![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
54. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Dezember 1990 i.S. T. gegen Kriminalkammer des Kantons Thurgau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 55 Abs. 2 StGB; probeweiser Aufschub der Landesverweisung. | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
Am 26. Juni 1990 beschloss die Kriminalkammer des Kantons Thurgau, T. werde - weiteres Wohlverhalten im Vollzug vorausgesetzt - auf den 15. September 1990 aus dem Strafvollzug entlassen (Probezeit zwei Jahre); der Vollzug der Landesverweisung wurde demgegenüber nicht aufgeschoben.
| 2 |
3 | |
Die Kriminalkammer beantragt Abweisung, das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement Gutheissung der Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
| 4 |
Aus den Erwägungen: | |
5 | |
Die Vorinstanz ging davon aus, die Chancen für eine Resozialisierung des Beschwerdeführers seien in der Schweiz kleiner als in Deutschland. Das Zentrum seiner Lebensführung werde Konstanz sein, und "Spuren einer Verwurzelung" in der Schweiz seien nicht auszumachen. Insbesondere seien die Kontakte zur in der Schweiz befindlichen Tochter nicht besonders intensiv. Da diese in Ermatingen lebe, sei es nicht ausgeschlossen, dass sie ihren Vater in Konstanz besuche. Am Rande wies die Vorinstanz darauf hin, die Landesverweisung stelle eine Strafe dar, deren Zweck es sei, die öffentliche Sicherheit zu schützen und dem Täter ein Übel zuzufügen.
| 6 |
Der Beschwerdeführer bestätigt, dass er nach der bedingten Entlassung nicht in der Schweiz bleiben, sondern nach Konstanz ziehen und sich dort eine neue Existenz aufbauen will. Er weist jedoch darauf hin, dass Konstanz eine Grenzstadt ist und für ihn der Aufbau eines "normalen" Lebens sehr schwierig wäre, wenn er während zehn Jahren nicht einmal für Besuche in die Schweiz kommen könnte. Es wäre ihm praktisch unmöglich, den Kontakt zu seiner Tochter zu vertiefen. Da diese erst zehn Jahre alt sei, könne sie ihn nicht alleine in Konstanz besuchen. Auch bei der Arbeitssuche sei die Landesverweisung ein Hindernis, da er jedem möglichen Arbeitgeber sagen müsste, dass er unter keinen Umständen in die Schweiz einreisen dürfe.
| 7 |
![]() | 8 |
Die Resozialisierungschancen sind nach den persönlichen Verhältnissen des Entlassenen, seinen Beziehungen zur Schweiz und zum Ausland, den Familienverhältnissen und den Arbeitsmöglichkeiten zu beurteilen (BGE 104 Ib 155 E. 2a mit Hinweisen). Dabei ist auf die wahrscheinliche künftige Lebensgestaltung des Verurteilten abzustellen (BGE 104 Ib 331). Wenn der Betroffene über enge Beziehungen im Ausland bzw. zu dort lebenden Personen verfügt, liegt ein Indiz dafür vor, dass die Chancen einer Resozialisierung ausserhalb der Schweiz grundsätzlich gut oder jedenfalls nicht schlechter als in der Schweiz sind. Eine Gesamtwürdigung aller Umstände kann aber auch in einem solchen Fall zum Ergebnis führen, dass aus Resozialisierungsgründen ein Aufschub der Landesverweisung angezeigt ist, da dem Betroffenen z.B. die Möglichkeit offenstehen sollte, gelegentlich in die Schweiz einzureisen.
| 9 |
Die Behörde urteilt in dieser Frage weitgehend nach ihrem Ermessen, in welches das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift (Art. 104 lit. a OG), bei dessen Ausübung sie sich jedoch auf sachlich haltbare Gründe stützen muss. Das Bundesgericht hebt ihren Entscheid auf, wenn die kantonale Behörde nicht von rechtlich massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder diese in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens unrichtig gewichtet hat.
| 10 |
![]() | 11 |
c) Der Beschwerdeführer macht geltend, eine Landesverweisung würde es ihm praktisch verunmöglichen, den Kontakt zu seiner Tochter zu vertiefen. Unter Hinweis auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft erachtet die Vorinstanz dieses Vorbringen als Vorwand, da sich der Beschwerdeführer "mit praktischer Sicherheit" während seiner fünfjährigen Flucht nicht persönlich um seine Tochter gekümmert habe bzw. der Kontakt nie so intensiv gewesen sei, wie im zu beurteilenden Gesuch geltend gemacht werde. Wie es sich damit verhält, ist ungewiss, aber offenbar können auch die kantonalen Behörden nicht ausschliessen, dass gewisse Kontakte bestehen. Immerhin räumt der Beschwerdeführer sinngemäss ein, dass die Beziehung - wohl insbesondere wegen der fluchtbedingten Abwesenheit - nicht besonders eng gewesen ist, macht er doch geltend, er wolle den Kontakt "vertiefen". Dieser Wunsch eines Vaters ist verständlich und sollte nicht leichthin ohne nähere Abklärung der Umstände als blosse Schutzbehauptung abgetan werden. Es ist denn auch darauf hinzuweisen, dass Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Achtung des Familienlebens garantiert, welches durch behördliche Schranken nicht unnötig in Frage gestellt werden soll. Die knappe Begründung der Vorinstanz zu diesem Punkt reicht deshalb für die Verweigerung des Aufschubs nicht aus.
| 12 |
d) Der Beschwerdeführer betont die Grenzlage der Stadt Konstanz und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, wenn er während zehn Jahren die Schweiz nicht betreten dürfte. Dazu äussert sich die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid nicht. Zwar nimmt sie zutreffend an, dass die Resozialisierungschancen des Beschwerdeführers in Deutschland besser seien als in der Schweiz. Wenn sie allerdings daraus den Schluss zieht, die Landesverweisung sei zu vollziehen, geht sie am Kernproblem des vorliegenden Falles vorbei. Denn ihre Entscheidung bedeutet konkret, dass der Beschwerdeführer bis zum 15. September 2000 die Schweiz nicht mehr wird betreten dürfen.
| 13 |
![]() | 14 |
e) Die Vorinstanz verweist bei ihrem Entscheid auch auf den Umstand, dass der Zweck der Landesverweisung die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und die Übelszufügung sei. Dieses Argument geht an der Sache vorbei. Auf der vorliegend zu beurteilenden Stufe des Vollzugs geht es nur noch um die Verwirklichung des Resozialisierungsgedankens, und nicht mehr darum, "Sühne und Abschreckung zur Geltung zu bringen" (PETER M. TRAUTVETTER, Die Ausweisung von Ausländern durch den Richter im schweizerischen Recht, Diss. ZH 1957, S. 47). Dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit ist bei der Anordnung und Bemessung der Landesverweisung Rechnung zu tragen (BGE 114 IV 97).
| 15 |
f) Hinzu kommt, dass vorliegend nicht ersichtlich ist, weshalb der Vollzug einer Landesverweisung von zehn Jahren Dauer für Straftaten aus den Jahren 1983 und 1984 geboten ist. Denn die ![]() | 16 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |