BGE 120 IV 217 | |||
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37. Urteil des Kassationshofes vom 8. September 1994 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Aussageverweigerungsrecht eines Kindes in einem gegen seinen Vater eröffneten Strafverfahren wegen Sexualdelikten zu seinem Nachteil. §§ 65 Ziff. 2, 66 Ziff. 1, 67 Abs. 1 StPO/BL; Art. 7 Abs. 2, Art. 8 Abs. 2 OHG. |
Die Bejahung dieser Fragen verstösst weder gegen Sinn und Zweck des Sexualstrafrechts noch gegen Sinn und Zweck des Opferhilfegesetzes (E. 4). |
Offengelassen, ob und auf welche Weise ein vierjähriges Mädchen in einem solchen Fall als Opfer im Sinne von Art. 7 Abs. 2 OHG die Aussage zu Fragen betreffend sein Intimsphäre verweigern könne (E. 2). | |
Sachverhalt | |
A.- X. wird von der Anklagebehörde vorgeworfen, er habe in der Zeit von spätestens Oktober 1989 bis zum 20. Mai 1990 seine Tochter M., geboren 1986, mehrfach zu unzüchtigen Handlungen missbraucht. Die Vorwürfe stützen sich im wesentlichen auf die Aussagen, welche M. gegenüber einer Psychologin vom Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst gemacht hatte. Dieser Dienst war vom Statthalteramt Waldenburg beauftragt worden, vom Kind das wirkliche Geschehen und die Person, welche die Handlungen ausgeführt haben soll, in Erfahrung zu bringen. Im Gutachten des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes vom 25. Oktober 1990 wird festgehalten, aus den Aussagen von M. gehe klar hervor, dass sexuelle Übergriffe stattgefunden hätten.
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Mit Schreiben vom 19. September 1991 machte der Chefarzt des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes das Statthalteramt Waldenburg darauf aufmerksam, dass bei der Erarbeitung des Gutachtens dem Recht des Kindes auf Zeugnisverweigerung keine Beachtung geschenkt worden sei. M. habe stets deutlich gemacht, dass sie ihren Vater nicht belasten wolle, und ausdrücklich gewünscht, dass niemandem etwas über das berichtet werde, was sie dem Personal des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes anvertraute.
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X. bestritt stets sämtliche Vorwürfe. M. wurde weder im erstinstanzlichen noch im Appellationsverfahren zur Einvernahme vorgeladen.
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B.- Am 19. März 1993 sprach das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft X. vom Vorwurf der mehrfachen sexuellen Nötigung sowie der versuchten Vergewaltigung frei. Dem Gericht erschienen die Zweifel an der Richtigkeit der Aussagen, die M. gegenüber der Psychologin vom Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst gemacht hatte, als so erheblich, dass es von der Schuld des Angeklagten nicht ausreichend überzeugt war.
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Auf Appellation der Staatsanwaltschaft bestätigte das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft am 6. Dezember 1993 den erstinstanzlichen Freispruch. Es ging davon aus, dass das Mädchen von dem ihm zustehenden Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch gemacht habe und dass daher dessen Aussagen gegenüber dem Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst nicht verwendet werden dürfen. Ohne diese Aussagen sei jedoch kein rechtsgenüglicher Beweis vorhanden, der eine Verurteilung zulasse.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Die Vorinstanz führt unter Hinweis auf diese Bestimmungen aus, das im Jahre 1986 geborene Mädchen sei nicht zeugnisfähig. Es könne aber als Auskunftsperson befragt werden; diese prozessuale Figur sei zwar in der StPO/BL nicht ausdrücklich vorgesehen, aber von der Praxis entwickelt worden. Auch einem als Auskunftsperson zu befragenden Kind stehe erstens ein Aussageverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zum angeschuldigten Vater nach dem kantonalen Strafprozessrecht und zweitens, soweit es um Fragen betreffend seine Intimsphäre gehe, ein Antwortverweigerungsrecht gemäss Art. 7 Abs. 2 OHG zu.
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Der Umstand, dass die Psychologin vom Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst, die im Auftrag des Statthalteramtes mehrere Spielgespräche mit dem Kind führte, dieses nicht auf sein Aussageverweigerungsrecht aufmerksam gemacht hatte, darf nach den weiteren Ausführungen der Vorinstanz im Sinne einer pragmatischen Lösung nicht automatisch zu einem vollumfänglichen Beweisverwertungsverbot führen.
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Die Aussagen des Kindes dürfen nach Ansicht der Vorinstanz aber deshalb nicht als Beweismittel verwertet werden, weil das Kind von seinem Aussageverweigerungsrecht rechtsgültig Gebrauch gemacht habe. Wie sich aus den aufgezeichneten Gesprächen ergebe, habe das Kind der Psychologin ein Geheimnis anvertrauen wollen und grossen Wert darauf gelegt, dass der Inhalt dieser Gespräche nicht an Dritte weitererzählt werde. Die Psychologin habe anlässlich der Appellationsverhandlung als Expertin bestätigt, dass sich das Mädchen klar in diesem Sinne geäussert habe. Nach Ansicht der Vorinstanz kann und muss dieser Wunsch des Kindes respektiert werden. Dem damals vierjährigen Mädchen könne die Fähigkeit zuerkannt werden, sich zu entscheiden, wem es ein Geheimnis erzählen wolle und wem nicht. Für die Respektierung des Wunsches des Kindes spreche auch, dass sich die psychiatrischen Experten daran gebunden fühlten. Schliesslich sei zu berücksichtigen, dass sich das Mädchen Stillschweigen ausbedungen habe, obschon es nicht über sein Aussageverweigerungsrecht aufgeklärt worden sei. Da das Kind somit rechtsgültig das ihm erstens nach Art. 7 Abs. 2 OHG und zweitens gemäss § 66 Ziff. 1 StPO/BL zustehende Aussageverweigerungsrecht ausgeübt habe, dürfen nach der Schlussfolgerung der Vorinstanz die Aussagen des Kindes gegenüber der Psychologin nicht verwertet werden.
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b) Die Staatsanwaltschaft macht in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde im wesentlichen geltend, die (angebliche) Ausübung des Aussageverweigerungsrechts durch das damals vierjährige Mädchen sei rechtlich unbeachtlich. Erstens fehle einem Kind von vier Jahren die für die rechtswirksame Ausübung des Aussageverweigerungsrechts erforderliche Urteilsfähigkeit, zweitens sei das Mädchen im vorliegenden Fall unter starker Beeinflussung von seiten des angeschuldigten Vaters gestanden, und drittens sei die Annahme eines Aussageverweigerungsrechts unter den gegebenen Umständen mit Sinn und Zweck des OHG einerseits und des revidierten Sexualstrafrechts anderseits nicht zu vereinbaren. Diese Einwände beziehen sich offenbar sowohl auf die Frage der Aussageverweigerung wegen Verwandtschaft zum Angeschuldigten als auch auf die Frage der Antwortverweigerung gemäss Art. 7 Abs. 2 OHG.
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Ob die zweite Begründung (betreffend Antwortverweigerung nach Art. 7 Abs. 2 OHG) mit dem Bundesrecht vereinbar sei, kann offenbleiben, wenn sich ergibt, dass jedenfalls die erste Begründung (betreffend Aussageverweigerung wegen Verwandtschaft) vor Bundesrecht standhält. Das gilt auch dann, wenn diese erste Begründung (teilweise) auf kantonalem Recht beruht, dessen Anwendung im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht überprüft (Art. 269 Abs. 1, 273 Abs. 1 lit. b BStP) und von der Staatsanwaltschaft mit der staatsrechtlichen Beschwerde mangels Befugnis zur Ergreifung dieses Rechtsmittels nicht zur Entscheidung gestellt werden kann.
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3. Die Erkenntnis der Vorinstanz, dass dem damals vierjährigen Mädchen in dem gegen seinen Vater wegen mehrfacher sexueller Nötigung etc. zu seinem Nachteil eröffneten Strafverfahren nach dem kantonalen Prozessrecht als Auskunftsperson ein dem Zeugnisverweigerungsrecht entsprechendes Aussageverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zustehe und dass es dieses Recht gültig ausgeübt habe, betrifft das kantonale Recht und kann daher mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden. Soweit es um eine Aussageverweigerung nach dem kantonalen Strafprozessrecht geht, sind auch die Fragen, welche Anforderungen an die geistigen und intellektuellen Fähigkeiten ("Urteilsfähigkeit") sowie an den Willen (Fehlen von Willensmängeln) der die Aussage verweigernden Person zu stellen sind, damit die Aussageverweigerung rechtswirksam ist, Fragen des kantonalen Rechts. Unzulässig ist somit insbesondere die Rüge der Beschwerdeführerin, dass ein vierjähriges Mädchen ein kantonalrechtliches Aussageverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zum Angeschuldigten mangels der hiefür erforderlichen Urteilsfähigkeit nicht rechtswirksam ausüben könne. Wohl ist der Begriff der "Urteilsfähigkeit" im Bundesrecht (Art. 16 ZGB) umschrieben. Das ist indessen nicht entscheidend. Die Urteilsfähigkeit als (allfällige) Voraussetzung der rechtswirksamen Ausübung eines kantonalrechtlichen Aussageverweigerungsrechts ist nicht ein bundesrechtlicher, sondern ein kantonalrechtlicher Begriff.
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a) Das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft ist in allen kantonalen Strafprozessordnungen und auch in den Strafprozessordnungen des Bundes (Art. 75 BStP, Art. 41 Abs. 2 VStrR i.V.m. Art. 75 BStP, Art. 75 MStP [SR 322.1]) vorgesehen. Es gilt nach den meisten Strafprozessordnungen uneingeschränkt, also beispielsweise auch dann, wenn die Gegenstand des Verfahrens bildende Tat des Verwandten sich gegen den Zeugen richtete.
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Einige kantonale Strafprozessordnungen sehen allerdings u.a. insoweit unter bestimmten - unterschiedlichen - Voraussetzungen Ausnahmen vom Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft vor. Nach Art. 141 Abs. 2 StrV/BE kann sich eine Person unter 16 Jahren nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft berufen, wenn ein Verwandter einer an ihr persönlich begangenen strafbaren Handlung bezichtigt wird. Die bernische Praxis hatte schon vor der Einführung dieser Bestimmung durch die Gesetzesrevision vom 6. November 1973 angenommen, dass das Zeugnisverweigerungsrecht bei Angriffen auf die sexuelle Integrität von Kindern ausgeschlossen sei (siehe ZBJV 85/1949 S. 281). Gemäss Art. 68 Abs. 3 StPO/SG besteht das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft bei bestimmten Delikten gegen Verwandte, ungeachtet des Alters des Opfers bzw. des Geschädigten, nicht, so u.a. nicht bei Mord, vorsätzlicher Tötung und Totschlag sowie bei Misshandlung und Vernachlässigung eines Kindes, Überanstrengung von Kindern und Untergebenen, Unzucht mit Kindern und Blutschande. Einige weitere kantonale Strafprozessordnungen schliessen das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft bei Straftaten gegen Verwandte unter gewissen Umständen aus (siehe z.B. Art. 74 Abs. 2 StPO/AR, art. 142 al. 2 CPP/JU).
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Derartige gesetzliche Beschränkungen des Zeugnisverweigerungsrechts wegen Verwandtschaft sind umstritten. Eine entsprechende Bestimmung wurde anlässlich der Totalrevision der luzernischen Strafprozessordnung im Jahre 1954 nicht mehr übernommen. Im Kanton Aargau hatte schon die Expertenkommission den Gedanken, das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft bei Straftaten gegen Familienmitglieder auszuschliessen, fallengelassen (siehe zum Ganzen ROBERT HAUSER, Der Zeugenbeweis im Strafprozess mit Berücksichtigung des Zivilprozesses, 1974, S. 271 f.; JUDITH STAMM, Das sexuell geschädigte Kind in der Strafuntersuchung, Diss. Zürich 1967, S. 81 f., je mit Hinweisen).
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Die vorliegend anwendbare Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft enthält keine Bestimmung, die das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft bei Straftaten gegen Verwandte unter bestimmten Voraussetzungen ausschliesst. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht gilt vielmehr uneingeschränkt. Nach der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft ist mithin, wie nach den meisten andern kantonalen Strafprozessordnungen sowie nach den Strafprozessgesetzen des Bundes, eine zeugnisfähige Person auch dann wegen Verwandtschaft zeugnisverweigerungsberechtigt, wenn die Gegenstand des Strafverfahrens bildende Tat eines nahen Verwandten, z.B. des Vaters, sich nicht gegen irgendeinen Dritten, sondern gegen sie selbst richtete.
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b) Dass das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zum Angeschuldigten auch dem Opfer der Gegenstand des Verfahrens bildenden Straftat selbst zusteht, kann insbesondere dann als stossend erscheinen, wenn in der Straftat ein Missbrauch des Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnisses liegt, und namentlich bei Sexualdelikten des Vaters zum Nachteil seines Kindes. Es mag ein gewisser Widerspruch darin bestehen, dass einerseits die Ausnützung eines Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnisses die Strafbarkeit begründet oder den Tatbestand qualifiziert und dass anderseits gerade die dieses Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis begründende nahe Verwandtschaft zur Zeugnisverweigerung berechtigt. Das bedeutet aber nicht, dass das im kantonalen Strafprozessrecht festgelegte Zeugnisverweigerungsrecht auch des (zeugnisfähigen) Opfers wegen Verwandtschaft bei Sexualdelikten gegen Sinn und Zweck des Sexualstrafrechts verstosse und daher bundesrechtswidrig sei. Es bedeutet bloss, dass das ohnehin immer bestehende, vom Bundesgesetzgeber akzeptierte Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Strafanspruch einerseits und dem Zeugnisverweigerungsrecht (wegen Verwandtschaft) anderseits bei gewissen Straftaten unter bestimmten Umständen besonders gross ist. Dies könnte allenfalls, trotz der kantonalen Gesetzgebungshoheit auf dem Gebiet des Strafprozesses, eine bundesrechtliche Regelung rechtfertigen, welche etwa bei Sexualdelikten das Zeugnisverweigerungsrecht des Opfers bzw. zumindest des jungen Opfers wegen Verwandtschaft zum Angeschuldigten ausschliesst, zumal gerade bei Sexualdelikten die Aussagen des Angeschuldigten und des Opfers oft die einzigen Beweismittel sind und mit der Zeugnisverweigerung häufig das entscheidende Beweismittel entfällt. Das dargestellte Spannungsverhältnis kann aber allein vom Gesetzgeber gelöst werden. Es ist unzulässig, die Berufung auf ein im Gesetz vorgesehenes Zeugnisverweigerungsrecht etwa mit dem Hinweis auf das angeblich höherwertige Interesse an der Aufklärung einer bestimmten schwerwiegenden Straftat zu versagen (ROBERT HAUSER, op.cit., S. 133; ROBERT HAUSER, Zeugnisverweigerung von Kindern und Jugendlichen bei Familien-Sittlichkeitsdelikten, ZStrR 84/1968 S. 42 ff., 69 f.; FRANÇOIS CLERC, Note sur le témoignage des enfants en droit suisse, ZStrR 80/1964 S. 75 ff., 82, 83; anderer Auffassung A. MOPPERT, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht von Kindern, SJZ 48/1952 S. 101 ff., 105 f.). Das in den meisten kantonalen Strafprozessgesetzen ohne Einschränkungen vorgesehene Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft kann mithin nicht auf dem Wege der Gesetzesauslegung den (jungen) Opfern von Sexualdelikten unter Hinweis auf die Bedeutung des Kindes- und Jugendschutzes im Sexualstrafrecht abgesprochen werden.
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c) Aus Sinn und Zweck des (am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen) Opferhilfegesetzes kann ebenfalls nicht abgeleitet werden, dass das in den Strafprozessordnungen der Kantone und des Bundes festgelegte Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft für die Opfer von Straftaten jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen, etwa bei sexuellen Handlungen mit Kindern oder mit Abhängigen (Art. 187 f. StGB), nicht gelte, dass mit anderen Worten das Opfer im Strafverfahren gegen seinen Vater zur Aussage verpflichtet sei. Das OHG enthält keine entsprechende Bestimmung. Im Gegenteil kann das Opfer gemäss Art. 7 Abs. 2 OHG die Aussage zu Fragen verweigern, die seine Intimsphäre betreffen.
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In der bundesrätlichen Botschaft zum OHG (BBl 1990 II 961 ff.) wird dazu festgehalten (S. 984/985), der Konflikt zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch, der nach einer möglichst umfassenden und ungehinderten Aufklärung von Straftaten rufe, und dem Anspruch des Opfers auf Schutz vor Verletzungen seiner Persönlichkeit im Strafverfahren werde in den geltenden Regelungen des Zeugnisverweigerungsrechts noch weitgehend zu Lasten des Opfers gelöst. Bei der Befragung des Opfers als Zeuge treffe dieses eine allgemeine Zeugnispflicht, die nur durch einzelne gesetzlich vorgesehene Ausnahmen beschränkt werde, zu denen in der Regel ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht naher Verwandter sowie ein Recht, die Antwort auf Fragen zu verweigern, die den Zeugen oder ihm nahestehende Personen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen können, gehören. Mit dem vorgeschlagenen Aussageverweigerungsrecht gemäss Art. 7 Abs. 2 OHG soll laut Botschaft ein gewisser Ausgleich geschaffen werden. Die Neuregelung werde namentlich den Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Integrität einen besseren Schutz vor Verletzungen ihrer Intimsphäre gewährleisten.
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Das OHG will also die in den Strafprozessordnungen vorgesehenen Möglichkeiten der Aussageverweigerung nicht einschränken, sondern im Gegenteil durch Art. 7 Abs. 2, der abweichendem kantonalem Recht vorgeht, ergänzen. Aufgrund der Erfahrung, dass manche Opfer von Sexualdelikten, etwa von Vergewaltigungen, von einer Strafanzeige auch deshalb absehen, weil sie u.a. die Fragen betreffend ihre Intimsphäre als demütigend empfinden, sollen die Opfer deren Beantwortung zum Schutz ihrer Persönlichkeit verweigern dürfen. Damit kann zwar einerseits die Anzeigebereitschaft der Opfer erhöht werden, doch nimmt der Gesetzgeber zugleich auch in Kauf, dass der Angeschuldigte der angezeigten Tat nicht überführt werden kann, wenn und weil das Opfer zu bestimmten Fragen betreffend seine Intimsphäre im Sinne von Art. 7 Abs. 2 OHG die Aussage verweigert (siehe dazu THOMAS MAURER, Das Opferhilfegesetz und die kantonalen Strafprozessordnungen, ZStrR 111/1993 S. 375 ff., 385, 388; JÜRG AESCHLIMANN, Die Zukunft des schweizerischen Strafprozessrechts, ZStrR 109/1992 S. 355 ff., 363 Fn. 33).
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d) Die auf das kantonale Strafprozessrecht gestützte Erkenntnis der Vorinstanz, dass dem damals vierjährigen Mädchen in dem gegen seinen Vater eröffneten Strafverfahren wegen mehrfacher sexueller Nötigung etc. zu seinem Nachteil als Auskunftsperson ein dem Zeugnisverweigerungsrecht entsprechendes Aussageverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft zustehe und dass es dieses Recht gültig ausgeübt habe, verstösst somit weder gegen Sinn und Zweck des Sexualstrafrechts noch gegen Sinn und Zweck des OHG.
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