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57. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 13. Oktober 1994 i.S. K. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft | |
Regeste |
Art. 51 Abs. 2, Art. 52 Abs. 2 und Art. 105bis BStP. Haftbeschwerde; Kognition. |
Beschwerden gegen die Abweisung von Haftentlassungsgesuchen durch die Bundesanwaltschaft überprüft die Anklagekammer mit voller Kognition (E. 2; Praxisänderung). |
Bereits die im gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren ausschliesslich wegen Kollusionsgefahr angeordnete Untersuchungshaft darf nur mit Bewilligung der Anklagekammer länger als 14 Tage aufrechterhalten werden (E. 3; Praxisänderung). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 30. August 1994 verfügte die Bundesanwältin die Verhaftung von K. und Dr. S. wegen Verdunkelungs- und Fluchtgefahr.
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Mit begründeter Verfügung vom 31. August 1994 versetzte der eidg. Untersuchungsrichter als Haftrichter K. in Untersuchungshaft. Er erachtete den dringenden Tatverdacht sowie die Kollusionsgefahr als gegeben; grundsätzlich offengelassen wurde der von der Bundesanwaltschaft ebenfalls geltend gemachte Haftgrund der Fluchtgefahr.
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C.- Mit Eingaben vom 8./9. September 1994 ersuchte der Beschuldigte K. die Bundesanwältin um sofortige Entlassung aus der Untersuchungshaft.
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Mit Verfügung vom 15. September 1994 wies die Bundesanwältin das Haftentlassungsgesuch ab.
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D.- Mit Beschwerde vom 19. September 1994 beantragt K. der Anklagekammer des Bundesgerichts zur Hauptsache, die Verfügung der Bundesanwaltschaft vom 15. September 1994 aufzuheben und ihn sofort aus der Haft zu entlassen.
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Die Bundesanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
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In seiner Stellungnahme vom 29. September 1994 hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen fest.
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Aus den Erwägungen: | |
1. a) Soweit der Beschwerdeführer die teilweise Verweigerung der Akteneinsicht sowie die Nichtzulassung der anwaltlichen Vertretung bei seinen Einvernahmen rügt, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten, da der Beschwerde an die Anklagekammer nur Zwangsmassnahmen bzw. damit ![]() | 9 |
b) Da der Bundesanwalt im übrigen der Aufsicht des Bundesrates untersteht, ist gegen seine Handlungen und Unterlassungen im Rahmen der Ermittlungen der gerichtlichen Polizei ausserhalb des Anwendungsbereiches von Art. 105bis BStP nur die Aufsichtsbeschwerde an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement oder den Bundesrat gegeben (Art. 14 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 BStP; BGE 109 IV 58 E. 1; HANSJÖRG STADLER, Bemerkungen zur Teilrevision vom 1. Juli 1993 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege [BStP] im Zusammenhang mit dem eidgenössischen Datenschutzgesetz [DSG], ZStrR 112 [1994] 296).
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Die Beschwerde wird diesbezüglich im Einverständnis mit den Parteien dem Eidg. Justiz- und Polizeidepartement überwiesen.
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b) Mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht am 1. Januar 1975 wurde Art. 52 Abs. 2 BStP geändert. Die Änderung wurde damit begründet, dass der verhaftete Beschuldigte gemäss Art. 5 Ziff. 4 EMRK bereits während des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens die Möglichkeit haben sollte, gegen die Abweisung eines Haftentlassungsgesuches an eine gerichtliche Behörde zu gelangen; auch gegen die Abweisung eines Haftentlassungsgesuches durch den Bundesanwalt könne daher bei der Anklagekammer des Bundesgerichts Beschwerde geführt werden. Gleichzeitig wurde (in Art. 52 Abs. 2 zweiter Satz BStP) bestimmt, dass bei Haftbeschwerden gegen den Bundesanwalt die Verfahrensvorschriften der Art. 215 - 219 sinngemäss gelten (BBl 1971 I 1017 und 1062). Entsprechend der bis dahin geübten Praxis der Anklagekammer bei Beschwerden gegen die Abweisung von Haftentlassungsgesuchen durch den eidgenössischen Untersuchungsrichter konnte damit die Beschwerde gegen die Abweisung der Haftentlassung durch den Bundesanwalt auch nur dann gutgeheissen werden, wenn dieser das Gesetz verletzt oder das ihm eingeräumte Ermessen ![]() | 13 |
c) Mit der Änderung vom 19. Juni 1992 wurde Art. 52 Abs. 2 zweiter Satz BStP aufgehoben und in Abs. 3 des neuen Art. 105bis BStP aufgenommen, in welchem Artikel die Beschwerdemöglichkeiten gegen Zwangsmassnahmen insgesamt geregelt werden (BBl 1988 II 500 und 505, BGE 190 III 1230 und 1235). Die damit erfolgte Ausweitung des Beschwerderechts auf alle Zwangsmassnahmen und damit zusammenhängende Amtshandlungen bedeutete jedoch nach der ausdrücklichen Absicht des Gesetzgebers nicht, dass die Anklagekammer in das untersuchungsrichterliche Ermessen eingreifen oder jede Untersuchungshandlung auf ihre Angemessenheit prüfen solle; eine Änderung der geltenden Praxis der Anklagekammer (es wird in der Botschaft dazu verwiesen auf BGE 96 IV 141 und BGE 95 IV 47) sei nicht beabsichtigt (BBl 1988 II 505 und 1990 III 1235).
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d) An der bisherigen Rechtsprechung kann indessen - soweit sie Beschwerden gegen die Abweisung von Haftentlassungsgesuchen durch die Bundesanwaltschaft betrifft - nicht länger festgehalten werden. Denn bereits in BGE 115 Ia 293 hat das Bundesgericht in bezug auf Art. 5 Ziff. 4 EMRK und Art. 4 BV festgehalten, dass Art. 4 BV dem Beschuldigten zwar nicht das Recht zubillige, vor jeder Hafterstreckung angehört zu werden, ihm aber dennoch Gewähr dafür biete, gegen den Hafterstreckungsentscheid bei einer mit voller Kognition ausgestatteten richterlichen Behörde Einsprache erheben und seine Gründe und Einwendungen vorbringen zu können; diese Mindestgarantie entspreche im übrigen dem Recht, einen Rekurs an ein Gericht zu erheben, damit es sich zur Rechtmässigkeit der Haft äussere (E. 5b). Dasselbe muss auch für die dem Hafterstreckungsentscheid gleichzusetzende Abweisung eines Haftentlassungsgesuches gelten.
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b) Das vorliegende Verfahren befindet sich im Stadium der gerichtspolizeilichen Ermittlungen. Gemäss der Verfügung des eidg. Untersuchungsrichters (als Haftrichter) vom 31. August 1994 wurde die Untersuchungshaft wegen dringenden Tatverdachts und Kollusionsgefahr (Art. 44 Ziff. 2 BStP) angeordnet, denn der Haftgrund der Fluchtgefahr wurde ![]() | 17 |
c) Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung der Anklagekammer findet Art. 51 Abs. 2 BStP im gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren keine Anwendung (vgl. BÖSCH, Die Anklagekammer des Schweizerischen Bundesgerichts, Diss. Zürich 1978, S. 54; PETER, Ermittlungen nach Bundesstrafprozess, Kriminalistik 1974, S. 36).
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Dieser Rechtsprechung ist Kritik erwachsen (vgl. BÖSCH, a.a.O., S. 55; SCHUBARTH, Die Rechte des Beschuldigten im Untersuchungsverfahren, besonders bei Untersuchungshaft, Bern 1973, S. 143 ff.).
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Art. 51 BStP befindet sich im ersten Abschnitt "Allgemeine Bestimmungen" des Zweiten Teils des Bundesstrafprozesses unter dem Titel "VIII. Untersuchungs- und Sicherungshaft". Die Bestimmungen des Bundesstrafprozesses kennen indessen keine Randtitel bei den einzelnen Artikeln, wie dies etwa im Bundeszivilprozess der Fall ist. Allein der Umstand, dass nach Absatz 1 von Art. 51 BStP nur die während der Voruntersuchung verfügte Verhaftung oder Haftentlassung der Anklagekammer des Bundesgerichts zu melden ist, schliesst an sich nicht aus, Absatz 2 auch im (bundesrechtlichen) gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren anzuwenden.
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Im Lichte der dem Beschuldigten durch das Inkrafttreten der EMRK zustehenden Rechte drängt sich eine weite Auslegung dieser Bestimmung auf. Nach Art. 5 Ziff. 3 EMRK hat der Verhaftete Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassung während des Verfahrens. Aus diesem Beschleunigungsgebot ergibt sich ein Anspruch des Verhafteten auf zeitliche Begrenzung der Untersuchungshaft (vgl. HAUSER, Kurzlehrbuch des Strafprozessrechts, S. 191). Es ist deshalb eine unzulässige Beschneidung der Freiheitsrechte des Beschuldigten und widerspricht auch dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung (vgl. SCHMID, Strafprozessrecht, N. 714 und 714a, und HAUSER, a.a.O., S. 190), ihn erst nach Eröffnung der Voruntersuchung in den Genuss der Begrenzung der Haftdauer kommen zu lassen. Mit der Eröffnung könnte sonst einfach zugewartet und damit die Frist in jedem Fall umgangen werden. Demnach kann nach konventionskonformer Auslegung der Sinn der Vorschrift von Art. 51 Abs. 2 BStP nur sein, dass jede wegen Kollusionsgefahr verhängte Haft nur mit besonderer Bewilligung der Anklagekammer länger als 14 Tage aufrechterhalten werden darf. Die Möglichkeit, jederzeit ein Haftentlassungsgesuch stellen zu können (Art. 52 Abs. 1 BStP), bietet dem ![]() | 21 |
Die bisherige Auslegung von Art. 51 Abs. 2 BStP kann aus diesen Gründen nicht länger aufrechterhalten werden.
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d) Da im vorliegenden Fall die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über die in Art. 51 Abs. 2 BStP vorgesehene Dauer hinaus durch die Anklagekammer nicht besonders bewilligt wurde, wäre sie aufzuheben, sofern nicht neu der von der Bundesanwaltschaft in der angefochtenen Verfügung ebenfalls geltend gemachte Haftgrund der Fluchtgefahr zu bejahen ist.
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