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53. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. August 1991 i.S. B. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Fahren in angetrunkenem Zustand (Art. 91 Abs. 1 SVG); Zurechnungsfähigkeit, "actio libera in causa" (Art. 10 ff. StGB). |
Darstellung der für den unzurechnungsfähigen und für den vermindert zurechnungsfähigen Fahrzeuglenker bei (eventual)vorsätzlicher respektive fahrlässiger "actio libera in causa" im einzelnen in Betracht fallenden Rechtsfolgen. | |
Sachverhalt | |
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B.- Die a.o. Gerichtspräsidentin I von Burgdorf verurteilte B. am 21. März 1990 wegen vorsätzlichen Fahrens in angetrunkenem Zustand und wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von fünf Jahren, und zu einer Busse von Fr. 1'500.--.
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Auf Appellation der Staatsanwaltschaft Emmental-Oberaargau, welche vom Generalprokurator, beschränkt auf die Frage der Gewährung des bedingten Strafvollzugs, aufrechterhalten wurde, sowie auf Anschlussappellation des Verurteilten, die sich auf den Schuldspruch wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs und das Strafmass beschränkte, bestätigte die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern am 23. August 1990 die erstinstanzlichen Schuldsprüche und erkannte auf eine unbedingte Gefängnisstrafe von zwei Monaten.
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C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
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a) Die Vorinstanz lehnt eine verminderte Zurechnungsfähigkeit ab. Soweit sie dabei davon ausgeht, dass eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit im Sinne von Art. 11 StGB beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand, unabhängig vom Vorliegen einer "actio libera in causa" gemäss Art. 12 StGB, generell nicht relevant sei, verletzt sie Bundesrecht. Wohl hat der Kassationshof in BGE 95 IV 97 erkannt, dass zwar Angetrunkenheit unbestreitbar geeignet sei, die Zurechnungsfähigkeit des Täters im Sinne von Art. 11 StGB herabzusetzen, dass es aber verfehlt sei, Art. 11 StGB auf den Tatbestand von Art. 91 Abs. 1 SVG zur Anwendung zu bringen (S. 98). Diese Auffassung, die übrigens im Widerspruch zu den in BGE 95 IV 97 nicht erwähnten BGE 93 IV 39 ff. und BGE 85 IV 1 ff. steht, ist vom Kassationshof in der Folge nicht aufrechterhalten worden. Die Erörterung der Frage nach dem Vorliegen einer die Anwendung von Art. 10 und 11 StGB ausschliessenden "actio libera in causa" gemäss Art. 12 StGB im Zusammenhang mit dem Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand hat ja nur dann einen Sinn, wenn bei Verneinung einer solchen "actio libera in causa" die Unzurechnungsfähigkeit bzw. die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit auch beim Fahren in angetrunkenem Zustand beachtlich ist. Die Bestimmungen über die Zurechnungsfähigkeit (Art. 10-13 StGB) sind Ausfluss des das ganze Strafrecht beherrschenden Schuldprinzips. Sie gelten daher auch für den Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand. Eine alkoholbedingte Unzurechnungsfähigkeit bzw. Verminderung der Zurechnungsfähigkeit kann deshalb auch beim Tatbestand des Fahrens in angetrunkenem Zustand beachtlich sein (REHBERG, Das Fahren in angetrunkenem Zustand, ZStrR 86/1970, S. 113 ff., 128; derselbe, Die strafrechtliche Bedeutung der Alkoholisierung, Kriminalistik 37/1983, S. 507 ff., 509; ![]() | 7 |
War der Täter zum Zeitpunkt der Tatbegehung nicht zurechnungsfähig, kann er nur unter den Voraussetzungen von Art. 12 StGB betreffend die sogenannte "actio libera in causa" oder von Art. 263 StGB betreffend Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit bestraft werden. Der letztgenannte Tatbestand steht vorliegend nicht zur Diskussion. Ein Rückgriff auf Art. 12 StGB setzt voraus, dass der Täter zu einem Zeitpunkt, als er noch zumindest teilweise zurechnungsfähig war, zumindest in Kauf nahm, dass er zum späteren Zeitpunkt der völligen Unzurechnungsfähigkeit eine vorsätzliche Tat begehen werde oder, soweit eine Fahrlässigkeitstat zur Diskussion steht, dass der Täter in pflichtwidriger Weise die spätere Tatbegehung ausser acht lässt (vgl. BGE 85 IV 1; 93 IV 41 ff.). Entsprechendes gilt für die verminderte Zurechnungsfähigkeit gemäss Art. 11 StGB mit den folgenden Präzisierungen.
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b) Für das Fahren in angetrunkenem Zustand bedeutet dies folgendes, wobei aufgrund des insoweit in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs der 1. Instanz hier von einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt auszugehen ist:
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Eine allfällige Unzurechnungsfähigkeit des Fahrzeuglenkers zur Zeit der vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt ist unbeachtlich, wenn dieser zur Zeit, als er noch nicht unzurechnungsfähig war, zumindest in Kauf nahm, dass er in angetrunkenem Zustand noch ein Fahrzeug lenken würde, wenn also eine (eventual)vorsätzliche "actio libera in causa" vorliegt. Ist dagegen fahrlässige "actio libera in causa" gegeben, hätte also der Fahrzeuglenker zur Zeit, als er noch nicht unzurechnungsfähig war, bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit voraussehen können, dass er in angetrunkenem Zustand noch fahren würde, ist er wegen - ebenfalls strafbaren - fahrlässigen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu verurteilen (HENTSCHEL/BORN, Trunkenheit im Strassenverkehr, 5. Auflage, S. 74; REHBERG, Kriminalistik 37/1983, S. 507); dabei ist ihm eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zuzubilligen, wenn er nicht schon im Zustand voller Zurechnungsfähigkeit, sondern erst im Zustand verminderter Zurechnungsfähigkeit bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte erkennen können, dass er im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit angetrunken ein Fahrzeug lenken würde. Eine allfällige Verminderung der Zurechnungsfähigkeit des Fahrzeuglenkers zur Zeit der vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt ![]() | 10 |
c) Wie die Vorinstanz feststellt, beabsichtigte der Beschwerdeführer bei seinem Geschäftskollegen zu übernachten. Er hat sich denn auch zunächst bei ihm schlafen gelegt. Erst 3 1/2 Stunden später stand er auf und setzte sich ans Steuer. In einer derartigen Konstellation ist es nicht zulässig, darauf abzustellen, dass der Beschwerdeführer zu Beginn des intensiven Alkoholkonsums voll zurechnungsfähig war. Denn zu diesem Zeitpunkt hat er nach dem Gesagten eben nicht die Möglichkeit vorausgesehen, dass er in alkoholisiertem Zustand ein Fahrzeug lenken werde. Sowohl eine vorsätzliche wie eine fahrlässige "actio libera in causa" sind auszuschliessen.
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d) Der Beschwerdeführer wies zur Zeit der Fahrt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,26 Gew.%o auf. Er behauptet mit Recht selber nicht, dass er unzurechnungsfähig im Sinne von Art. 10 StGB gewesen sei bzw. dass im Sinne von Art. 13 StGB ernsthafter Anlass zu einer solchen Annahme besteht. Er macht aber geltend, dass er bei Fahrtantritt eindeutig vermindert zurechnungsfähig im Sinne von Art. 11 StGB gewesen sei. Tatsächlich fällt bei einer Blutalkoholkonzentration von über 2 Gew.%o eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit in Betracht (siehe die Übersicht bei HENTSCHEL/BORN, op.cit., ![]() | 12 |
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