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56. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1994 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen W. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG; qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz; Abgabe von mehr als 12 Gramm Heroin an eine süchtige Bezugsperson. | |
Sachverhalt | |
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Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie beantragt, es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Verurteilung von W. wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen versuchten qualifizierten Raubes an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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W. liess sich innert Frist nicht vernehmen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut
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aus folgenden Erwägungen: | |
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Obwohl angesichts der Menge der weitergegebenen Betäubungsmittel rein rechnerisch ein schwerer Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG ![]() | 6 |
Die Beschwerdeführerin bringt vor, der qualifizierte Tatbestand des Art. 19 Ziff. 2 BetmG sei bereits mit der Abgabe von 70 Gramm Heroin erfüllt. Wohl habe es sich beim abgegebenen Heroin zumindest zum Teil um Gassenware gehandelt, die 30 Gramm Heroin, die der Beschwerdegegner im Tausch gegen Kokain von R. erhalten und später an Dritte weitergegeben habe, seien aber ![]() | 7 |
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In BGE 108 IV 63 E. 2 erkannte das Bundesgericht unter Verweisung auf seine frühere Rechtsprechung, eine Vielzahl von Menschen im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG sei bei zwanzig Personen gegeben (BGE 105 IV 73 E. 3d a.E., BGE 106 IV 227 E. 3c: 20-40 Personen; vgl. auch BGE 103 IV 280 E. 1: 35 Personen). Es stützte sich hiefür auf den Zweckgedanken des BetmG, der es verbiete, bei der Anwendung von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG besondere ![]() | 9 |
In BGE 109 IV 143 ff. legte das Bundesgericht nach Anhörung von Sachverständigen unter Beachtung der in konstanter Rechtsprechung entwickelten Kriterien (drogenunerfahrene Konsumenten, gefährlichste gebräuchliche Applikationsart) Grenzwerte für die Annahme des schweren Falles gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG fest. Es ging davon aus, die tägliche intravenöse Applikation von 10 mg Heroin-Hydrochlorid während 60 Tagen bzw. von 10 mg Kokain während 90 Tagen könne zur psychischen Abhängigkeit führen. Eine Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen (20 Personen) liege demnach bei einer Rauschgiftmenge von 12 Gramm Heroin bzw. 18 Gramm Kokain vor (vgl. auch BGE 103 IV 280 E. 1, BGE 105 IV 73 E. 3d; ebenso BGE 106 IV 241 E. 2a). In BGE 112 IV 109 E. 2a führte das Bundesgericht weiter aus, bei einem Täter, der mit verschiedenen Betäubungsmittelarten handle, seien nicht die Mengen der einzelnen umgesetzten Betäubungsmittelarten massgebend, sondern die Gesamtmenge aller Drogen. Könne durch die vom Täter verkaufte Menge von (verschiedenartigen) Drogen die Gesundheit von 20 Menschen gefährdet werden, liege ein schwerer Fall vor, auch wenn in bezug auf die einzelnen Betäubungsmittelarten die Grenzwerte nicht erreicht seien. Der Täter, der beispielsweise 6 Gramm Heroin (50% von 12 Gramm) und ![]() | 10 |
Bei der Beurteilung des Konsums von Cannabis erkannte das Bundesgericht, die Gesundheitsgefahr gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG sei eng zu fassen und nicht schon zu bejahen, wenn der Gebrauch einer Droge geeignet sei, psychisch abhängig zu machen. Eine Gesundheitsgefahr liege erst vor, wenn der Gebrauch der Droge über die Gefahr psychischer Abhängigkeit an sich hinaus auch seelische oder körperliche Schäden verursachen könne. Die Gefahr für die Gesundheit vieler Menschen müsse daher eine naheliegende und ernstliche sein (BGE 117 IV 314 E. 2d/cc).
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In BGE 119 IV 180 E. 2d entschied es sodann in Änderung seiner früheren Rechtsprechung (BGE 111 IV 100), dass sich die Gewichtsangaben beim qualifizierten Fall auf den reinen Drogenwirkstoff bezögen. Ein schwerer Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG sei demgemäss bei einem Heroingemisch erst dann anzunehmen, wenn der darin enthaltene reine Drogenwirkstoff mindestens 12 Gramm Heroin-Hydrochlorid betrage.
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b) Die Vorinstanz ging davon aus, dass rein rechnerisch ein schwerer Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG vorliege, da die vom Beschwerdegegner weitergegebene Drogenmenge auch bei Annahme eines Reinheitsgrades von bloss 11% für das Heroin und eines solchen von lediglich 20% für das Kokain die Grenzmenge von 12 Gramm reinen Heroin-Hydrochlorids erreicht habe. Dennoch verneinte sie den schweren Fall und beurteilte den Sachverhalt aufgrund der besonderen Umstände bloss als einfache Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Dies ist - soweit es sich um die Weitergabe von Betäubungsmitteln an M. handelt - im Ergebnis nicht zu beanstanden.
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aa) Das Bundesgericht entschied in einem Fall, in dem die Täter eine grössere Menge Kokain transportierten, um den Stoff in einen Abwasserschacht zu werfen und so zu vernichten, dass die durch das Befördern im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 BetmG geschaffene geringfügige abstrakte Gefahr des Inverkehrbringens von Betäubungsmitteln unter den besonderen Umständen des Falles ein erlaubtes Risiko darstelle und es somit an einem strafwürdigen Unrecht mangle (BGE 117 IV 58 E. 2). Der Nutzen einer Tätigkeit, die sonst gar nicht oder nur mit unverhältnismässig hohen materiellen oder anderen Aufwendungen möglich ![]() | 14 |
Diese Grundsätze sind analog auf den zu beurteilenden Fall zu übertragen. Wohl erweist sich das Handeln des Beschwerdegegners hier im Gegensatz zum Fall um die Beseitigung von Drogen als unrechtmässig, hingegen bestehen hinreichende Gründe, die Weitergabe von Betäubungsmitteln nicht als schweren Fall zu beurteilen. Dies jedenfalls insoweit, als der Beschwerdegegner nach den Feststellungen der Vorinstanz Drogen an seine Freundin M. geliefert hat, im Bestreben, ihr aus ihrer verfahrenen Situation herauszuhelfen, und in der Hoffnung, sie mittels allmählicher Reduzierung der Dosierung von ihrer Sucht zu befreien. Nach dem angefochtenen Urteil gab er dieser rund 50 Gramm (gestrecktes) Heroin ab, das sie selber konsumierte und wofür sie nichts bezahlen musste. Wesentlich ist, dass zwischen dem Beschwerdegegner und seiner drogensüchtigen Freundin eine enge Beziehung bestand und dass er ihr durch die Weitergabe von Heroin zum Konsum aus ihrer Situation heraushelfen wollte. Ausserdem war er von keinerlei finanziellen Interessen geleitet, vielmehr erlitt er selbst durch seine Geschäfte einen Verlust. Ins Gewicht fällt sodann, dass er selber begann, Drogen zu konsumieren und schliesslich ebenfalls abhängig wurde. Bei einer solchen Konstellation, bei der die Drogen lediglich an eine bereits süchtige Bezugsperson zum eigenen oder gemeinsamen Konsum abgegeben werden und bei der zudem die Gewissheit besteht, dass diese die Drogen selber konsumiert und nicht an Dritte weitergibt, kann die abstrakte Gefahr, dass Betäubungsmittel in die Hände unbestimmt vieler, unter Umständen auch gesunder Menschen gelangen, vernachlässigt werden. Jedenfalls ist der Umstand, dass die süchtige Person dadurch vor Beschaffungskriminalität, Prostitution und einem Abgleiten in Verwahrlosung bewahrt wird, stärker zu gewichten als die bloss abstrakte Gefahr des weiteren Inverkehrgelangens von Betäubungsmitteln. Die Weitergabe an den drogensüchtigen Partner unterscheidet sich wesentlich von der Tätigkeit des gefährlichen Drogenhändlers, der - sei es aus ausschliesslich finanziellen Motiven oder auch, um mit dem Erlös seine eigene Sucht zu befriedigen, - gegen Entgelt an mehrere oder gar unbestimmt viele Konsumenten Drogen ![]() | 15 |
bb) Neben den 50 Gramm Heroin an M. verkaufte bzw. verschenkte der Beschwerdegegner weitere 20 Gramm in mehreren Portionen an S. Ausserdem kaufte er rund 30 Gramm Kokain und gab sie ebenfalls in kleinen Portionen an R. weiter, wobei er den grössten Teil gegen Heroin tauschte, das er wiederum für den Eigenkonsum und den Konsum seiner Freundin verwendete. Da die Vorinstanz den tatsächlichen Reinheitsgrad der Drogen letztlich offenliess, steht nicht fest, ob die für den schweren Fall allein in Frage kommenden 20 Gramm Heroin und 30 Gramm Kokain den Grenzwert gemäss der Rechtsprechung erreichen. Nimmt man mit der Beschwerdeführerin für das Heroin einen Reinheitsgrad von mindestens 20% an, ergibt sich für die 20 Gramm an S. eine Menge von 4 Gramm reinem Heroin-Hydrochlorid. Für die Annahme des qualifizierten Falles müssten die an R. weitergegebenen 30 Gramm Kokain diesfalls 12 Gramm reines Kokain enthalten, was 8 Gramm Heroin entspricht, also einen Reinheitsgrad von mindestens 40% aufgewiesen haben. Wie es sich damit verhält, kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden, so dass in diesem Punkt die Gesetzesanwendung nicht überprüft werden kann und die Sache im Sinne von Art. 277 BStP an die kantonale Instanz zurückgewiesen werden muss.
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