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29. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. April 1992 i.S. M. gegen F. (Nichtigkeitsbeschwerde). | |
Regeste |
Art. 173 Ziff. 1 und Ziff. 2, Art. 175 StGB; üble Nachrede gegen einen Verstorbenen. |
1. Der Vorwurf der landesverräterischen Putschplanung, erhoben gegenüber einem schweizerischen Offizier für das Jahr 1940, ist ehrverletzend (E. 3). |
2. Das Weiterverbreiten fremder rufschädigender Äusserungen ist grundsätzlich auch strafbar, wenn dies als blosses Zitat erfolgt (E. 4a). |
3. a) Entlastungsbeweis (Wahrheits- oder Gutglaubensbeweis) und Rechtfertigung; der Journalist geniesst diesbezüglich grundsätzlich kein Privileg (E. 4b). |
b) Besondere Behandlung von Publikationen wissenschaftlichen Inhalts; die Ehrverletzungstatbestände sind verfassungskonform auszulegen (E. 4c). |
4. Grenzen der Pflicht zur Überprüfung einer Primärquelle (E. 5). | |
Sachverhalt | |
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Der juristische Streit um die Frage, ob Wilhelm Frick als Rechtsextremist bezeichnet werden kann (und darf), hat die Historiker ganz nebenbei auch zu neuem Forschungseifer animiert. Dabei förderten die vor allem aktiven Assistentinnen und Assistenten des Historischen Instituts der Universität Bern immer neues Material über Fricks zweifelhafte Vergangenheit zutage. Dazu gehört jetzt auch ein Brief des Zürcher Ingenieurs Hans Brändli an Professor Heinrich Frick vom 29. Juli 1940, aus dem hervorgeht, dass Wilhelm Frick in landesverräterische Putschplanungen gegen die Schweiz verwickelt war.
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Der Brief berichtet von einer Versammlung am 25. Juli 1940 im Bahnhofbuffet Zürich, zu welcher der Vorort des Volksbundes für die Unabhängigkeit der Schweiz "einen kleinern Kreis von Mitgliedern und gleichstrebenden Persönlichkeiten zu einer Aussprache in geschlossenem Kreis" eingeladen hatte. Dabei sollten "die aussenpolitische Lage unseres Landes und die zu deren Klärung und Sicherheit zunächst erforderlichen Schritte" erörtert werden. Unterzeichner der Einladung waren Hektor Ammann, Andreas von Sprecher und Heinrich Frick, alle drei später Unterzeichner der berühmten Eingabe der 200.
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In dem Brief Brändlis heisst es dazu unter anderem, dass leider nicht alle Anwesenden jener konspirativen Versammlung genügend entschlossen gewesen seien, "unter Aufopferung eventuell ihres Lebens" gewaltsame Aktionen zu unternehmen. "Wenn eine derartige Aktion wie die geplante heute durchgeführt werden soll, so muss sich die Leitung genau klar sein über die Druck- und eventuellen Gewaltmittel, welche in Anwendung gebracht werden müssen, falls Widerstand zu überwinden ist. (...). Die eigenen Reihen müssen blitzblank säuberlich sein! (...) Es ist meiner Ansicht nach ausserordentlich wichtig, dass, wenn im Schweizerland andere Zustände eintreten sollen, Personen an die Spitze von Ämtern gestellt werden, die für eine Umgestaltung im gewünschten Sinne volle Gewähr bieten." Zu diesen entschlossenen Personen zählte damals nach Einschätzung Brändlis auch Wilhelm Frick, schreibt er doch, er sei "100prozentig der Auffassung des Oberstlt. Frick, dass es sich bei uns hauptsächlich um eine Personenfrage handelt". Ein anderer Oberstleutnant Frick als Wilhelm Frick ist für das Jahr 1940 nicht nachweisbar. Der Briefschreiber Brändli selbst, zu dessen engstem Umfeld Gerhart Waeger in seinem Standardwerk "Die Sündenböcke der Schweiz" über die Eingabe der 200 Wilhelm Frick zählt, trat seinerseits für die bekannten rechtsextremistischen Postulate ein. Mit der ![]() | 4 |
2. Der Artikel hat folgende Vorgeschichte: Der Historiker Prof. Dr. Walther Hofer veröffentlichte aus Anlass des 50. Jahrestages des Brandes des Deutschen Reichstagsgebäudes am 27. Februar 1933 in der Ausgabe der "Neuen Zürcher Zeitung" vom 26./27. Februar 1983 unter dem Titel "Der Brand des Deutschen Reichstages" eine Studie, in welcher er die von ihm befürwortete These verteidigte, Anhänger Hitlers hätten das Reichstagsgebäude in Brand gesteckt in der Absicht, die Brandstiftung den Kommunisten in die Schuhe zu schieben und dieses Ereignis für die eigenen politischen Zwecke auszunützen. Gleichzeitig setzte er sich kritisch mit der Auffassung auseinander, ein Einzeltäter habe den Brand gelegt. Dabei stellte er fest, diese Theorie sei von ehemaligen Gestapobeamten "zusammengebraut" und erstmals 1949 in der Zeitschrift "Neue Politik", vom 1961 verstorbenen Dr. Wilhelm Frick herausgegeben, publiziert worden. In diesem Zusammenhang bezeichnete er Wilhelm Frick als "Vertrauensanwalt einer Gestapoabteilung" bzw. als "Gestapovertrauter".
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Wegen dieser Bezeichnungen klagten drei Nachkommen des verstorbenen Wilhelm Frick Hofer wegen Ehrverletzung ein. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach Hofer am 5. September 1985 von der Anklage der Ehrverletzung frei. Am 4. Juli 1986 hob das Bundesgericht das Urteil des Obergerichts auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an dieses zurück. In der Folge verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich Hofer wegen übler Nachrede gegen einen Verstorbenen zu einer Busse von Fr. 1000.--.
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Diese Verurteilung veranlasste über 70 Persönlichkeiten zu einer Protesterklärung, worauf Nachkommen des Wilhelm Frick gegen alle Unterzeichner der Erklärung Klage wegen Ehrverletzung gegen ![]() | 7 |
Der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildende Artikel von M. erschien im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Hauptverhandlung vor Bezirksgericht Zürich.
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B.- Auf Klage von F., Nachkomme des Wilhelm Frick, verurteilte das Bezirksgericht Zürich M. am 3. Dezember 1990 wegen übler Nachrede gegenüber einem Verstorbenen zu einer Busse von Fr. 5'000.-- und zur Bezahlung einer Genugtuung von Fr. 2'500.-- an das internationale Komitee vom Roten Kreuz. Überdies verpflichtete es ihn, auf seine Kosten das Urteil im Textteil des "Tages-Anzeigers" zu veröffentlichen.
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C.- Mit Urteil vom 2. Juli 1991 bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich das Urteil des Bezirksgerichts.
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D.- Dagegen erhebt M. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag (sinngemäss), das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen mit der Auflage, die Klage abzuweisen und den Beschwerdeführer freizusprechen.
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E.- F. beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
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Aus den Erwägungen: | |
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aa) Das Bezirksgericht hält fest, in Anbetracht des Aktenmaterials, das dem Beschwerdeführer zu dem Zeitpunkt, als er seinen Artikel redigierte, zur Verfügung gestanden sei, seien keine hinreichenden Gründe ersichtlich, die es erlaubt hätten, den positiven Schluss zu ziehen, dass Wilhelm Frick in Putschplanungen verwickelt gewesen sei. In dem von Dr. Hans Brändli an Prof. Heinrich Frick verfassten Schreiben finde sich nämlich lediglich die Passage:
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"Ich bin 100prozentig der Auffassung des Oberstleutnant Frick, der betont hat, dass es sich bei uns hauptsächlich um eine Personenfrage handle."
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Selbst wenn dieser Satz Wilhelm Frick zuzuschreiben sei, bleibe offen, ob sich der im betreffenden Brief erwähnte Oberstleutnant ![]() | 16 |
bb) Die Vorinstanz befasst sich zunächst mit dem Einwand des Beschwerdeführers, das Urteil des Bezirksgerichts zwinge den berichterstattenden Journalisten, das von ihm Wahrgenommene selber verteidigen zu müssen. Dem hält sie entgegen, der Beschwerdeführer habe nicht selber Wahrgenommenes berichtet, sondern auf einen bevorstehenden Prozess hingewiesen (sic; recte wohl: über eine Hauptverhandlung berichtet). Sodann werde ihm gar nicht ![]() | 17 |
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, der objektive Tatbestand der üblen Nachrede gegenüber einem Verstorbenen sei nicht erfüllt. Er bestreitet auch den subjektiven Tatbestand und bringt vor, der Entlastungsbeweis sei erbracht.
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c) Der Beschwerdegegner unterstreicht, die inkriminierte Behauptung sei ausschliesslich von einem einzigen Angeklagten im sog. "Historikerprozess" vorgebracht worden, nämlich von einem jungen Assistenten, und sei in einer ausschliesslich von ihm angefertigten Dokumentation enthalten. Die Quelle des Beschwerdeführers beruhe nicht auf wissenschaftlich erforschter Grundlage, sondern sei eine zu Prozesszwecken erstellte Arbeit; die darin enthaltenen Unterstellungen seien, wie schon bei oberflächlicher Durchsicht erkennbar, nicht begründet. Im übrigen sei der im Brief von Brändli genannte ![]() | 19 |
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Damit ist klargestellt, dass eine üble Nachrede, nicht aber eine Beschimpfung auch gegenüber einem Verstorbenen begangen werden kann. Die Befristung des strafrechtlichen Schutzes auf einen Zeitraum von 30 Jahren seit dem Tod könnte dabei ein Indiz dafür darstellen, dass bei historisch weit zurückliegenden Vorgängen das Interesse an einem strafrechtlichen Ehrenschutz abnimmt und gegebenenfalls insbesondere gegenüber dem Interesse an der Aufklärung historischer Fakten zurücktreten muss.
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b) Der Beschwerdeführer wendet ein, mit der von ihm gewählten Formulierung, Frick sei in die Planung verwickelt gewesen, habe er ![]() | 23 |
Eine abstrakte Antwort auf die Frage, was der Ausdruck "verwickelt" bedeutet, lässt sich nicht geben. Er kann, etwa im Zusammenhang mit einem Autounfall, wenn keine weiteren Hinweise gemacht werden, neutrale Bedeutung haben. Anders verhält es sich für den unbefangenen Dritten, wenn von der Verwicklung in landesverräterische Putschplanung gesprochen wird. Mit diesem Ausdruck wird zumindest indirekt unterstellt, dass die betreffende Person mehr als bloss zufällig in den Zusammenhang der landesverräterischen Putschplanung geraten sei. Im übrigen kann die Bedeutung des Ausdrucks nicht losgelöst vom ganzen Text des inkriminierten Artikels verstanden werden. Der Beschwerdeführer hat unter Bezugnahme auf den Brief Brändlis Wilhelm Frick zu den Personen gezählt, die nach diesem Schreiben genügend entschlossen seien, unter Aufopferung eventuell ihres Lebens gewaltsame Aktionen zu unternehmen. Im übrigen ist unmittelbar nachher die Rede davon, dass man sich bei einer derartigen Aktion genau klar sein müsse über die Druck- und eventuellen Gewaltmittel, welche zur Überwindung von Widerstand in Anwendung gebracht werden müssten, falls Widerstand zu überwinden wäre. Mit dem Satz: Frick sei in landesverräterische Putschplanungen gegen die Schweiz verwickelt gewesen, brachte der Beschwerdeführer daher wesentlich mehr zum Ausdruck, als dass Frick ungewollt in diesem Zusammenhang genannt worden sei.
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4. a) Nach dem klaren Wortlaut von Art. 173 Ziff. 1 Abs. 2 StGB, der gemäss Art. 175 StGB auch hier anwendbar ist, ist nicht nur die Äusserung rufschädigender Tatsachen strafbar, sondern auch deren Weiterverbreitung. Grundsätzlich ist das Weiterverbreiten einer fremden rufschädigenden Äusserung auch dann erfasst, wenn dies als blosses Zitat erfolgt. Entsprechend wurde angenommen, dass auch der Redaktor einer Zeitung, der eine ehrenrührige Meldung einer Nachrichtenagentur übernimmt, sich wegen Weiterverbreitens strafbar machen kann, und zwar auch dann, wenn er die Quelle angibt (BGE 82 IV 79). Auch die Wiederholung eines bereits allgemein bekannten Vorwurfs erfüllt den Tatbestand (BGE 73 IV 30 E. 1). Ebenso ist die blosse Wiedergabe einer Meinungsäusserung, durch welche andere, ihre Waren, Werke, Leistungen, deren Preise oder ihre Geschäftsverhältnisse durch unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserungen herabgesetzt werden, nach Art. 3 lit. a ![]() | 25 |
b) Neben dem Entlastungsbeweis, den das Gesetz für die üble Nachrede vorsieht (Art. 173 Ziff. 2), können auch die allgemeinen Rechtfertigungsgründe zur Anwendung kommen. So kann sich aus Amts- und Berufspflicht die Rechtfertigung für eine ehrverletzende Äusserung ergeben, etwa für den Richter oder Beamten, der in der Begründung eines Urteils oder einer Verfügung ehrverletzende Äusserungen macht, soweit er dabei nicht über das Notwendige hinausgeht oder wider besseres Wissen handelt (vgl. BGE 106 IV 179 ff.). Ebenso handelt der Zeuge aufgrund seiner Zeugnispflicht rechtmässig, wenn er aussagt, was er für wahr hält (BGE 80 IV 60). Ein Polizeimann, der nichts aufbauscht und Gerüchte als solche bezeichnet, kann sich auf seine Amtspflicht berufen, wenn er in Berichten ehrverletzende Äusserungen macht (BGE 76 IV 25). Wem in amtlicher Funktion eine Informationspflicht obliegt, handelt rechtmässig, soweit die für die Öffentlichkeit bestimmten Äusserungen den gebotenen Sachbezug haben und mit der nötigen Zurückhaltung erfolgen (vgl. BGE 108 IV 94 ff.). Auch Äusserungen anlässlich einer Sühneverhandlung können jedenfalls in gewissen Grenzen aufgrund der Funktion dieser Einrichtung gerechtfertigt sein; ebenso Äusserungen des Anwaltes oder einer Prozesspartei, vorgebracht im Rahmen der ihnen obliegenden prozessualen Darlegungs- und Begründungspflicht (BGE 116 IV 211 ff.). Der Journalist geniesst bezüglich des Weiterverbreitens rufschädigender Tatsachen im Rahmen der Medienberichterstattung über den Entlastungsbeweis (Wahrheits- oder Gutglaubensbeweis) hinaus keine Privilegierung (BGE 117 IV 29), abgesehen von der Ausnahmeregelung des Art. 27 Ziff. 5 StGB, wonach die wahrheitsgetreue Berichterstattung über die öffentliche Verhandlung einer Behörde gerechtfertigt ist; dabei sind nicht nur der Bericht über die Verhandlung einer Behörde, sondern auch die sachliche Kritik der Ergebnisse, nicht jedoch weitergehende Angriffe, die sich auf andere Quellen stützen als die öffentliche Verhandlung, aus Anlass eines solchen Berichtes gerechtfertigt (BGE 106 IV 161 ff.).
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c) Es stellt sich die Frage, ob Publikationen wissenschaftlichen Inhalts unter bestimmten Umständen weitergehend gerechtfertigt sein können oder ob diesem Gesichtspunkt einzig bei der Bestimmung des Sorgfaltsmassstabes im Rahmen des Gutglaubensbeweises Rechnung zu tragen ist (vgl. in dieser Richtung: ROGER ZÄCH, Das UWG und die Medien - Plädoyer für besondere Anforderungen an ![]() | 27 |
Ob in diesem Bereich weitergehende, insbesondere aus den Grundrechten der Informations-, Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit hergeleitete Rechtfertigungsgründe angenommen werden können, wurde bis heute kaum erörtert. Ein Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter "höherwertiger öffentlicher Interessen" wird in der Literatur etwa bejaht für den Bereich der wahrheitsgetreuen Berichterstattung über sogenannte Ereignisse der Zeitgeschichte, d.h. öffentlich interessierende Vorgänge, wenn Gegenstand solcher Geschehnisse ehrverletzende Äusserungen oder Gerüchte sind (vgl. FRANZ RIKLIN, ZStrR 1983 S. 54; FRANZ RIKLIN, Der Schutz der Persönlichkeit gegenüber Eingriffen durch Radio und Fernsehen nach schweizerischem Privatrecht, Diss. Freiburg 1968, S. 187 f.). Entsprechendes dürfte gelten unter dem Gesichtspunkt der Wissenschaftsfreiheit (vgl. dazu J.P. MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, Bern 1991, S. 120 ff.) für wissenschaftliche Werke (vgl. SCHUBARTH, Kommentar StGB, Art. 173 N 119, Art. 174 N 12, Art. 175 N 11). Wenn die Wissenschaft verpflichtet ist, Falsifikationen ihrer Theorien im Sinne der Wissenschaftstheorie zu akzeptieren und sich für "wissenschaftliche Revolutionen" (dazu THOMAS S. KUHN, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt 1967; Original: Chicago 1962) offenzuhalten (J.P. MÜLLER, a.a.O.), dann muss in diesem Rahmen auch eine Darstellung gerechtfertigt sein, die ohne diesen Bezug persönlichkeits- oder ehrverletzend sein könnte. Denn dem Interesse des Betroffenen am Unterbleiben der Persönlichkeitsverletzung steht etwa auf seiten des Historikers neben dessen eigenem Interesse an seiner Forschung auch das öffentliche Interesse an der Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte gegenüber (THOMAS GEISER, Der Historiker vor dem Zivilrichter, AJP 1992, S. 451).
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Es muss in Publikationen wissenschaftlichen Inhalts - ein hinreichendes öffentliches Interesse vorausgesetzt - erlaubt sein, auch unangenehme Tatsachen darzulegen und zu kommentieren, wenn dies in einer Art und Weise geschieht, die der Sorgfalt entspricht, die man für die betreffende Fachrichtung vernünftigerweise verlangen kann, ohne die freie Weitergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse ![]() | 29 |
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a) Grundlage für den Artikel des Beschwerdeführers mit dem inkriminierten Satz bildete die Dokumentation eines Historikers vom 18. November 1989, die dieser - als Nachtrag zu einer früheren Dokumentation - in seiner Eigenschaft als Mitangeklagter im erwähnten Prozess erstellt hat. Diese Dokumentation beginnt nach dem Titel "Wilhelm Frick und der Rechtsextremismus" mit dem Zwischentitel: "Wilhelm Frick war 1940 in landesverräterische Putschplanungen verwickelt." Der Beschwerdeführer macht mit der Nichtigkeitsbeschwerde jedenfalls sinngemäss geltend, dass er im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Darstellung aus der Feder eines Historikers zumindest in gutem Glauben gehandelt hat.
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b) Das Bundesgericht hat sich im bereits erwähnten Urteil vom 4. Juli 1986 in Sachen Nachkommen des Wilhelm Frick gegen Prof. Walther Hofer zur Sorgfaltspflicht wie folgt geäussert (E. 4): Wer in der Presse und namentlich in einer Zeitung mit einem grossen, ja internationalen Leserkreis ehrverletzende Vorwürfe erhebe, die ![]() | 32 |
Das Bundesgericht fügt folgende Erwägung (c) hinzu: "Selbst wenn er übrigens im inkriminierten Artikel die erwähnte Dissertation als Quelle angegeben hätte, hätte ihn das nicht von der Pflicht entbunden, den in der Arbeit des Doktoranden zitierten Primärquellen nachzugehen. Es ist dem Obergericht zwar beizupflichten, dass für eine Pressepublikation nicht jedes einzelne Zitat in den Primärquellen nachgeprüft werden muss. Das kann aber dann nicht gelten, wenn es um Aussagen geht, die schwerwiegende Angriffe auf die Ehre Dritter enthalten, und die Sekundärquelle, auf welche der Täter sich stützt, die Primärquelle nicht wörtlich zitiert und deshalb sehr wohl eine eigene Wertung des zweiten Autors enthalten kann. So aber verhielt es sich hier." Der fragliche Satz sei in der Doktorarbeit nicht in Anführungszeichen gesetzt gewesen und die Fundstelle ausdrücklich mit "vgl. ..." eingeleitet gewesen. "Unter diesen Umständen und angesichts der Schwere des Vorwurfs hätte der Beschwerdegegner als Wissenschaftler sich nicht damit begnügen dürfen, auf die Aussage eines Doktoranden abzustellen, auch wenn dessen Arbeit nach dem angefochtenen Urteil eine ''qualifizierte'' ist." Deshalb habe er seiner Sorgfaltspflicht nicht genügt.
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c) Gegen dieses amtlich nicht veröffentlichte (teilweise publiziert in plädoyer 1989 Nr. 3, S. 65 ff.) Urteil ist von seiten der historischen Wissenschaft die Kritik erhoben worden, die Verpflichtung, Äusserungen aus einer anerkanntermassen sorgfältigen Dissertation ![]() | 34 |
d) Das Bundesgericht verlangt im erwähnten Urteil nicht generell eine Überprüfung anhand der Primärquellen, sondern nur im Hinblick auf die konkreten Umstände des damaligen Falles, weil erstens Hofer sich selbst auf diese Primärquelle bezog und damit den Eindruck erweckte, er könne sich aufgrund eigener Anschauung auf diese Primärquelle stützen, und weil zweitens das Zitat in der Doktorarbeit, auf die er sich inhaltlich, aber ohne ausdrücklichen Hinweis, bezog, mit der Wendung "vgl. ..." eingeleitet war. Danach muss also, wer sich auf eine Primärquelle beruft, diese konsultiert haben; er kann sich zu seiner Entlastung nicht einzig auf die Sekundärquelle stützen. Im übrigen besteht keine generelle Pflicht zur Nachprüfung in Primärquellen. Eine solche ist vielmehr nur anzunehmen, wenn kumulativ ein schwerer Angriff auf die Ehre erhoben wird und überdies die Sekundärquelle die Primärquelle nicht wörtlich zitiert, weshalb mit der Möglichkeit einer eigenen Wertung des Zweitautors gerechnet werden muss. Eine generelle Verpflichtung, Angaben in wissenschaftlichen Arbeiten anhand der Primärquellen zu überprüfen, besteht also nicht. Dafür bedarf es jedenfalls besonderer Umstände, wie sie etwa im erwähnten Fall gegeben waren.
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e) Die Dokumentation, auf die sich der Beschwerdeführer beruft, wurde, wie die kantonalen Instanzen zu Recht berücksichtigen, erstellt im Zusammenhang mit einem Prozess, in welchem der Autor der Dokumentation selbst Angeklagter war. Die Gefahr, dass es sich bei dieser Dokumentation, wenn auch möglicherweise für den Autor nur unbewusst, nicht um eine neutrale historische Darstellung, die den Sorgfaltsansprüchen der Wissenschaft (oben E. 4c) genügt, sondern um einen möglicherweise teilweise einseitig überzeichneten Parteistandpunkt handelte, musste deshalb vom Beschwerdeführer ![]() | 36 |
f) Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Berichterstattung über den Prozess berechtigt war, auch auf die Dokumentation des angeklagten Historikers hinzuweisen und über sie zu berichten. Er war dabei allerdings auch zum Hinweis verpflichtet, dass es sich dabei um eine im Hinblick auf die Hauptverhandlung vor Bezirksgericht erstellte Dokumentation eines der Angeklagten handelte. Die Weiterverbreitung der inkriminierten Passage in der von ihm gewählten Form war ihm schon deshalb nicht gestattet, weil er, wie dargelegt, schon aus der Lektüre der Dokumentation ersehen konnte und musste, dass der Vorwurf jedenfalls in dieser absoluten Form gestützt auf die Ausführungen in der Dokumentation nicht begründet war. Überdies hätte er auf Grund der Primärquelle - das Schreiben Hans Brändlis an Prof. Heinrich Frick - zum gleichen Schluss kommen müssen.
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g) Damit hat der Beschwerdeführer den Entlastungsbeweis nicht erbracht. Dass sein Verhalten aus anderen Gründen gerechtfertigt wäre, ist nicht ersichtlich. Zu Unrecht bestreitet er seinen Vorsatz, denn dieser erstreckt sich nicht auf die Unwahrhaftigkeit der Äusserung (SCHUBARTH, Kommentar StGB, Art. 173 N 54). Es genügt, dass der Täter sich der Ehrenrührigkeit seiner Behauptung bewusst war (BGE 92 IV 97 E. 3), was beim Beschwerdeführer bei der Tragweite der inkriminierten Äusserung und bei seinem Bildungsstand ohne weiteres zu bejahen ist.
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