![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
12. Urteil des Kassationshofes vom 12. Februar 1993 i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 3 Abs. 3 und 23 Abs. 6 ANAG, Art. 1 des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich vom 23. Februar 1882 (SR 0.142.113.491). Verhältnis. Arrangement confidentiel entre la France et la Suisse au sujet de la situation des ressortissants de l'un des deux Etats résidant dans l'autre vom 1. August 1946. |
2. Diese Beschränkung des Anwendungsbereichs des Niederlassungsvertrages ist sowohl völkerrechtlich als auch landesrechtlich zulässig. |
Bedeutung des - nicht veröffentlichten - Arrangement confidentiel vom 1. August 1946 (E. 2). | |
Sachverhalt | |
![]() | 1 |
B.- Der Gebüsste führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen, eventuell sei die Sache in Aufhebung des angefochtenen Entscheides an die Vorinstanz zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Staatskasse.
| 2 |
C.- Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies am 7. Dezember 1992 die von M. erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab.
| 3 |
![]() | |
4 | |
a) Der Niederlassungsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich vom 23. Februar 1882 bestimmt in Art. 1 folgendes:
| 5 |
"Die Franzosen sind in jedem Kantone der Eidgenossenschaft in bezug auf
| 6 |
ihre Personen und ihr Eigentum auf dem nämlichen Fusse und auf die gleiche
| 7 |
Weise aufzunehmen und zu behandeln, wie es die Angehörigen der andern
| 8 |
Kantone sind oder noch werden sollten. Sie können daher in der Schweiz ab-
| 9 |
und zugehen und sich daselbst zeitweilig aufhalten, wenn sie den Gesetzen
| 10 |
und Polizeiverordnungen nachleben. Jede Art von Gewerbe und Handel, welche
| 11 |
den Angehörigen der verschiedenen Kantone erlaubt ist, wird es auf gleiche
| 12 |
Weise auch den Franzosen sein, und zwar ohne dass ihnen eine pekuniäre
| 13 |
oder sonstige Mehrleistung überbunden werden darf."
| 14 |
Die Verwaltungsbehörden und ihnen folgend das Bundesgericht haben in zahlreichen Entscheiden zu Art. 1 des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich respektive zu gleichlautenden Bestimmungen in Verträgen der Schweiz mit andern Staaten, etwa mit Spanien (SR 0.142.113.321) und mit Serbien (SR 0.142.118.181), Stellung genommen. In diesen Entscheiden wird festgehalten, dass die fraglichen Vertragsbestimmungen betreffend Freizügigkeit und Gleichbehandlung der Ausländer mit den Inländern seit dem 1. Weltkrieg, meist ohne dass dies in zusätzlichen Abkommen festgelegt wurde, in stillschweigendem gegenseitigem Einverständnis restriktiv ausgelegt und nur noch auf diejenigen Staatsangehörigen der Vertragspartner angewandt werden, die bereits eine Niederlassungsbewilligung besitzen. Für alle anderen ausländischen Staatsangehörigen gälten die alten Staatsverträge nur unter dem Vorbehalt entgegenstehenden Landesrechts, insbesondere also unter dem Vorbehalt des ANAG (BGE 106 Ib 127 E. 2b mit Hinweisen auf nicht publizierte Bundesgerichtsentscheide, ![]() | 15 |
Diese Praxis wird in der Doktrin mit unterschiedlichen Argumenten jedenfalls im Ergebnis, wenn auch mit gewissen Bedenken, akzeptiert (WALTER A. STOFFEL, op.cit., S. 114 ff.; TONI PFANNER, Die Jahresaufenthaltsbewilligung des erwerbstätigen Ausländers, Diss. St. Gallen 1984, S. 34 ff., je mit zahlreichen Hinweisen).
| 16 |
Der Kassationshof hat keinen Anlass, davon abzuweichen.
| 17 |
b) Die von der Schweiz vor dem 1. Weltkrieg mit andern Staaten abgeschlossenen Niederlassungsverträge statuieren entsprechend dem damals herrschenden Gedanken der Freizügigkeit die weitgehende Gleichbehandlung der Ausländer mit den Inländern. Die Angehörigen der Vertragsstaaten konnten sich ohne weiteres in der Schweiz niederlassen und hier eine Erwerbstätigkeit ausüben. Diese Freizügigkeit erstreckte sich in der Praxis sogar auf Angehörige von Ländern, mit denen die Schweiz keinen Niederlassungsvertrag abgeschlossen hatte, sowie auf Staatenlose (siehe Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren gegen die Überfremdung, BBl 1967 II 69 ff.; Botschaft des Bundesrates zum Ausländergesetz, BBl 1978 II 169 ff., 172). Dies änderte sich mit dem 1. Weltkrieg. Verschiedene Niederlassungsverträge wurden kurz nach dem Ende des 1. Weltkrieges gekündigt, blieben aber abmachungsgemäss bis auf weiteres in Kraft, so auch der Niederlassungsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich vom 23. Februar 1882 (BBl 1919 II 458, 1920 II 62). Die Vertragsstaaten hatten die Absicht, der neuen Lage durch eine Änderung der Verträge Rechnung zu tragen. Eine Vertragsänderung erschien indessen bald einmal nicht mehr unbedingt erforderlich. Die Vertragspartner nahmen nämlich stillschweigend zur Kenntnis, dass die in den meisten Ländern neugeschaffenen landesrechtlichen ![]() | 18 |
Es ergibt sich somit zusammenfassend, dass nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsstaaten die vor dem 1. Weltkrieg abgeschlossenen Niederlassungsverträge seit dem 1. Weltkrieg in bezug auf Ausländer ohne Niederlassungsbewilligung unter dem Vorbehalt der nationalen Fremdenpolizeigesetzgebung stehen, dass die Angehörigen der Vertragsstaaten gemäss einzelnen Zusatzabkommen ![]() | 19 |
c) Der übereinstimmende Wille der Vertragsstaaten betreffend eine restriktive Anwendung des Niederlassungsvertrages im umschriebenen Sinne, der in bezug auf das Verhältnis zwischen Frankreich und der Schweiz durch mehrere Umstände - Kündigung des Vertrages, abweichende Praxis (zur Praxis der französischen Behörden siehe die Nachweise bei WALTER A. STOFFEL, op.cit., S. 206 Fn. 104), Arrangement confidentiel - zum Ausdruck kommt, ist für das Bundesgericht gleich einem formell abgeschlossenen Staatsvertrag massgebend (nicht publizierte E. 4 von BGE 98 Ib 385, wiedergegeben in SJ 95/1973 p. 481 ss, 487).
| 20 |
21 | |
![]() | 22 |
Durch das nicht veröffentlichte "Arrangement confidentiel" zwischen Frankreich und der Schweiz vom 1. August 1946 wird nicht der Niederlassungsvertrag zwischen diesen beiden Staaten vom 23. Februar 1882 abgeändert, sondern bestimmt, dass den Angehörigen des Vertragspartners - in Abweichung von der nationalen Fremdenpolizeigesetzgebung, welche nach der unabhängig von diesem Arrangement bereits geübten Praxis den Vorrang vor dem Niederlassungsvertrag hat - nach der ordnungsgemässen und ununterbrochenen Anwesenheit im Gastland während 5 Jahren die Niederlassungsbewilligung mit dem weitgehend unbeschränkten Recht zur Erwerbstätigkeit eingeräumt werden soll (vgl. auch AUGUSTIN MACHERET, op.cit., p. 119). Da somit der Sinn des "Arrangement ![]() | 23 |
24 | |
25 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |