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69. Urteil des Kassationshofes vom 14. Dezember 1992 i.S. R. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG; öffentliche Bekanntgabe der Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln. | |
Sachverhalt | |
1 | |
R. hat als Chefredaktor die Verantwortung für den Artikel übernommen. Er hat den Auftrag erteilt, ihn zu verfassen, und entschieden, ihn drucken zu lassen.
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B.- R. wurde angeklagt, öffentlich eine Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln bekanntgegeben zu haben; durch die Veröffentlichung der Bildfolge mit dazugehöriger Legende habe er einer unbestimmten Vielzahl von Dritten ein leichtfassliches Rezept zur Herstellung von Crack gegeben.
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Am 24. Mai 1991 sprach das Bezirksgericht Zürich R. frei.
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Auf Berufung der Staatsanwaltschaft befand das Obergericht des Kantons Zürich R. am 24. Januar 1992 schuldig der fahrlässigen Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 in Verbindung mit Ziff. 3 BetmG und bestrafte ihn mit Fr. 4'000.-- Busse.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
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aus folgenden Erwägungen: | |
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"wer öffentlich zum Betäubungsmittelkonsum auffordert oder
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öffentlich Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von
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Betäubungsmitteln bekanntgibt"
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"celui qui, publiquement, provoque à la consommation des
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stupéfiants ou révèle des possibilités de s'en procurer ou d'en
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consommer"
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"chiunque pubblicamente istiga al consumo di stupefacenti o
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rivela la possibilità di acquistarli o di consumarli."
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Strafbar ist auch die fahrlässige Tatbegehung (Art. 19 Ziff. 3 BetmG).
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b) In dem in BGE 104 IV 293 ff. auszugsweise veröffentlichten Urteil vom 19. Dezember 1978 legte das Bundesgericht dar, öffentlich bekanntgegeben werden müsse nach dem deutschen Text von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG eine "Gelegenheit" zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln. Der französische und der italienische Text lauteten: "révèle des possibilités", "rivela la possibilità". Mit dem deutschen und italienischen und gegen den französischen Text sei anzunehmen, dass schon die Bekanntgabe einer einzigen Gelegenheit zur Strafbarkeit genüge. Sie könne allein ebensoviel oder mehr Schaden anrichten als ein einzelner Kauf, Verkauf oder Genuss von Drogen. Dem Wort "Gelegenheit" könnte man zwar einschränkend entnehmen, das Gesetz erfasse bloss konkrete, einzelne und auch zeitlich nahe Möglichkeiten, Betäubungsmittel zu erwerben oder zu konsumieren. Der französische und italienische Gesetzestext liessen aber eine Möglichkeit schlechtweg genügen, so dass darunter zwanglos auch Herstellungsverfahren und Konsumarten von Betäubungsmitteln verstanden werden könnten. Diese Auslegung entspreche dem Sinn des Gesetzes besser. Die öffentliche Bekanntgabe von praktikablen Herstellungs- und Konsumformen könne mitunter schädlicher sein als die öffentliche Bekanntgabe einer konkreten Gelegenheit zu einem einmaligen Erwerb oder Konsum, die sich von selbst erschöpfe oder ein für allemal unterbunden werden könne. Weiter führte das Bundesgericht aus, die öffentliche ![]() | 18 |
In der nicht veröffentlichten Erwägung 3 nahm das Bundesgericht an, der Tatbestand des Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG sei erfüllt, wenn in einer Zeitschrift beschrieben werde, wie in unseren Klimaverhältnissen Marihuana zu pflanzen und zu ernten sei. Entsprechendes gelte für den Hinweis auf die Möglichkeit, Marihuana Speisen beizumischen.
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c) Das Bezirksgericht führt aus, das Gesetz umschreibe in Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-7 BetmG genau, welche Handlungen strafbar seien. Damit setze es einer ausdehnenden Auslegung eine enge Grenze. Die Veröffentlichung eines Umwandlungsverfahrens sei in Art. 19 Ziff. 1 BetmG nicht genannt. Hätte sie der Gesetzgeber unter Strafe stellen wollen, hätte er sie, dem Aufbau von Art. 19 Ziff. 1 BetmG entsprechend, ausdrücklich erwähnt. Hier gehe es nicht um die Bekanntgabe einer Herstellungs-, sondern einer Umwandlungsmethode; es werde gezeigt, wie sich aus einem Betäubungsmittel (Kokain) ein anderes (Crack) gewinnen lasse. Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG müsste bei Bejahung der Strafbarkeit des Beschwerdeführers deshalb noch weiter ausgelegt werden, als dies das Bundesgericht in BGE 104 ![]() | 20 |
d) Die Vorinstanz führt aus, Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG solle die öffentliche Bekanntgabe von Mitteln und Wegen, wie man zum Betäubungsmittelkonsum gelange, verhindern. Auch die Bekanntgabe eines Herstellungsverfahrens stelle ein solches Mittel dar. Die Umwandlung von Kokain in Crack sei nichts anderes als die Herstellung von Crack. Die Herstellung von Betäubungsmitteln beruhe auf chemischen Prozessen, die immer in einer Umwandlung von Stoffen bestünden. Es sei belanglos, ob der Grundstoff bereits unter das Betäubungsmittelgesetz falle. Die Eignung der Bekanntgabe, den Erwerb oder Konsum von Drogen zu fördern, sei hier zu bejahen. Crack spreche vor allem Haschischkonsumenten an, da es sich im Gegensatz zum Kokain zum Rauchen eigne. Aus dem Artikel ergebe sich im übrigen, dass das Verfahren der Herstellung von Crack nicht allgemein bekannt gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe damit den objektiven Tatbestand des Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG verwirklicht. Er habe fahrlässig gehandelt. Sein Verhalten werde nicht gerechtfertigt dadurch, dass an einer Pressekonferenz des Gesundheits- und des Polizeivorstandes der Stadt Zürich über das Thema referiert und die Produktion von "Free Base" vorgeführt und erläutert worden sei.
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e) Der Beschwerdeführer wendet ein, die Bekanntgabe eines Rezepts falle nicht unter die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes. Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG spreche nicht von der Herstellung von Drogen, sondern von deren Erwerb bzw. Konsum. Erwerben könne man nur von einem Veräusserer, nicht selbst durch Herstellung.
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b) Nach allgemeinem Sprachverständnis bedeutet die öffentliche Bekanntgabe der Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln die Bekanntgabe, wo man Betäubungsmittel erwerben oder konsumieren kann. Das ist etwas anderes als der öffentlich gemachte Hinweis, wie ein Betäubungsmittel hergestellt oder, wie hier, in ein anderes umgewandelt werden kann. Die öffentliche Bekanntgabe von Herstellungs- und Umwandlungsmethoden ist ein Verhalten, das vom Wortlaut des Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG nicht erfasst ist, und zwar weder vom deutschen noch von den romanischen Gesetzestexten. Dabei spielt es entgegen BGE 104 IV 293 E. 2b keine Rolle, dass der deutsche und der italienische Gesetzestext den Ausdruck "Gelegenheit" bzw. "possibilità" in der Einzahl und der französische Gesetzestext den Ausdruck "possibilités" in der Mehrzahl verwendet. Ebenso ist unerheblich, dass die romanischen Gesetzestexte nicht von "Gelegenheit", sondern von "Möglichkeit" ("possibilités"; "possibilità") sprechen; der Ausdruck "possibilité" hat jedenfalls auch den Sinn von "occasion" (Le Petit Robert, dictionnaire de la langue française, 1987, S. 1492). Hätte der Gesetzgeber den öffentlichen Hinweis, wie Betäubungsmittel hergestellt, umgewandelt oder in anderer als bisher bekannter Form konsumiert werden können, unter Strafe stellen wollen, hätte er einen zusätzlichen Absatz, der solche Verhaltensweisen hinreichend umschreibt, ![]() | 24 |
c) Die hier gegebene Auslegung trägt zudem der Presse- und Informationsfreiheit Rechnung. Äusserungen, wie sie sich im zur Beurteilung stehenden Artikel finden, fallen in den Schutzbereich dieser Grundrechte. Deren Einschränkung bedarf einer genügenden gesetzlichen Grundlage (BGE 115 IV 77 E. 3a; JÖRG PAUL MÜLLER, Kommentar BV, Art. 55 N 60; HÄFELIN/HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 2. Aufl., N 1132).
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d) Ein Vergleich mit anderen Gesetzesbestimmungen spricht ebenfalls für die hier vertretene Auffassung.
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aa) Nach Art. 210 StGB a. F. wurde bestraft, wer, um der Unzucht Vorschub zu leisten, auf eine Gelegenheit zur Unzucht öffentlich aufmerksam machte. Die Tathandlung ("öffentlich aufmerksam machen") dürfte der Sache nach übereinstimmen mit jener von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG ("öffentlich bekanntgeben"). Auch diese Bestimmung hat man stets dahingehend verstanden, dass sie den öffentlichen Hinweis erfasst, wo (und gegebenenfalls wann) Unzucht betrieben werden kann (vgl. BGE 111 IV 68 ff.; BGE 108 IV 172 ff.), nicht aber den Hinweis betreffend "Rezepte" zur Unzucht.
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bb) Gemäss Art. 226 Abs. 3 StGB ist strafbar, wer jemandem, der, wie er weiss oder annehmen muss, einen verbrecherischen Gebrauch von Sprengstoffen oder giftigen Gasen plant, zu deren Herstellung Anleitung gibt. Nach Art. 32 Abs. 4 AtG (SR 732.0) wird bestraft, wer jemandem Anleitung zur Herstellung von radioaktiven Stoffen oder Einrichtungen gibt, von dem er weiss oder annehmen muss, ![]() | 28 |
e) Aus der Entstehungsgeschichte von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG ergibt sich nichts für die in BGE 104 IV 293 vertretene ausdehnende Auslegung.
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Weder im Postulat Vincent (Amtl. Bull. 1972 N 1321 f.), auf das Art. 19 Ziff. 1 Abs. 8 BetmG zurückgeht, noch in der Botschaft des Bundesrates betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vom 9. Mai 1973 (BBl 1973 I, S. 1348 ff., insb. 1366/7) wird gesagt, öffentliche Bekanntgaben von Herstellungsverfahren und Konsumformen seien strafrechtlich zu erfassen. Einzig Delachaux (Drogues et législation, Diss. Lausanne 1977, S. 189) legt dar, der Ausdruck "possibilités de s'en procurer" müsse in einem weiten Sinne verstanden werden, der auch die Mittel, unbefugt Betäubungsmittel zu erlangen, umfasse, darin eingeschlossen die Herstellungsverfahren. Einen Beleg aus der Entstehungsgeschichte dafür nennt er jedoch nicht.
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