![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
59. Urteil des Kassationshofes vom 11. Dezember 1990 i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 117 StGB; Art. 3, Art. 71, Art. 80 und Art. 81 SSV; Verletzung der Sorgfaltspflicht durch mangelhafte Signalisation einer Baustelle, Kausalität. |
Begriff der Kausalität (E. 2a; Zusammenfassung der Rechtsprechung). Der Entscheid darüber, ob bei Vornahme der gebotenen Handlung der Erfolg mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre, setzt die Feststellung aller erheblichen Tatsachen voraus (E. 2b). Von einer umfassenden Klärung des Sachverhalts entbindet auch nicht die Risikoerhöhungstheorie. Anwendungsbereich dieser Theorie (E. 2c). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
Als zuständiger Baustellenpolier war A. für die Baustellensignalisation verantwortlich.
| 2 |
B.- Am 6. Oktober 1988 sprach das Amtsgericht Hochdorf A. der fahrlässigen Tötung schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 200.--.
| 3 |
C.- Eine von A. dagegen eingereichte Kassationsbeschwerde wies das Obergericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 13. Dezember 1989 ab.
| 4 |
D.- A. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
| 5 |
E.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt Abweisung der Beschwerde.
| 6 |
![]() | |
7 | |
b) Der Beschwerdeführer macht sinngemäss geltend, bei der Signalisation der Baustelle könne ihm eine Sorgfaltspflichtverletzung nicht angelastet werden; die nach dem Unfall beigezogenen Ermittlungsorgane hätten die Signalisation für in Ordnung befunden.
| 8 |
aa) Die kantonalen Instanzen gehen davon aus, dass die vom Beschwerdeführer erstellte Baustellensignalisation den Vorschriften der Signalisationsverordnung in verschiedener Hinsicht nicht entsprach. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, die einer Willkürprüfung durch die Vorinstanz standgehalten haben, wies die Signalisation im einzelnen folgende Mängel auf: Bei der Vorsignalisation wurde entgegen Art. 3 Abs. 4 SSV anstelle der Zusatztafel "Streckenlänge 1200 m" (5.03 Anhang 2 SSV) die Distanztafel "1200 m" (5.01 Anhang 2 SSV) verwendet; 150 bis 250 m vor der Baugrube fehlte das in Art. 3 Abs. 3 lit. b SSV vorgeschriebene Gefahrensignal "Baustelle" (1.14 Anhang 2 SSV); dieses Signal fehlte entgegen Art. 80 Abs. 1 SSV auch unmittelbar bei der Baugrube selbst; die Tafel Lichtsignalanlage (1.27 Anhang 2 SSV) sodann befand sich in Missachtung von ![]() | 9 |
bb) Die kantonalen Instanzen lasten dem Beschwerdeführer indes nicht alle diese Mängel an. Sie halten ihm zugute, dass die Vorsignalisation von einem Beamten des Strassenverkehrsamtes abgenommen wurde und dass er die Lichtsignalanlage auf entsprechende Weisung des für die Gesamtleitung der Strassenbauarbeiten zuständigen Bauführers aufstellte. Hinsichtlich der übrigen Signalisationsmängel bejahen sie dagegen die Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers, und sie halten die Sorgfaltspflichtverletzung insoweit für gegeben.
| 10 |
cc) Der Standpunkt der kantonalen Instanzen ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer hat nicht nur bei der Vorsignalisation, sondern auch bei der Signalisierung der Baugrube selber verschiedenen Vorschriften der Signalisationsverordnung zuwidergehandelt; da ihm deren Beachtung nach seinen persönlichen Verhältnissen möglich und zumutbar war, hat er seine Sorgfaltspflicht verletzt. Nichts zu seinen Gunsten ergibt sich aus dem Umstand, dass die unmittelbar nach dem Unfall beigezogenen Ermittlungsorgane die von ihm errichtete Signalisation offenbar nicht beanstandeten; von einem für Strassenbauarbeiten verantwortlichen Baustellenpolier muss erwartet werden, dass er die in der Signalisationsverordnung enthaltenen, für die Verkehrssicherheit wichtigen Bestimmungen jedenfalls soweit kennt, als sie seine berufliche Tätigkeit betreffen.
| 11 |
12 | |
![]() | 13 |
b) Für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs ist hier somit die Frage entscheidend, ob der Motorradfahrer M. mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht tödlich verunfallt wäre, wenn der Beschwerdeführer die Baustelle ordnungsgemäss signalisiert hätte.
| 14 |
Das Amtsgericht, dessen Feststellungen von der Vorinstanz als willkürfrei angesehen werden, geht nach einer Analyse der in Erwägung 2b angeführten, dem Beschwerdeführer anzulastenden Mängel davon aus, dass die von diesem erstellte Signalisation eindeutig weniger auffällig war als die gesetzlich vorgeschriebene. Es kommt danach zum Schluss, dass die mangelhafte Signalisation sehr wahrscheinlich zu einer späteren Reaktion des Verunfallten und damit zumindest zu einer Verschlimmerung der Unfallfolgen geführt hat. Da es diese Aussage auf die allgemeine Lebenserfahrung stützt, kann sie vom Kassationshof überprüft werden (vgl. BGE 115 II 448 E. 5b). Ob die Bejahung des Kausalzusammenhangs durch das Amtsgericht bundesrechtskonform ist, kann aufgrund der in seinem Urteil enthaltenen Sachverhaltsfeststellungen indes nicht entschieden werden; denn diese sind lückenhaft. Für das vorliegende Beschwerdeverfahren verbindlich festgestellt (Art. 277bis Abs. 1 BStP) sind nur die bereits erwähnten, zumindest teilweise relevanten Mängel der Baustellensignalisation sowie ![]() | 15 |
c) Es ist einzuräumen, dass diese Feststellungen nicht ohne Schwierigkeiten getroffen werden können. Auf die Erhebung von Beweisen darf indes nicht verzichtet werden, auch dann nicht, wenn man den vorliegenden Fall, wie die Vorinstanz, abweichend von der bisherigen Rechtsprechung auf der Grundlage der Risikoerhöhungstheorie beurteilen wollte. Die Anwendung dieser Theorie entbindet nämlich nicht von einer umfassenden Klärung des Sachverhalts. Denn ob der Täter die Gefahr, die sich im Erfolg verwirklicht hat, mindestens gesteigert hat, ist unter Auswertung aller im Zeitpunkt des Urteils, also ex post bekannten Umstände zu ermitteln (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, § 9 N 31; vgl. auch WALDER, Die Kausalität im Strafrecht, ZStR 93 (1977), S. 159 ff.; RUDOLPHI, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band I, Allg. Teil, 5. A., vor § 1 N 69 f.; ZIELINSKI, Alternativkommentar StGB, Band 1, Neuwied 1990, § 15/16 N 119). Sollte die Klärung bestimmter Tatsachen im Einzelfall scheitern, ist nach dem Grundsatz in dubio pro reo zu entscheiden. Der Anwendungsbereich der Risikoerhöhungstheorie beschränkt sich auf Fälle, in denen, wie etwa bei der Beurteilung des Genesungsprozesses eines Kranken bei korrekter ärztlicher Diagnose und Behandlung, ein hypothetischer Geschehensablauf in Frage steht, über den beweismässig keine Aussagen gemacht werden können (vgl. WALDER, a.a.O., insb. S. 160; STRATENWERTH, a.a.O.).
| 16 |
3. Da die Gesetzesanwendung mangels hinreichender Klärung des Sachverhalts nicht nachgeprüft werden kann, ist der angefochtene Entscheid gemäss Art. 277 BStP aufzuheben ![]() | 17 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |