BGE 117 IV 504 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
88. Urteil des Kassationshofes vom 21. März 1991 i.S. H. gegen Statthalteramt des Bezirkes Winterthur (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 12 Abs. 2 VRV; brüskes Bremsen (Schikanestop). |
2. Brüskes Bremsen stellt nur dann eine Verletzung von Art. 12 Abs. 2 VRV dar, wenn durch dieses Verhalten andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden (E. 1c). | |
Sachverhalt | |
H. fuhr am 26. Dezember 1988 um 15.30 Uhr mit seinem Personenwagen auf der Autobahn N 1 auf der Überholspur, um eine Wagenkolonne zu überholen. Ihm folgte ein ziviles Polizeifahrzeug, dessen Lenker durch mehrere Zeichen mit der Lichthupe anzeigte, dass er überholen wolle. Da das Fahrzeug etwas zu nahe aufgeschlossen war und er sich dadurch schikaniert fühlte, wollte H. den Lenker dieses Fahrzeuges durch mehrmaliges (drei- bis viermal) Antippen des Bremspedals, wodurch sein Fahrzeug mehr als nur geringfügig verzögert wurde, auf sein verkehrswidriges Verhalten aufmerksam machen.
| 1 |
Nachdem H. mit Strafverfügung des Statthalteramtes des Bezirkes Winterthur gestützt auf diesen Sachverhalt am 9. März 1989 noch wegen Ausführens eines Schikanestops und ungenügenden Rechtsfahrens bestraft worden war, sprach ihn der Einzelrichter am 15. Januar 1990 nur noch wegen des Schikanestops in Anwendung von Art. 12 Abs. 2 VRV in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 100.--.
| 2 |
Eine gegen dieses Urteil gerichtete kantonale Nichtigkeitsbeschwerde von H. wies das Obergericht des Kantons Zürich am 14. August 1990 ab.
| 3 |
Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt H., das Urteil des Obergerichts aufzuheben.
| 4 |
Das Obergericht des Kantons Zürich und das Statthalteramt des Bezirkes Winterthur haben auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde verzichtet.
| 5 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
6 | |
a) Die kantonalen Instanzen verurteilten den Beschwerdeführer gestützt auf Art. 12 Abs. 2 VRV, wonach "brüskes Bremsen und Halten" nur gestattet sind, wenn kein Fahrzeug folgt und im Notfall.
| 7 |
Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz stelle zwar fest, er habe sein Fahrzeug mehr als nur unwesentlich verzögert; von brüskem Bremsen sei indessen weder im erstinstanzlichen Entscheid, noch im Urteil des Obergerichts die Rede. Dass ein Fahrzeug folgte und kein Notfall vorlag, wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Es ist daher einzig zu prüfen, ob eine "mehr als nur unwesentliche Verzögerung" als brüskes Bremsen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 VRV bezeichnet werden kann.
| 8 |
b) Vorinstanz und Beschwerdeführer stützen sich auf BGE 99 IV 100 ff., ziehen indessen daraus unterschiedliche Schlüsse. Der Entscheid lässt in der Tat verschiedene Auslegungen von Art. 12 Abs. 2 VRV zu: Einerseits wird das brüske bzw. "grundlos scharfe Bremsen aus Böswilligkeit" als unzulässig erachtet, andererseits das nur unwesentliche Verzögern der Fahrt des Fahrzeuges als zulässig bezeichnet.
| 9 |
Art. 12 Abs. 2 VRV konkretisiert Art. 37 Abs. 1 SVG und ist im Lichte der Grundverkehrsregel von Art. 26 SVG auszulegen, wonach sich im Verkehr jedermann so zu verhalten hat, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet (vgl. BGE 115 IV 250 E. 2b und 3a). Für die Verkehrsregeln im Vordergrund steht deshalb die Verkehrssicherheit, d.h. die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer und anderer Dritter (vgl. SCHAFFHAUSER, Strassenverkehrsrecht I, Bern 1984, N 282). Ursprünglich war die Bestimmung auf Situationen mit dichtem Verkehr und entsprechend knappen Abständen zwischen den Fahrzeugen (BBl 1955 II 34) und damit eher normale (städtische) Strassen zugeschnitten, auf welchen zu jener Zeit, als noch keine Autobahnen bestanden (das BG über die Nationalstrassen (SR 725.11), das den Bau solcher Strassen ermöglichte, trat 1960 in Kraft), noch keine hohen Geschwindigkeiten gefahren werden konnten. Heute ist die Bestimmung angesichts der veränderten Verkehrsverhältnisse zeitgemäss auszulegen. Die erheblich höheren Geschwindigkeiten, die auf den heutigen Autobahnen gefahren werden, führen dazu, dass schon ein Abbremsen des Fahrzeuges, welches nicht als "brüsk" im Sinne eines "scharfen" (BGE 99 IV 102) oder "einigermassen kräftigen" (SCHAFFHAUSER, a.a.O., N 534) Bremsens bezeichnet werden kann, die Verkehrssicherheit beeinträchtigt; denn je höher die gefahrene Geschwindigkeit und je knapper der zwischen dem bremsenden und dem nachfolgenden Fahrzeug bestehende Abstand, um so gefährlicher kann auch ein geringfügiges Bremsen für die Verkehrsteilnehmer sein. Aufgrund dieses Gefahrenpotentials ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass im Sinne von Art. 12 Abs. 2 VRV brüsk bremst, wer - wenn ein anderes Fahrzeug folgt - auf Autobahnen sein Fahrzeug durch Bremsen mehr als nur unwesentlich verzögert. Die erwähnte Rechtsprechung ist in diesem Sinne zu präzisieren.
| 10 |
c) Nicht gefolgt werden kann indessen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung, es könne offenbleiben, ob das nachfolgende Fahrzeug durch das Antippen des Bremspedals gefährdet wurde; denn brüskes Bremsen stellt nur dann eine Verletzung von Art. 12 Abs. 2 VRV dar, wenn durch dieses Verhalten andere gefährdet werden und der Bremsende weiss oder wissen muss, dass dies der Fall ist (BGE 115 IV 255 E. 5d mit Hinweis).
| 11 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |