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60. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. November 1991 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Widerhandlungen gegen das Kriegsmaterialgesetz. Einziehung von Kriegsmaterial. |
2. Art. 20 KMG. "Besondere Gründe", die einer Einziehung von Kriegsmaterial entgegenstehen, im konkreten Fall verneint (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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B.- Das Strafamtsgericht Biel sprach X. deswegen sowie wegen verschiedener weiterer Widerhandlungen im Rahmen seines Geschäftsbetriebes des vollendeten Betrugsversuchs, der Irreführung der Rechtspflege, der wiederholten und fortgesetzten Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über das Kriegsmaterial vom 30. Juni 1972 (nachfolgend KMG; SR 514.51) - begangen durch Gehilfenschaft zur illegalen Ausfuhr von 1020 Pistolen, durch unrichtige Mitteilung an die Kriegsmaterialverwaltung betreffend 1020 Pistolen, durch Verkauf von 600 kg Schwarzpulver ohne Eintrag ins Kontrollbuch - sowie der wiederholten und fortgesetzten Widerhandlung gegen das Konkordat über den Handel mit Waffen und Munition (SR 514.542) - begangen durch Nichteinhaltung der Buchführungspflicht beim Verkauf von Kleinkaliberpistolen - schuldig und verurteilte ihn deswegen in Anwendung von Art. 148 in Verbindung mit Art. 22 StGB, Art. 304 StGB, Art. 17 Abs. 1 lit. a KMG in Verbindung mit Art. 25 StGB, Art. 17 Abs. 1 lit. d KMG, Art. 18 Abs. 2 KMG, Art. 18 Abs. 1 der Kriegsmaterialverordnung sowie Art. 6 und 11 des Konkordates über den Handel mit Waffen und Munition zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. Es verfügte zudem, dass die beschlagnahmten 742 Pistolen in Anwendung von Art. 20 KMG zuhanden des Bundes eingezogen werden und dass die beschlagnahmten 188 Pistolenverpackungen bei Eintritt der Rechtskraft des Urteils dem Angeschuldigten auszuhändigen seien.
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Die 2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern bestätigte mit Entscheid vom 11. Dezember 1990 die im Appellationsverfahren allein angefochtene Einziehung der insgesamt ![]() | 4 |
C.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Einziehungsentscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache mit der Weisung an die Vorinstanz zurückzuweisen, dass die beschlagnahmten 742 Pistolen an die X. AG auszuhändigen seien, eventuell dass ein allfälliger Verwertungserlös an die X. AG zurückzuerstatten sei.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Es ist unbestritten, dass es sich bei den Pistolen, deren Einziehung zur Diskussion steht, um Kriegsmaterial im Sinne des Gesetzes und der dazugehörigen Verordnung handelt und dass eine Widerhandlung (gegen das Kriegsmaterialgesetz) festgestellt worden ist. Es stellen sich die Fragen, welches erstens das Verhältnis zwischen Art. 20 KMG und Art. 58 StGB und was zweitens unter den einer Einziehung entgegenstehenden "besonderen Gründen" im Sinne von Art. 20 KMG zu verstehen sei.
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Unter diesen Umständen ist Art. 20 KMG in bezug auf die Voraussetzungen der Einziehung von Kriegsmaterial im Falle der ![]() | 10 |
Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die meisten Einziehungsbestimmungen des besonderen Teils des StGB, die im Unterschied zu Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB nicht ausdrücklich eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung etc. voraussetzen, Gegenstände betreffen, welche wegen ihrer Art, etwa weil es sich um Fälschungen oder Nachahmungen handelt (vgl. z.B. Art. 153 ff., Art. 249, 327 f. StGB), gar nicht rechtmässig in Verkehr gebracht werden können und somit eo ipso eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung bedeuten. Demgegenüber kann mit Kriegsmaterial bei Vorliegen der erforderlichen Bewilligungen legal Handel getrieben werden. Dennoch ist es sachlich gerechtfertigt, bei Feststellung einer Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz entsprechend dem von Art. 58 StGB abweichenden Wortlaut von Art. 20 KMG auf den Nachweis einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung in der Zukunft jedenfalls dann zu verzichten, wenn es bei der festgestellten Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz um vorsätzlichen illegalen Handel mit Kriegsmaterial geht. Der private Handel mit Kriegsmaterial berührt einen sensiblen Bereich. Durch die Einziehung von Kriegsmaterial, das bereits Gegenstand vorsätzlichen illegalen Handels gebildet hat, soll von vornherein ausgeschlossen werden, ![]() | 11 |
Es ist demnach insoweit entgegen der Meinung des Beschwerdeführers unerheblich, ob die insgesamt 742 Pistolen in seiner Hand auch in Zukunft die Sicherheit von Menschen oder die öffentliche Ordnung gefährden bzw. ob es - im Sinne der Erwägungen in BGE 116 IV 117 ff. zu Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB - hinreichend wahrscheinlich sei, dass er auch in Zukunft Widerhandlungen gegen das Kriegsmaterialgesetz begehe, oder ob es sich, wie der Beschwerdeführer geltend macht, bei den inkriminierten Widerhandlungen um eine einmalige Entgleisung handelte. Es ist daher insoweit auch unerheblich, dass der Beschwerdeführer die fraglichen Pistolen auch legal hätte verkaufen können und dass gerade auch aus diesem Grunde die Gefahr erneuter Straftaten in der Zukunft allenfalls gering ist. Im übrigen ist immerhin darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit zu legalem Handel den Beschwerdeführer, der gemäss einer Vereinbarung mit der Lieferantin der Halbfabrikate die fertiggestellten Pistolen nicht in der Schweiz verkaufen darf, nicht vom illegalen Handel abgehalten hat.
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3. Die in Art. 20 KMG enthaltene Klausel, wonach die Einziehung des betreffenden Kriegsmaterials zu verfügen ist, "wenn nicht besondere Gründe entgegenstehen", war im Bundesratsbeschluss über das Kriegsmaterial vom 28. März 1949 (AS 1949 315 ff.) samt seitherigen Änderungen (AS 1958 270 ff., 1960 1673 ff., 1967 2028 ff.) noch nicht enthalten, sondern ist erst in Art. 19 des bundesrätlichen Entwurfs zum Bundesgesetz über das Kriegsmaterial geschaffen worden (BBl 1971 I 1596 ff., 1600), mit dem Art. 20 KMG genau übereinstimmt. Den Gesetzesmaterialien kann dazu - soweit ersichtlich - nichts entnommen werden. Weder im Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 7. Juni 1971 über das Volksbegehren betreffend vermehrte Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot (BBl 1971 I 1585 ff.), in welchem auch der im Sinne eines Gegenvorschlages geschaffene Entwurf zu einem Kriegsmaterialgesetz anstelle des Bundesratsbeschlusses kurz erläutert wird, noch im Bericht der Expertenkommission an den Bundesrat über die schweizerische Kriegsmaterialausfuhr (Motion Renschler) vom 13. November 1969 (BBl 1971 I 1602 ff.) werden die die Einziehung betreffenden Fragen erörtert. Art. 19 des bundesrätlichen Entwurfs, dem Art. 20 KMG wörtlich entspricht, wurde im ![]() | 13 |
a) Ein besonderer Grund im Sinne von Art. 20 KMG für den Verzicht auf die grundsätzlich gebotene Einziehung des Kriegsmaterials bei Feststellung einer Widerhandlung kann jedenfalls nicht darin liegen, dass es allenfalls an einer Gefährdung der Sicherheit von Menschen bzw. der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB und der diesbezüglichen Rechtsprechung (BGE 116 IV 117 ff.) fehlt. Käme es darauf an, dann hätte der Gesetzgeber im Kriegsmaterialgesetz auf Art. 58 StGB verwiesen bzw. eine Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB entsprechende Regel geschaffen. Das hat er aber gerade nicht getan; vielmehr hat er eine spezielle Einziehungsvorschrift geschaffen und für diesen Fall die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen des StGB insoweit ausgeschlossen (Art. 22 Abs. 1 KMG). Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass das Fehlen einer - in Art. 20 KMG im Unterschied zu Art. 58 Abs. 1 lit. b StGB gerade nicht vorausgesetzten - Gefährdung der Sicherheit von Menschen oder der öffentlichen Ordnung ein "besonderer Grund" ("une circonstance particulière", "una circostanza particolare") im Sinne von Art. 20 KMG sei. Eine solche "Gesetzgebungstechnik" wäre ungewöhnlich.
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Der Umstand, dass der Beschwerdeführer als Inhaber eines Waffengeschäfts mit einer Grundbewilligung für den Handel mit Kriegsmaterial (vgl. dazu Art. 4 KMG) die fraglichen Pistolen auch legal hätte verkaufen können, und die in der Beschwerde daraus gezogene Schlussfolgerung, dass nicht die Gefahr einer erneuten Widerhandlung gegen das KMG bestehe, ist demnach kein besonderer Grund im Sinne von Art. 20 KMG für den Verzicht auf die Einziehung. Die gegenteilige Auffassung würde abgesehen davon zu einer ungerechtfertigten Privilegierung der Inhaber von Grundbewilligungen zum Handel mit Kriegsmaterial führen.
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Besondere Gründe, die gemäss Art. 20 KMG einer Einziehung entgegenstehen, könnten auch darin liegen, dass die Einziehung in einem konkreten Fall in einem krassen Missverhältnis zur objektiven oder subjektiven Schwere der vom Betroffenen begangenen Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz steht. Zwar ist die Einziehung gemäss Art. 20 KMG, gleich der Einziehung nach Art. 58 StGB, ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person möglich. Das hindert aber nicht, in Konkretisierung des allgemein geltenden Verhältnismässigkeitsgrundsatzes (BGE 104 IV 149) objektive und subjektive Umstände, welche die Widerhandlung als geringfügig erscheinen lassen, als besondere Gründe im Sinne von Art. 20 KMG für den Verzicht auf die Einziehung zu werten. Das Kriegsmaterialgesetz enthält eine ganze Reihe von Straftatbeständen, die einerseits als Vergehen (Art. 17 KMG), anderseits als Übertretungen (Art. 18 KMG) eingestuft werden, wobei in allen Fällen auch fahrlässiges Verhalten strafbar ist. Die Einziehung des betreffenden Kriegsmaterials ist geboten, wenn "eine Widerhandlung festgestellt" ist. Die Einziehung von teurem Kriegsmaterial kann aber völlig unverhältnismässig sein, wenn die festgestellte Widerhandlung sich beispielsweise in einer fahrlässigen Missachtung einer gestützt auf das Gesetz oder auf eine Vollziehungsverordnung erlassenen allgemeinen Weisung oder Einzelverfügung (vgl. Art. 18 KMG) erschöpft oder wenn zwischen der "festgestellten Widerhandlung" und dem "betreffenden Kriegsmaterial" (Art. 20 KMG) nur ein lockerer Zusammenhang besteht.
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bb) Im vorliegenden Fall sind keine Umstände ersichtlich, die als "besondere Gründe" im Sinne von Art. 20 KMG für den Verzicht auf die Einziehung der beschlagnahmten insgesamt 742 Pistolen gewertet werden können. Es mag zutreffen, dass entsprechend den Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht der Beschwerdeführer X., sondern die X. AG Eigentümerin der fraglichen Pistolen war. Diese Unternehmung kann aber nicht als an den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Widerhandlungen völlig unbeteiligte Dritte betrachtet werden; denn zwischen dem Beschwerdeführer und der AG besteht offensichtlich ein enger Zusammenhang, und der Beschwerdeführer hat die inkriminierten Straftaten zweifelsfrei als Geschäftsmann, beim Besorgen der Angelegenheiten der X. AG, begangen. Der Beschwerdeführer hat vorsätzlich mit mehreren hundert Pistolen im Einstandswert von über Fr. 100'000.-- illegal Handel getrieben und dadurch Widerhandlungen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. a und lit. d (als Gehilfe bzw. als Täter) verübt. Diese Straftaten sind offensichtlich weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht geringfügiger Natur, und zwischen ihnen und den fraglichen Pistolen besteht ein enger Zusammenhang. Unter diesen Umständen liegen keine besonderen Gründe im Sinne von Art. 20 KMG für den Verzicht auf die Einziehung des Kriegsmaterials vor.
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c) Der Beschwerdeführer ist allerdings der Meinung, es müsse in Anwendung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes bzw. unter weiter Auslegung der "besonderen Gründe" im Sinne von Art. 20 KMG möglich sein, die beschlagnahmten Waffen an ihn bzw. richtiger an die X. AG unter Auflagen herauszugeben, etwa mit Weisungen bezüglich des Einholens von Ausfuhrbewilligungen, des Verkaufs nur in bestimmte Länder oder an zum voraus bestimmte Personen mit Waffenerwerbsschein. Eine Herausgabe der beschlagnahmten Pistolen unter solchen Weisungen fällt indessen schon deshalb ausser Betracht, weil nach dem Gesagten eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung etc. durch erneuten illegalen Handel mit dem fraglichen Kriegsmaterial, die durch solche Weisungen allenfalls vermindert oder gar beseitigt werden könnte, nicht Voraussetzung für die Einziehung nach Art. 20 KMG ist und das Fehlen einer solchen Gefährdung nicht als "besonderer Grund" im Sinne dieser Bestimmung gewertet werden kann.
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