeschuldigte wegen seiner beschriebenen Charakterstruktur die öffentliche Sicherheit in schwerwiegender Weise; wir halten aber die Voraussetzungen zur Verwahrung gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB aus psychiatrischer Sicht nicht gegeben, da nicht sicher vorauszusehen ist, ob der jetzt 19jährige Angeschuldigte nicht im normalen ![]() | 9 |
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6. Wir stellen eine sehr zweifelhafte Prognose. ...".
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Nun genügt zwar zur Annahme verminderter Zurechnungsfähigkeit nicht jede geringfügige Herabsetzung der Fähigkeit, sich zu beherrschen. Der Täter muss vielmehr, zumal der Begriff des normalen Menschen nicht eng zu fassen ist, in hohem Masse in den Bereich des Abnormen fallen, seine Geistesverfassung nach Art und Grad stark vom Durchschnitt nicht bloss der Rechts-, sondern auch der Verbrechensgenossen abweichen (BGE 102 IV 226 E. 7b mit Hinweisen). Beim Beschwerdeführer wurde aber, wie erwähnt, bereits im Jahre 1972 ein Gutachten erstellt, das ihn als gewalttätigen Psychopathen mit sehr zweifelhafter Prognose bezeichnete. Diese schlechte Prognose wurde in der Folge denn auch bestätigt. Die zwar weniger schwerwiegenden Vorfälle in den letzten 10 Jahren weisen ebenfalls in die gleiche Richtung (Körperverletzung, verbotenes Waffentragen). Bei dieser Sachlage hätte die Vorinstanz beim neuen, schwerwiegenden und unverständlichen Gewaltdelikt ein neues Gutachten in Auftrag geben müssen, zumal das erste (und einzige) Gutachten, das über den Beschwerdeführer erstellt worden war, bereits aus dem Jahre 1972 stammt und ihm damals eine verminderte Zurechnungsfähigkeit attestiert hatte. Hinzuzufügen bleibt, dass die neue psychiatrische Literatur bei Persönlichkeitsstörungen von einem gewissen Schweregrad mit einer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (Minderung, aber sehr selten Aufhebung) rechnet (RAINER TÖLLE, Psychiatrie, 8. Aufl., 1988, S. 117; ROLF BAER, Psychiatrie für Juristen, 1988, S. 44 f., insb. S. 51 f.; Handwörterbuch der Rechtsmedizin für Sachverständige und Juristen, herausgegeben von GEORG EISEN, Band 2: Der Täter, Persönlichkeit und Verhalten, 1974, S. 280/281).
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c) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ernsthafter Anlass zu Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers bestand. Indem die Vorinstanz bei dieser Sachlage kein psychiatrisches Gutachten anordnete, verletzte sie Art. 13 StGB. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben, und die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen.
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