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60. Urteil des Kassationshofes vom 11. Dezember 1992 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen T. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 63 StGB; Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG; qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz; Strafzumessung. |
Der Drogenmenge kommt bei der Strafzumessung keine vorrangige Bedeutung zu (E. 2c). |
Sanktionen, die den Verurteilten aus einer günstigen Entwicklung herausreissen, sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Hat sich der Verurteilte von der Drogensucht befreit, darf der Richter im Rahmen der Schuldangemessenheit die Heilung berücksichtigen und, wenn der Vollzug einer unbedingten Freiheitsstrafe zum Rückfall in die Drogenabhängigkeit führen könnte, eine Strafe verhängen, deren Dauer den bedingten Vollzug zulässt (E. 2f). |
Generalpräventive Überlegungen dürfen in die Bemessung der Strafe insoweit einfliessen, als damit die schuldangemessene Strafe nicht überschritten wird. Wo aus spezialpräventiven Gründen eine 18 Monate übersteigende und damit unbedingte Strafe vermieden werden soll, darf eine den bedingten Strafvollzug ausschliessende Straferhöhung allerdings nicht vorwiegend mit Gesichtspunkten der Generalprävention begründet werden (E. 2g). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 8. August 1991 erklärte ihn das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft schuldig der qualifizierten und der wiederholten und fortgesetzten einfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie der wiederholten Verletzung von Verkehrsregeln und bestrafte ihn, in Ausfällung einer teilweisen Zusatzstrafe zu einer Vorstrafe von 20 Tagen Gefängnis, mit 17 Monaten und 10 Tagen Gefängnis, bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren, und mit einer Busse von Fr. 300.--.
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C.- Am 7. April 1992 bestätigte das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft dieses Urteil in Abweisung einer Appellation der Staatsanwaltschaft.
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D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neufestsetzung des Strafmasses an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
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Erwägungen: | |
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a) Die Vorinstanz legt dar, aus der Betäubungsmittelmenge ergebe sich nicht das Strafmass. Es sei nicht nur die Tat-, sondern auch die Täterkomponente zu würdigen. Eine vorwiegend auf die Betäubungsmittelmenge abstellende Strafzumessung sei gesetzwidrig. Die Betäubungsmittelmenge sei bei der Strafzumessung als Umstand mitzuberücksichtigen, habe aber keine vorrangige Bedeutung. Es widerspreche nicht dem Doppelverwertungsverbot, bei der Strafzumessung in Rechnung zu stellen, in welchem Ausmass die Betäubungsmittelmenge über der vom Bundesgericht für den schweren Fall gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG festgelegten Grenze von 12 Gramm Heroin und 18 Gramm Kokain liege. In der bisherigen Praxis sei der Drogenmenge eine erhebliche Bedeutung zugekommen. Bei 350 Gramm Heroin und 250 Gramm Kokain seien in der Regel Freiheitsstrafen von mehr als 18 Monaten ausgesprochen worden. Die starke Gewichtung der Betäubungsmittelmenge habe jedoch immer wieder zu Unbehagen geführt. Ergäbe sich aus einer ![]() | 7 |
Strafmindernd seien hier die Beweggründe zu würdigen. Der Beschwerdegegner sei schwer drogenabhängig gewesen. Er habe die Straftaten nicht in erster Linie aus finanziellem Interesse begangen, sondern zur Deckung seines Drogenbedarfs. Den weitergehenden Erlös habe er teilweise zur Zahlung alter Schulden verwendet, vorwiegend aber für den Lebensunterhalt. Dass er diesen nicht durch Arbeitserwerb habe decken können, sei auf seine Sucht zurückzuführen. Die Art und Weise der Tatbegehung falle ebenfalls nicht straferhöhend ins Gewicht. Die Tätigkeit des Beschwerdegegners sei weder organisiert noch von Druckausübung begleitet gewesen. Seine Abnehmer seien mehrheitlich Bekannte gewesen. Die Vorstrafen fielen nicht ins Gewicht. Sowohl seine persönlichen Verhältnisse wie sein Verhalten nach der Tat seien zu seinen Gunsten zu würdigen. Von erheblicher Bedeutung sei seine heutige Strafempfindlichkeit. Er sei Ende Februar 1990 aus der Untersuchungshaft entlassen worden und konsumiere seither - also schon seit mehr als zwei Jahren - keine Drogen mehr. Seine Mutter und seine Freundin hätten ihm geholfen, drogenfrei zu leben. Positiv zu werten sei auch, dass er anerkenne, noch einer weiteren Festigung zu bedürfen. Er habe deshalb jede Verbindung zu den ehemaligen Bekannten aus der Drogenszene abgebrochen. Er lebe mit seiner Freundin, die er nach der Untersuchungshaft kennengelernt habe und die selber nie etwas mit Drogen zu tun gehabt habe, in geordneten Verhältnissen. Kurz nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft habe er eine Stelle als ![]() | 8 |
b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe in Ermessensüberschreitung die Tatkomponente zu wenig berücksichtigt. Sie habe das Ausmass des verschuldeten Erfolges, die Art und Weise der Herbeiführung dieses Erfolges, die Willensrichtung, mit der der Beschwerdegegner gehandelt habe, und seine Beweggründe zu leicht gewichtet. Das Ausmass der Gefährdung sei im Rahmen des Verschuldens zu berücksichtigen. Auf der objektiven Seite stehe es an erster Stelle der Zumessungsgründe. Dies gelte besonders im Betäubungsmittelrecht. Die hier in Frage stehenden Mengen seien ausgehend von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach 0,6 Gramm Heroin bzw. 0,9 Gramm Kokain einen Menschen süchtig machen könnten, geeignet, die psychische Abhängigkeit von 861 Personen herbeizuführen. Diese Zahl mache das Gefährdungspotential der Drogentransaktionen des Beschwerdegegners deutlich und zeige, welch hohes Verschulden ihn in objektiver Hinsicht treffe. Das angefochtene Urteil habe zur Folge, dass jemand, der sich einer Betäubungsmittelwiderhandlung im Bereich von 12 Gramm Heroin oder 18 Gramm Kokain schuldig mache, gemäss BGE 109 IV 143 ff. trotz allen vom Obergericht angeführten Strafminderungsgründen zu einem Jahr Freiheitsentzug zu verurteilen sei, während derjenige, der das 30 bis 40fache an Heroin bzw. Kokain umsetze und über eine entsprechend erheblich grössere kriminelle Energie verfüge, nur sechs Monate Freiheitsentzug mehr erhalte. Mit dem gesetzgeberischen Grundgedanken von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG sei das nicht zu vereinbaren. Entgegen der Vorinstanz dürften auch generalpräventive Überlegungen nicht ausser acht gelassen werden. Die Vorinstanz habe ferner den Beweggründen ungenügend Rechnung getragen. Der Beschwerdegegner habe über die Finanzierung seines Eigenkonsums hinaus einen Gewinn von Fr. 30'000.-- bis Fr. 40'000.-- erzielt und diese Einnahmen für seine persönlichen Zwecke verwendet. Er habe damit den Rahmen der Beschaffungsdelinquenz ![]() | 9 |
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b) Der Beschwerdegegner macht geltend, die erhebliche Drogenmenge habe bereits zur Anwendung von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG geführt. Die Mindeststrafe steige damit von Busse auf ein Jahr Gefängnis und die Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis auf 20 Jahre Zuchthaus. Mit dieser Erhöhung des Strafrahmens sei der Drogenmenge Rechnung getragen. Es gehe nicht an, die Menge innerhalb des erhöhten Strafrahmens ein weiteres Mal straferhöhend zu berücksichtigen. Das widerspreche dem Doppelverwertungsverbot.
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Umstände, die zur Anwendung eines höheren oder tieferen Strafrahmens führen, dürfen innerhalb des geänderten Strafrahmens nicht noch einmal als Straferhöhungs- oder Strafminderungsgrund berücksichtigt werden. Sonst würde dem Täter der gleiche Umstand zweimal zur Last gelegt oder zugute gehalten (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil II, § 7 N 21; TRECHSEL, Kurzkommentar, Art. 63 N 17). So ist es beispielsweise unzulässig, bei Annahme der Bandenmässigkeit bei Diebstahl die "ganze Mitwirkung in dieser Gesellschaft" erneut zuungunsten des Verurteilten zu gewichten (BGE 72 IV 114). Mit dem Wechsel des Strafrahmens ist die Bandenmässigkeit abgegolten. Der Richter ist dagegen nicht gehindert zu berücksichtigen, in welchem Ausmass ein ![]() | 12 |
c) Der Drogenmenge kommt nach der zutreffenden Ansicht der Vorinstanz bei der Strafzumessung allerdings keine vorrangige Bedeutung zu. Wie das Bundesgericht bereits in BGE 107 IV 62 dargelegt hat, ist die Strafe nicht allein nach der Gefährlichkeit einer Droge, sondern auch und in erster Linie nach dem Verschulden des Täters zu bemessen (ebenso Appellationsgericht Basel-Stadt, BJM 1977 S. 196 f.). Neben der Menge und der daraus folgenden Gesundheitsgefährdung sind namentlich zu berücksichtigen die Art und Weise der Tatbegehung, die Willensrichtung, mit der der Täter gehandelt hat, die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen sowie das Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren (dazu eingehend BGE 118 IV 24 f. E. 2b und BGE 117 IV 113 E. 1, je mit Hinweisen). Diese weiteren Gesichtspunkte können im einen Fall erheblich straferhöhend, im andern stark strafmindernd ins Gewicht fallen. Deshalb lässt sich unter Hinweis allein auf die Drogenmenge das Strafmass nicht begründen. Die Menge ist nur ein Gesichtspunkt der Strafzumessung neben andern. Soweit die Praxis vom Gegenteil ausgehen sollte (so JENNY, Strafrecht in der Drogenpolitik: eine kritische Bilanz, in: BÖKER/NELLES, Drogenpolitik wohin?, Bern 1991, S. 172; ähnlich ALBRECHT, Die Strafzumessung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis, ZStR 108/1991, S. 54/5), wäre das mit Art. 63 StGB nicht zu vereinbaren.
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e) Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Strafe hätte erhöht werden müssen, da dem Beschwerdegegner nach Abzug des für den eigenen Drogenbedarf ausgegebenen Geldes aus dem Betäubungsmittelhandel ein Gewinn von Fr. 30'000.-- bis Fr. 40'000.-- verblieben sei; er habe damit den Rahmen der blossen Beschaffungsdelinquenz verlassen. Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt (Art. 277bis Abs. 1 BStP), hat der Beschwerdegegner diesen Erlös zum Teil zur Zahlung alter Schulden, überwiegend aber zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes verwendet; es sei ihm aufgrund seiner Sucht nicht möglich gewesen, einer geregelten beruflichen Tätigkeit nachzugehen und den Lebensunterhalt durch Arbeitserwerb zu decken. Bei dieser Sachlage verletzt es Bundesrecht nicht, wenn sie von einer Straferhöhung abgesehen hat. Die Strafe wäre dann zu erhöhen gewesen, wenn es der Beschwerdegegner abgelehnt hätte zu arbeiten, obgleich ihm das möglich gewesen wäre, und es vorgezogen hätte, durch Drogenhandel seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
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f) Die Vorinstanz hat bei einer Einsatzstrafe von 20 Tagen Gefängnis eine teilweise Zusatzstrafe von 17 Monaten und 10 Tagen Gefängnis ausgesprochen. Sie hat der Grenze von 18 Monaten für die Gewährung des bedingten Strafvollzugs gemäss Art. 41 Ziff. 1 StGB damit Rechnung getragen. Das ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden (BGE 118 IV 339 E. 2c). Sanktionen, die den Verurteilten aus einer günstigen Entwicklung herausreissen, sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Hat sich der Verurteilte, wie der Beschwerdegegner, selber von der Sucht befreit, ist der Richter deshalb berechtigt, der Heilung Rechnung zu tragen und mit Blick darauf, dass der Vollzug einer unbedingten Freiheitsstrafe zum Rückfall ins ![]() | 16 |
g) Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die Vorinstanz hätte generalpräventive Gesichtspunkte nicht ausser acht lassen dürfen.
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Nach der Lehre lässt sich eine Strafe gegenüber dem Betroffenen ausschliesslich in dem Masse rechtfertigen, wie ihm ein Schuldvorwurf gemacht werden kann. Deshalb darf die schuldangemessene Strafe nicht aus Gründen der Prävention überschritten werden (vgl. STRATENWERTH, a.a.O., § 7 N 64; SCHULTZ, Bericht und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils (...) des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Bern 1987, Art. 46 Abs. 3 und S. 116 ff.). Es ist nicht statthaft, über die nach dem Tatschuldprinzip bemessene Strafe aus generalpräventiven Gründen hinauszugehen (DUBS, Die analytische Bewertung als Grundlage richterlicher Strafzumessung, Festgabe zum Schweizerischen Juristentag, Basel 1963, S. 19; SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, 2. Band, 4. Aufl., S. 76 und 78; STRATENWERTH, a.a.O.; vgl. auch TRECHSEL, Kurzkommentar, Art. 63 N 8 mit Hinweisen). Zulässig ist die Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen somit nur insoweit, als damit die schuldangemessene Strafe nicht überschritten wird (BGE 118 IV 16). Generalpräventiven Überlegungen ist bei der Gewichtung des das Verschulden bestimmenden gesamten Unrechts- und Schuldgehalts der konkreten Straftat (vgl. dazu BGE 117 IV 113 E. 1) grundsätzlich in dem Sinne Rechnung zu tragen, dass die Strafe geeignet sein muss, die Allgemeinheit zu veranlassen, sich an die Strafrechtsnormen zu halten, und so zur Verbrechensverhütung beiträgt. Dort wo, wie im vorliegenden Fall, aus spezialpräventiven Gründen eine 18 Monate übersteigende und damit unbedingte Strafe vermieden werden soll (siehe E. f hievor), darf eine den bedingten Strafvollzug ausschliessende Straferhöhung indessen nicht vorwiegend mit Gesichtspunkten der Generalprävention begründet werden. Insoweit ist der Verhütung weiterer strafbarer Handlungen beim konkreten Täter vor der allgemeinen Verbrechensbekämpfung, mit anderen ![]() | 18 |
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