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15. Urteil des Kassationshofes vom 24. Januar 1992 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen gegen T. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 42 Abs. 1 MPG (SR 661); Art. 64 StGB. | |
Sachverhalt | |
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Am 20. April 1990 lenkte T. seinen Personenwagen mit einem Sachentransportanhänger, auf dem sich 12 Personen befanden, von Gossau in Richtung Neuchlen-Anschwilen.
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B.- Die Gerichtskommission Gossau sprach T. am 9. November 1990 der schuldhaften Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes (Art. 42 MPG) sowie des unerlaubten Mitführens von Personen auf ![]() | 3 |
Das Kantonsgericht St. Gallen wies die von der Staatsanwaltschaft eingereichte Berufung am 2. Juli 1991 ab.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung unter Nichtanwendung des Strafmilderungsgrundes der achtenswerten Beweggründe gemäss Art. 64 StGB an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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T. beantragt in seiner Vernehmlassung sinngemäss die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Der 1951 geborene Beschwerdegegner wurde im Jahre 1972 wegen Dienstverweigerung zu einem Monat Haft sowie zum Ausschluss aus der Armee verurteilt. Das Divisionsgericht billigte ihm zu, aus ethischen Gründen in schwerer Gewissensnot gehandelt zu haben. Der Beschwerdegegner hatte anstelle der Rekrutenschule freiwillig und ohne Bezahlung während fünf Monaten in einem Heim für schwer cerebralgelähmte Kinder gearbeitet und dadurch seinen Willen bekundet, anstelle des Militärdienstes einen Zivildienst zu leisten. Der Beschwerdegegner verweigerte in der Folge stets auch die Bezahlung des Militärpflichtersatzes. Er wurde deswegen mehrmals auch zu unbedingten Haftstrafen verurteilt und musste jeweils den Militärpflichtersatz weit übersteigende Verfahrenskosten zahlen. Der Beschwerdegegner will nach seinen eigenen Aussagen im kantonalen Verfahren ungeachtet der verschiedenen Verurteilungen weiterhin seinen Weg gehen. Er setze sich ein für eine bessere, gerechtere und friedlichere Welt, er wehre sich für die Natur, für rechtlose Menschen sowie für eine gerechte Güterverteilung; die Armee aber laufe diesen Bestrebungen zuwider. Es sei mit den genannten Zielen, so erklärte er im kantonalen Verfahren weiter, unvereinbar, Militärdienst zu leisten, sei es mit dem Körper, sei es mit Geld. Die Tatbestände der Militärdienstverweigerung und der ![]() | 7 |
Zu prüfen ist im vorliegenden Verfahren allein, ob dem Beschwerdegegner in bezug auf die schuldhafte Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes der Strafmilderungsgrund der achtenswerten Beweggründe gemäss Art. 64 StGB zu Recht zugebilligt wurde oder nicht.
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c) Die Staatsanwaltschaft macht in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde demgegenüber geltend, dass die Pflicht zur Bezahlung einer Ersatzabgabe die Rechtsgleichheit in bezug auf die allgemeine Wehrpflicht herstelle, die in der Schweiz allgemein anerkannt sei. Der Richter habe das öffentliche Gewissen zu vertreten und sich danach zu richten; er dürfe sich nicht die davon abweichende Wertordnung eines Angeklagten ![]() | 11 |
d) Der Beschwerdegegner wiederholt in seiner Vernehmlassung zur Nichtigkeitsbeschwerde seine bereits im kantonalen Verfahren vorgetragenen Argumente. Er führt zudem aus, schon die Bezeichnung der fraglichen Abgabe als "Militärpflichtersatz" zeige deren engen Zusammenhang mit der Militärdienstleistung; dieser ergebe sich auch daraus, dass die Abgabe von militärischen Behörden erhoben und eingetrieben werde, dass geleistete Diensttage verrechnet werden und dass die Bezahlung der Abgabe im Dienstbüchlein quittiert werde. Das Argument, diese Abgabe fliesse in die allgemeine Bundeskasse, hält nach Meinung des Beschwerdegegners nicht; denn nicht die Kasse, in die das Geld fliesst, sei entscheidend, sondern die Tatsache, dass sein Ausschluss aus dem Heer durch die Bezahlung dieser Abgabe quasi aufgehoben würde. Der Beschwerdegegner bemüht sich nach seinen weiteren Ausführungen, sich, wo immer es gehe, gegen die Existenz von Armeen zu wehren, die in letzter Konsequenz immer lebensfeindlich, zerstörerisch und menschenverachtend seien. Seine Wertprioritäten entsprächen einem globalen Muss, falls die Menschheit nicht in einem Genozid oder in einer Ökokatastrophe untergehen wolle; seine Anliegen entsprächen also dem Anliegen der meisten verantwortungsvollen Menschen, seien daher weder asozial noch egoistisch, sondern stünden im Einklang mit der auf christlichen Grundwerten beruhenden Bundesverfassung. Angesichts des offensichtlichen Zusammenhangs zwischen dem Militärpflichtersatz und der Armee, die allen seinen Zielen und Anliegen betreffend die Erhaltung der Menschheit und der Umwelt zuwiderlaufe, sei ihm die Bezahlung der Ersatzabgabe unmöglich, so klein der Betrag an sich auch sei. Die Bezahlung der Abgabe würde seiner Grundhaltung und seiner Überzeugung zutiefst widersprechen und ihn vor sich selber unglaubhaft machen.
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a) Das Bundesgesetz betreffend den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878 sah noch keine Bestrafung des Ersatzpflichtigen wegen schuldhafter Nichtbezahlung der Ersatzabgabe vor. Hingegen bestand in verschiedenen Kantonen eine Praxis, bei Nichtbezahlung der Ersatzabgabe unabhängig vom Verschulden des Täters Haftstrafen zu verhängen bzw. ausgefällte Bussen in Haftstrafen umzuwandeln oder die Säumigen zwangsweise zum "Abverdienen" der Abgabe einzuberufen. Das Bundesgericht hat in mehreren Entscheiden erkannt, dass diese Praxis gegen das in Art. 59 Abs. 3 BV statuierte Verbot des Schuldverhafts verstosse (BGE XIX S. 44 ff., S. 471 ff., XXII S. 24 ff.). Es hat in BGE XIV S. 175 ff. festgehalten, dass "die Belegung schuldhafter (böswilliger oder fahrlässiger) Nichterfüllung aller oder gewisser vermögensrechtlicher Verbindlichkeiten mit öffentlicher Strafe dagegen, wie § 73 Ziff. 5 des solothurnischen Strafgesetzbuches sie statuiert, ... kein Schuldverhaft (sei)". Angesichts dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung wurde von Parlamentariern eine Strafbestimmung gefordert, die für schuldhafte Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes eine Freiheitsstrafe androht, um auf diese Weise einen wirksameren Zahlungseingang zu erreichen, zumal der oft mühsame Weg der Zwangsvollstreckung häufig nicht zum Ziel führte (vgl. Botschaft des Bundesrates, BBl 1898 III 572 ff.). Nach eingehenden Verhandlungen beschlossen die Eidgenössischen Räte das Bundesgesetz vom 29. März 1901 betreffend die Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878 (AS XVIII S. 695). Dessen Art. 1 Abs. 1 bestimmte, dass vom Strafrichter mit Haft von ein bis zehn Tagen bestraft wird, wer schuldhafterweise, ungeachtet zweimaliger Mahnung durch die Militärbehörden, den Militärpflichtersatz nicht entrichtet. Diese Strafbestimmung ist im wesentlichen unverändert in das neue, heute geltende Bundesgesetz über den Militärpflichtersatz vom 12. Juni 1959 übernommen worden (vgl. Botschaft des Bundesrates BBl 1958 II 333 ff., 341, 380, 394; Sten.Bull. 1959 NR S. 30 ff., StR S. 172 f.). In den eingehenden parlamentarischen Beratungen von 1898 bis 1901 über die Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz von 1878 durch eine (Freiheitsstrafe androhende) Strafbestimmung war heftig umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Freiheitsstrafe wegen Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes ![]() | 14 |
Angesichts der sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Argumente, mit denen die umstrittene - vorliegend nicht zu überprüfende (vgl. Art. 113 Abs. 3 BV) - Verfassungsmässigkeit einer in einem Bundesgesetz angedrohten Freiheitsstrafe wegen schuldhafter Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes bejaht wurde, könnte an sich in der Tat die Annahme naheliegen, dass ein enger materieller Zusammenhang zwischen der Abgabepflicht und der Militärdienstpflicht bestehe. Wenn insoweit ein enger Zusammenhang ![]() | 15 |
b) In Tat und Wahrheit besteht aber zwischen der Militärdienstpflicht und der Pflicht zur Zahlung der Ersatzabgabe nur ein formaler Zusammenhang. Der Wehrpflichtige hat eine Ersatzabgabe zu bezahlen, wenn und soweit er aus irgendwelchen Gründen keinen Militärdienst leistet. Die Zahlung der Ersatzabgabe ist der Leistung von Militärdienst aber keineswegs gleichwertig und kann nicht ernsthaft als Erfüllung der Wehrpflicht in anderer Form qualifiziert werden. Sie ist in jeder Hinsicht etwas völlig anderes als die Militärdienstleistung (HÖHN in Kommentar BV, Art. 18 Abs. 4, Rz. 3). Die Ersatzabgabe wird aus Gründen der Gerechtigkeit und der Rechtsgleichheit erhoben. In dieser Ausgleichsfunktion liegt, wie in BGE 115 IV 66 festgehalten worden ist, ihr wesentlicher Sinn und Zweck (PETER RUDOLF WALTI, Der schweizerische Militärpflichtersatz, Diss. Zürich 1979, S. 45 ff., 55 f. mit Hinweisen). Der Wehrpflichtige soll, soweit er nicht Militärdienst leistet, aus Gründen der Gerechtigkeit und der Rechtsgleichheit durch Bezahlung einer Ersatzabgabe ein Opfer bringen. Es geht nicht um die Erfüllung der Wehrpflicht in anderer Form, sondern um ein Opfer, das eben jener zu erbringen hat, der die gesetzliche Dienstpflicht nicht oder nicht vollumfänglich erfüllt, und dieses Opfer soll, was allerdings eine Fiktion ist, den Lasten, Mühen und Risiken der nicht erbrachten Dienstleistung entsprechen (s. dazu BGE 113 Ib 206 E. 3 mit Hinweisen auf BGE 91 I 430 und die Materialien). Wohl bedarf es einer Ersatzabgabepflicht aus Gründen der Gerechtigkeit und der Rechtsgleichheit gerade deshalb, weil die allgemeine Wehrpflicht besteht. Dies darf aber nicht zum Schluss verleiten, dass die Leistung der Ersatzabgabe Erfüllung der Wehrpflicht in der dem nicht diensttuenden Schweizer möglichen, unvollkommenen Form sei (so aber unter anderen M. HUNZINGER, op.cit., S. 341), und ein solcher Schluss ist denn auch in BGE 115 IV 66 nicht gezogen worden. Die Auffassung, die Wehrpflicht umfasse auch die Pflicht der Bezahlung der Ersatzabgabe, stellt das Verhältnis schief dar (BURCKHARDT, Kommentar BV, 3. Aufl. 1931, S. 138; eingehend ARMIN JEGER, op.cit., S. 12 ff.; HÖHN, a.a.O., soweit die Ersatzleistung von an sich Diensttauglichen betreffend; vgl. auch A. MACHERET in Kommentar BV, Art. 18 Abs. 1-3, Rz. 16 f.). Die Bezahlung der Ersatzabgabe ist angesichts der Art dieser Leistung ![]() | 16 |
Dem Abgabepflichtigen, der aus seiner pazifistischen Grundhaltung heraus die Bezahlung des Militärpflichtersatzes verweigert, können daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht unter Berufung auf einen engen Zusammenhang zwischen dieser Abgabe und dem Militärdienst strafmildernde achtenswerte Beweggründe zugebilligt werden. Denn der Abgabepflichtige verweigert ein finanzielles Opfer, welches aus Gründen der Gerechtigkeit und der Rechtsgleichheit von ihm gefordert wird, und er handelt damit sachfremd.
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c) Auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verwendung des Militärpflichtersatzes können einem Pflichtigen, der die Zahlung der Abgabe aus pazifistischen Gründen verweigert, nicht achtenswerte Beweggründe zugebilligt werden. BGE 115 IV 66 bedarf allerdings insoweit einer gewissen Präzisierung.
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Die Nichtbezahlung der gesamten geschuldeten Ersatzabgabe ist sachfremd, da die Abgabe, wie z.B. Steuern, in die allgemeine Bundeskasse fliesst und somit nur zu einem Bruchteil (von nach Ansicht des Beschwerdegegners ca. 20%) indirekt für das Militär verwendet wird. Eine eigenmächtige Kürzung der geschuldeten Abgabe durch den Pflichtigen aus pazifistischen Gründen um ca. 20% wäre dagegen - und insoweit ist BGE 115 IV 66 zu präzisieren - nicht geradezu sachfremd. Dennoch fällt auch insoweit die Zubilligung des ![]() | 19 |
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