BGE 117 IV 58 | |||
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15. Urteil des Kassationshofes vom 31. Januar 1991 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen X. und Y. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
1. Art. 19 Ziff. 1 BetmG; unbefugter Umgang mit Betäubungsmitteln. |
2. Art. 18 StGB; Prinzip des erlaubten Risikos. |
Ein tatbestandsmässiges Verhalten, das an sich aber eine sozial nützliche Tat darstellt (hier der Transport von Betäubungsmitteln, um diese zu vernichten), ist auch bei Vorsatz nicht rechtswidrig, wenn ein erlaubtes Risiko verwirklicht wird (E. 2b); Abwägung von Nutzen und Risiko nach den Umständen des Einzelfalles (E. 2c). | |
Sachverhalt | |
Nachdem ihr damaliger Freund und heutiger Ehemann am 8. September 1988 wegen Verdachts von Zuwiderhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz verhaftet worden war, entschloss sich Frau X., das in einem ihr bekannten Versteck auf dem Estrich der damaligen Wohnung ihres Freundes in Kaiseraugst befindliche Kokain zu beseitigen. Sie verständigte ihre Schwester und deren Freund Y. über ihr Vorhaben, und diese erklärten sich bereit, dabei mitzuwirken. Zu dritt fuhren sie nach Kaiseraugst. Dort holte Y. das verschlossene Drogenbehältnis aus dem Versteck. Anschliessend fuhren sie zusammen nach Binningen an den Wohnort von Y. Dieser brach die Kassette auf, in der sich vier "Minigrip"-Säckchen mit insgesamt 70 g Kokain befanden. Danach fuhren sie wiederum in Richtung Kaiseraugst. Zwischen Schweizerhalle und Augst warf Y. die Kassette in den Rhein, und das Kokain leerte er etwas später an der Fraumattstrasse in Liestal in eine Dole.
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Frau X. beabsichtigte von Anfang an die Vernichtung des Kokains, während bei Y. vorerst wegen des Eigentumsrechts des Freundes von Frau X. eine gewisse Unsicherheit darüber bestand, was mit dem Stoff geschehen solle; von Anfang an wollte er jedoch verhindern, dass die Drogen in irgendeiner Form wieder in Verkehr gebracht würden, und er entschied sich schliesslich ebenfalls klar für deren Vernichtung im Rahmen der gemeinsamen Fahrt, an welcher Aktion er sich denn auch aktiv beteiligte.
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Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft sprach beide Angeklagte am 21. November 1989 zweitinstanzlich vom Vorwurf der qualifizierten Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel (BetmG) frei. Y. wurde der Begünstigung sowie der Zuwiderhandlung gegen das Gewässerschutzgesetz schuldig gesprochen und mit drei Tagen Gefängnis (bedingt) und einer Busse von Fr. 50.-- bestraft. Frau X. wurde auch im Anklagepunkt der Begünstigung freigesprochen.
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Gegen diesen Entscheid führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung der Angeklagten wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das BetmG an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
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Erwägungen: | |
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a) Die Beschwerdegegner beförderten 70 g Kokain, verfolgten mit ihrem Transport aber unbestrittenermassen allein die Absicht, die Betäubungsmittel zu vernichten. Trotz dieser auch verwirklichten Absicht bestand während des Transports jedoch - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - die abstrakte Gefahr des Inverkehrbringens oder Zugänglichmachens der Drogen im oben dargelegten Sinne, die eben unter anderem beim Lagern, Versenden, Befördern, Besitzen, Aufbewahren etc. von unter das BetmG fallenden Stoffen von Gesetzes wegen vermutet wird und nicht widerlegt werden kann. So hätten etwa Dritte das Vorhaben der Beschwerdegegner bemerken und die Betäubungsmittel während des Transports entwenden und hierauf weiterveräussern können.
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Die Vorinstanz und die Beschwerdegegner fordern denn auch zu Unrecht als Voraussetzung für die Strafbarkeit einen (direkten) Bezug des Beförderns zum Betäubungsmittelhandel; ein solcher ist nicht erforderlich, vielmehr genügt die abstrakte Gefahr, dass ein Betäubungsmittel - auf welchem Wege auch immer - in Verkehr gebracht oder zugänglich gemacht werden kann.
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b) In der neueren Doktrin wird diskutiert, ob mit der Verwirklichung der Tatbestandserfordernisse die Rechtswidrigkeit des Verhaltens bereits zureichend begründet ist, ob - mit anderen Worten - das Verhältnis von Tatbestandsmässigkeit und Rechtswidrigkeit tatsächlich, wie bislang zumeist angenommen, auf den einfachen Nenner von Unrechtsbegründung durch die Tatbestandsmässigkeit und von Unrechtsausschluss bei Vorliegen von Rechtfertigungsgründen gebracht werden kann. Fraglich erscheint, ob das Unrecht nicht allgemein oder doch bei bestimmten Delikten von weiteren Voraussetzungen als der Tatbestandsmässigkeit abhängt. Verschiedene dogmengeschichtliche Entwicklungen lassen sich heute auf den gemeinsamen Nenner bringen, dass tatbestandsmässiges Handeln nur dann rechtswidrig ist, wenn es ein unerlaubtes Risiko verwirklicht (so STRATENWERTH, Strafrecht Allgemeiner Teil I, Bern 1982, § 10 N 2 und 3). Es braucht hier nicht weiter auf die verschiedenen Begründungen dieses Standpunktes in der Doktrin eingegangen zu werden (vgl. dazu STRATENWERTH, § 10 N 4 ff. mit Verweisungen). Überzeugend erscheinen jedenfalls die Ausführungen STRATENWERTHS dazu (a.a.O. § 10 N 9). So ist das Prinzip des erlaubten Risikos bei den Fahrlässigkeitsdelikten anerkannt (BGE 90 IV 11; 80 IV 132 f.; TRECHSEL, Kurzkommentar zum StGB, Zürich 1989, Art. 18 N 31 mit Hinweisen); danach ist es gestattet, bestimmte Risiken für fremde Rechtsgüter herbeizuführen.
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Es ist nicht zu sehen, warum dies nicht auch für den vorsätzlich handelnden "Täter" gelten sollte. Dass die vom Täter geschaffene, in einen tatbestandsmässigen Erfolg mündende Gefahr die Grenze des erlaubten Risikos überschritten habe, wird dann zu einem allgemeinen Erfordernis der Unrechtsbegründung. Dabei geht es nicht um irgendeine Ermässigung der Sorgfaltsanforderungen etwa mit Rücksicht darauf, dass menschliches Versagen niemals völlig auszuschliessen ist. Ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen, kann vielmehr nur der (wirkliche oder vermeintliche) Nutzen einer Tätigkeit rechtfertigen, die sonst gar nicht oder nur mit unverhältnismässig hohen materiellen oder anderen Aufwendungen möglich wäre. Die Nutzen-Risiko-Abwägung ist dabei im einzelnen eine schwierige und für jeden Fall neu zu entscheidende Frage (STRATENWERTH, a.a.O.).
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Im Lichte dieser Grundsätze erweisen sich die Freisprüche von der Anklage der qualifizierten Widerhandlung gegen das BetmG nicht als bundesrechtswidrig.
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c) Die Beschwerdegegner strebten die Vernichtung der 70 g Kokain an, und sie verwirklichten dies auch, indem sie den Stoff in einen Abwasserschacht warfen und ihn so unbrauchbar machten. Soweit damit ein Beweismittel beiseite geschafft werden sollte, wurde Y. der Begünstigung gemäss Art. 305 StGB schuldig erklärt, Frau X. hingegen vorliegend unangefochten freigesprochen, da bei ihr ein Fall der straflosen Selbstbegünstigung vorliege.
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Da das Bundesrecht eine allgemeine Pflicht zur Anzeige von strafbaren Handlungen nicht kennt (BGE 113 IV 75), waren die Beschwerdegegner nicht verpflichtet, die unbefugte Aufbewahrung von Kokain den Strafverfolgungsorganen zu melden, damit diese die Betäubungsmittel aus dem Verkehr hätten ziehen können. Auch die Vernichtung der Betäubungsmittel war keine vom BetmG unter Strafe gestellte Handlung, sondern bildete im Gegenteil eine Massnahme zur Vermeidung der Gefahr einer Gesundheitsschädigung durch Drogenkonsum. Entscheidend ist deshalb, ob dieser Nutzen ihrer Tätigkeit die Eingehung des mit dem Transport des Betäubungsmittels verbundenen Risikos (vgl. dazu oben E. a) rechtfertigte.
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Mit dem nur kurz dauernden Drogentransport wurde zwar die entfernte Gefahr, dass Dritte in den Besitz des Betäubungsmittels hätten gelangen und dieses so hätte in Verkehr gebracht werden können, geschaffen; unter den gegebenen Umständen war das Risiko jedoch nur gering, und die Beschwerdegegner durften es eingehen, um die Droge vernichten zu können. Dass es sich um eine erhebliche Menge einer harten Droge handelte, die einen schweren Fall gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG begründete, ändert nichts daran, wurde doch gleichzeitig eine ebenso grosse Menge von Betäubungsmitteln dem Zugang der Händler und letztlich den Konsumenten entzogen. Bei der vorzunehmenden Abwägung von Nutzen und Risiko ist im vorliegenden Fall vielmehr entscheidend, dass einer ganz entfernten Gefahr des Inverkehrbringens das praktisch sichere Unschädlichmachen des Betäubungsmittels gegenüberstand und der Nutzen daher überwog. Die mit dem Befördern im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 BetmG geschaffene geringfügige abstrakte Gefahr stellt deshalb unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ein erlaubtes Risiko dar, so dass es an einem strafwürdigen Unrecht mangelt.
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d) Die Beschwerdeführerin macht geltend, bei der vorliegend vertretenen Auffassung würde der Transport von Betäubungsmitteln wohl kaum mehr geahndet werden können, da sehr bald jeder, der mit Drogen unterwegs betroffen werde, unwiderlegbar angeben würde, er sei gerade auf dem Weg zur Vernichtung des Rauschgifts. Abgesehen davon, dass allfällige Beweisschwierigkeiten nicht zum entscheidenden Kriterium der Auslegung einer Strafbestimmung werden dürfen, erscheint der Einwand der Beschwerdeführerin nicht als stichhaltig. In der Regel dürfte sich die Behauptung eines Drogentransporteurs, er sei im Begriff, die Betäubungsmittel der Vernichtung zuzuführen, ohne weiteres als blosse Schutzbehauptung erweisen.
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