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85. Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1991 i.S. Eidgenössische Zollverwaltung gegen O. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 73 ff. VStrR; Rechtsmittellegitimation der beteiligten Verwaltung im gerichtlichen Verfahren in Bundesverwaltungsstrafsachen. | |
Sachverhalt | |
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B.- O. verlangte am 13. April 1989 die gerichtliche Beurteilung der Strafsache, worauf die Oberzolldirektion mit Überweisung vom 8. Januar 1990 die Akten der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen zuhanden des zuständigen Strafgerichtes übermittelte.
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C.- Die eidgenössische Oberzolldirektion erhob dagegen Berufung. Mit Urteil vom 23. Januar 1991 trat das Kantonsgericht St. Gallen auf die Berufung nicht ein, da die Oberzolldirektion nicht berufungslegitimiert sei.
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D.- Gegen diesen Entscheid erhebt die Oberzolldirektion eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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E.- O. beantragt, auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzutreten, eventualiter sie abzuweisen.
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F.- Die schweizerische Bundesanwaltschaft, vom Instruktionsrichter zu einer Stellungnahme eingeladen, äusserte sich mit Eingabe vom 14. Juni 1991.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. a) Das Kantonsgericht begründet seine Auffassung im wesentlichen wie folgt: In bezug auf die Legitimation im kantonalen Rechtsmittelverfahren verweise Art. 80 Abs. 1 VStrR auf das kantonale Recht. Nach Art. 80 Abs. 2 VStrR sei überdies der Bundesanwalt legitimiert; die beteiligte Verwaltung werde als Rechtsmittelklägerin nicht genannt. Nach Art. 74 VStrR seien Parteien im gerichtlichen Verfahren der Beschuldigte, der öffentliche Ankläger gemäss kantonalem Recht, der Bundesanwalt und die beteiligte Verwaltung. Die Oberzolldirektion leite ihre Rechtsmittellegitimation im kantonalen Verfahren aus der ihr in Art. 74 VStrR eingeräumten Parteistellung ab. Gemäss st. gallischem Strafprozessrecht seien zur Berufung legitimiert grundsätzlich nur der Staatsanwalt und der Angeschuldigte; der Geschädigte sei dazu befugt, soweit ihm Verfahrenskosten auferlegt worden seien. Auch aus Art. 80 Abs. 2 bzw. Art. 74 VStrR lasse sich keine Rechtsmittellegitimation der Beschwerdeführerin herleiten. Art. 80 Abs. 2 VStrR sehe vor, dass auch der Bundesanwalt die kantonalen Rechtsmittel einlegen könne. Damit werde eine Befugnis wiederholt, die bereits in Art. 15 BStP festgehalten sei. Aus Art. 80 Abs. 2 VStrR ergebe sich keine Rechtsmittellegitimation der beteiligten Verwaltung. Das Bundesgericht habe diese Legitimation aus Art. 74 Abs. 1 VStrR hergeleitet und damit den Schluss gezogen, diese Befugnis sei ein aus der Parteistellung fliessendes ![]() | 8 |
b) Die Beschwerdeführerin verweist auf die mit BGE 105 IV 287 E. 3 begründete Praxis, wonach sich aus der Parteistellung gemäss Art. 74 Abs. 1 VStrR auch die Legitimation der beteiligten Verwaltung zur selbständigen Ergreifung von Rechtsmitteln gegen kantonale Gerichtsurteile ableite. Dementsprechend habe das Bundesgericht auch die Befugnis zur Ergreifung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde der beteiligten Verwaltung zuerkannt. Die Vorinstanz setze sich also bewusst in Widerspruch zu einer jahrelangen konstanten Praxis des Bundesgerichtes und wolle offenbar deren Änderung erwirken. Das erstaune umso mehr, als vor den Schranken die Rechtsmittelbefugnis der Verwaltung von keiner Seite bestritten worden sei. Gegen eine Praxisänderung sprächen nicht nur der Gesetzeswortlaut, sondern auch sachliche Gründe. Sofern die Anwesenheit des kantonalen Staatsanwaltes in ![]() | 9 |
c) Der Beschwerdegegner stellt zunächst die Legitimation der Beschwerdeführerin zur Nichtigkeitsbeschwerde in Frage und beantragt Abweisung im wesentlichen mit den Gründen der Vorinstanz. Er führt aus, der Beschwerdeführerin gehe es ganz konkret "um die Durchsetzung ihrer Macht und Ansicht". Gerade ein solches Verhalten rufe nach einer Kontrolle auf der anklagenden Seite, wie sie mit der Beschwerdelegitimation des Bundesanwaltes gegeben sei. Damit bestehe Gewähr, dass nicht alle kleinen und kleinsten Strafbescheide rechthaberisch bis an das Bundesgericht weitergezogen würden.
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d) Die Bundesanwaltschaft äussert sich wie folgt: Nach der ursprünglichen Konzeption sollte die Bundesanwaltschaft zentral für alle Bundesämter Rechtsmittel einlegen, um eine gewisse Einheitlichkeit zu gewährleisten. Auf Bundesebene sollte es Sache des Bundesanwaltes sein, ein Rechtsmittel zu ergreifen. Aufgrund der alten Praxis habe sich die beteiligte Verwaltung deshalb jeweils an die Bundesanwaltschaft gewandt, wenn nach ihrer Auffassung ein ![]() | 11 |
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In BGE 81 IV 207 E. 2 wurde für den Bereich des Bundesbeschlusses über Massnahmen zur Erhaltung der Uhrenindustrie vom 22. Juni 1951 die ausschliessliche Legitimation des Bundesanwaltes gemäss Art. 270 Abs. 6 BStP angenommen. Die Legitimation des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes, in dessen Auftrag die Uhrenkammer handelte, wurde verneint. Verneint wurde insbesondere ein praktisches Bedürfnis nach konkurrierender Beschwerdelegimitation zweier Bundesstellen. Wenn das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement finde, ein kantonaler Strafentscheid oder Einstellungsbeschluss sei mit Nichtigkeitsbeschwerde anzufechten, könne es seine Auffassung dem Bundesanwalt unterbreiten, der hierauf nach eigenem Ermessen Beschwerde führen oder die Sache auf sich beruhen lassen könne.
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Zur Rechtslage aufgrund des am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht äusserte sich das Bundesgericht in BGE 105 IV 287 E. 3 und erkannte, die beteiligte Verwaltung sei selbständig zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert. Begründet wurde das vor allem damit, dass der beteiligten Verwaltung im gerichtlichen Verfahren gemäss Art. 74 Abs. 1 VStrR Parteistellung zukomme. Aus anderen Bestimmungen des ![]() | 14 |
Aus BGE 105 IV 287 kann höchstens indirekt der Schluss gezogen werden, dass der beteiligten Verwaltung von Bundesrechts wegen nicht nur Parteistellung, sondern auch die Legitimation zur Ergreifung kantonaler Rechtsmittel zustehe. Davon ist das Bundesgericht in der Folge ohne weitere Diskussion auch ausgegangen (vgl. BGE 114 IV 179 E. 2b).
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b) Aus der Entstehungsgeschichte, auf welche in BGE 105 IV 287 nicht eingegangen wird, ergibt sich folgendes: Die Vorschriften über das gerichtliche Verfahren (Art. 73 bis 83 VStrR, im Entwurf Art. 77 bis 87) sollten nichts grundsätzlich Neues bringen (Botschaft zum Entwurf eines Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht vom 21. April 1971, BBl 1971 I, S. 1014; Amtl.Bull. 1971 S 851, Votum Munz; Amtl.Bull. 1973 N 454 ff.). Im Nationalrat wurde vor allem die Frage aufgeworfen, ob es dem Angeschuldigten zumutbar sei, in einem Verfahren drei Instanzen gegenüberzustehen, nämlich dem öffentlichen Ankläger des Kantons, dem Bundesanwalt und der beteiligten Verwaltung. Verlangt wurde, dass diese nicht etwa kumulativ auftreten. Zur Frage der Parteistellung und der Rechtsmittellegitimation erklärte Bundesrat Furgler ausdrücklich: "Aber diese Parteistellung ist insofern eingeschränkt, als die Verwaltung nicht etwa selbständig Rechtsmittel einlegen kann. Diese sind auf seiten des Bundes dem Bundesanwalt vorbehalten. Ich darf auf Art. 84 Abs. 2 und Art. 87 Abs. 1 (gemeint des Entwurfs, jetzt Art. 80 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1) verweisen" (Amtl.Bull. 1973 N 488). Aus der Entstehungsgeschichte ist somit zu schliessen, dass man für die hier interessierende Frage mit dem Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht nichts Neues einführen, sondern die mit BGE 81 IV 207 begründete Rechtsprechung betreffend Rechtsmittellegitimation fortschreiben wollte. BGE 105 IV 287 steht somit im Widerspruch zur Entstehungsgeschichte.
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d) Stellt man allein auf den Wortlaut der in Betracht kommenden Bestimmungen des VStrR ab, lässt sich die Frage nach der Beschwerdelegitimation nicht derart klar beantworten, wie das in BGE 105 IV 287 geschehen ist. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 74 Abs. 1 VStrR nur umschrieben ist, welches die Parteien im gerichtlichen Verfahren sind. Es sind das neben dem Beschuldigten der öffentliche Ankläger gemäss kantonalem Recht, der Bundesanwalt und die beteiligte Verwaltung. Eine Aussage darüber, ob den Parteien auch die Rechtsmittellegitimation zusteht, ist damit nicht gemacht. Im Gegenteil ist aus Art. 74 Abs. 2 VStrR zu schliessen, dass zwischen Parteirechten und Rechtsmitteln zu unterscheiden ist. Denn in dieser Bestimmung wird gesagt, dass dem von der Einziehung Betroffenen die gleichen Parteirechte und Rechtsmittel zustünden wie einem Beschuldigten. Das ist ein Indiz dafür, dass auch nach der Konzeption des VStrR zwischen Parteirechten und Rechtsmittellegitimation zu unterscheiden ist.
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Art. 80 Abs. 1 VStrR spricht von den kantonalen Rechtsmitteln. Danach sind die Rechtsmittel des kantonalen Rechts auch in Strafsachen zulässig, die dem kantonalen Gericht gemäss Art. 73 VStrR zur Beurteilung überwiesen werden. In dieser Bestimmung wird also ausdrücklich auf das Rechtsmittelsystem des kantonalen Rechtes verwiesen, was bedeutet, dass der beteiligten Verwaltung im kantonalen Verfahren nur dann die Rechtsmittellegitimation zusteht, wenn das kantonale Recht das ausdrücklich vorsieht. Dasselbe ergibt sich aus Art. 80 Abs. 2 VStrR. Wenn dort gesagt wird, die Rechtsmittel stünden auch dem Bundesanwalt zu, dann offenbar um sicherzustellen, dass dieser immer legitimiert ist, unabhängig von der Ausgestaltung der kantonalen Regelung. Hätte überdies der beteiligten Verwaltung die Legitimation zur Einreichung kantonaler Rechtsmittel von Bundesrechts wegen zugesprochen werden sollen, dann hätte in Art. 80 Abs. 2 VStrR diese neben dem Bundesanwalt ausdrücklich erwähnt werden müssen. Entsprechendes lässt sich aus Art. 83 Abs. 1 VStrR betreffend Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht herleiten. Hier erfolgt der generelle Verweis auf Art. 269 bis 278 BStP. Gemäss Art. 270 Abs. 1 Satz 1 BStP steht die Nichtigkeitsbeschwerde nur dem Angeklagten und dem öffentlichen Ankläger des Kantons zu, ![]() | 19 |
e) Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die mit BGE 105 IV 287 begründete Praxis sei auch sachgerecht, ist folgendes zu bemerken: Die selbständige Rechtsmittellegitimation der beteiligten Verwaltung mag unter dem Gesichtspunkt der Effizienz und der Arbeitsteilung für sie von Vorteil sein. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass eine Beschränkung der Rechtsmittellegitimation auf den Bundesanwalt, gegebenenfalls neben dem kantonalen Ankläger, auch sachgerecht sein kann, weil sie eine gewisse Kontrolle und Koordination der Rechtsmittel bewirkt. Wenn sich die Bundesanwaltschaft in dem BGE 105 IV 287 zugrundeliegenden Fall gegen die generelle Einräumung der Beschwerdelegitimation an die beteiligte Verwaltung gewandt hat und wenn sie in ihrer Stellungnahme im heutigen Verfahren durchblicken lässt, dass es auch Gründe für die Koordination der Rechtsmittelfälle bei der Bundesanwaltschaft gibt, so zeigt dies, dass es Sachgesichtspunkte für beide hier in Frage kommenden Lösungen gibt. Im übrigen ändern die von der Beschwerdeführerin angerufenen Gesichtspunkte nichts daran, dass gemäss ausdrücklicher Zusicherung in den parlamentarischen Beratungen der beteiligten Verwaltung keine Rechtsmittelbefugnis von Bundesrechts wegen zukommen sollte und dass das, wie dargelegt, auch im Gesetz seinen Ausdruck gefunden hat.
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f) Daraus, dass die beteiligte Verwaltung von Bundesrechts wegen im kantonalen Verfahren Parteistellung hat, lässt sich, wie die Vorinstanz zu Recht bemerkt, nichts für die Rechtsmittellegitimation herleiten. Denn die Prozessgesetze zählen in der Regel unabhängig davon, wem Parteistellung zukommt, erschöpfend ![]() | 21 |
g) Somit ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte wie auch aus der Systematik des Gesetzes, dass der beteiligten Verwaltung im kantonalen Verfahren von Bundesrechts wegen keine Rechtsmittellegitimation zukommt. Ob Sachgesichtspunkte für eine abweichende Regelung sprechen, kann offenbleiben; gegebenenfalls hätte der Gesetzgeber eine andere Regelung zu treffen.
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Ebenso ergibt sich, dass die beteiligte Verwaltung nicht zur Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht legitimiert ist.
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4. Nach dem Gesagten ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde mangels Legitimation der Beschwerdeführerin nicht einzutreten. Sie müsste im übrigen abgewiesen werden, da die Vorinstanz die Legitimation der Beschwerdeführerin zur Einreichung der kantonalen Berufung ohne Verletzung von Bundesrecht verneint hat.
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