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33. Urteil des Kassationshofes vom 4. Juni 1996 i.S. D. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 117 und Art. 18 Abs. 3 StGB, Art. 31 Abs. 1 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV; fahrlässige Tötung, Sorgfaltspflicht, Aufmerksamkeit im Strassenverkehr. | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 3. August 1994 verurteilte das Strafamtsgericht von Bucheggberg-Wasseramt D. wegen fahrlässiger Tötung sowie mehrfacher Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung zu einer Busse von Fr. 1'500.--.
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C.- Auf Appellation von D. hin bestätigte das Obergericht des Kantons Solothurn am 16. November 1995 den erstinstanzlichen Schuldspruch und erkannte auf eine Busse von Fr. 1'200.--.
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D.- D. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die Sache zur Freisprechung vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Erwägungen: | |
1. a) Auf der Hauptstrasse gegenüber dem Stopsack des Beschwerdeführers, wo dieser seine Fahrt nach der Kreuzung mit der Steinerstrasse geradeaus fortsetzen wollte, befindet sich, Blickrichtung Truttikon, ebenfalls ein Stopsack, links daneben in der Strassenmitte eine Verkehrsinsel. Die Mofalenkerin wohnte in der Liegenschaft unmittelbar neben diesem Stopsack, also schräg gegenüber dem Stopsack, wo der Beschwerdeführer anhielt. Die Vorinstanz nimmt an, dass die Mofalenkerin von der Rückseite ihres Hauses auf die Hauptstrasse gelangte und in Richtung Kreuzung fuhr, aber nicht im Stopsack bei der dem Beschwerdeführer gegenüberliegenden Einmündung in die ![]() | 6 |
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen. Selbst wenn eine Sorgfaltswidrigkeit zu bejahen wäre, verletze die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung Bundesrecht, da der Kausalzusammenhang durch das krass regelwidrige Verhalten der Mofalenkerin unterbrochen worden sei.
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Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die Tat darauf zurückzuführen ist, dass der Täter die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 18 Abs. 3 StGB).
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Die Annahme der Fahrlässigkeit setzt die Verletzung einer Sorgfaltspflicht voraus. Sorgfaltswidrig ist eine Handlungsweise dann, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung des Opfers hätte erkennen können und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritt. Bei der Bestimmung des im Einzelfall zugrunde zu legenden Massstabes des sorgfaltsgemässen Verhaltens kann auf Bestimmungen zurückgegriffen werden, die der Unfallverhütung und der Sicherheit dienen (BGE 122 IV 133 E. 2 mit Hinweisen). Im hier zu beurteilenden Fall sind die Bestimmungen des Strassenverkehrsrechts heranzuziehen.
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Das Mass der Aufmerksamkeit, das vom Fahrzeugführer verlangt wird, richtet sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen. Wenn er sein Augenmerk im wesentlichen auf bestimmte Stellen zu richten hat, kann ihm für andere eine geringere Aufmerksamkeit zugebilligt werden (BGE 103 IV 101 E. 2b und c).
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Das Bundesgericht hat in Anwendung dieser Grundsätze eine Sorgfaltswidrigkeit in folgender Konstellation verneint: Ein Automobilist fuhr gegen Mitternacht innerorts auf einer Hauptstrasse, als er plötzlich einige Meter vor sich einen Mofafahrer erblickte, der die Strasse aus der Sicht des Automobilisten von links nach rechts überquerte. Es kam zur Kollision, bei welcher der Mofafahrer tödlich verletzt wurde. Der Automobilist hätte den Mofafahrer rechtzeitig sehen können, wenn er eine äusserste Aufmerksamkeit dorthin gerichtet hätte, woher dieser kam. Das Bundesgericht bemerkte, dass diese Feststellung der kantonalen Instanz anlässlich einer nächtlichen Unfallrekonstruktion gemacht wurde, bei welcher das Gericht wusste, woher der Mofafahrer kam, und sich auf nichts anderes konzentrieren musste. Der im damaligen Fall von den kantonalen Gerichten verurteilte Automobilist hatte nicht nur die vor ihm liegende Strasse im Auge zu behalten, sondern auch einen Fussgängerstreifen, eine Lichtsignalanlage und das Trottoir rechts. Das Bundesgericht führte aus, die weniger grosse Aufmerksamkeit, die der Automobilist auf anderes zu richten hatte, müsse es erlauben, Hindernisse und Ereignisse wahrzunehmen, die normalerweise sichtbar seien; man könne aber nicht verlangen, dass die Aufmerksamkeit ein Mass erreiche, dass der Automobilist erkennen könne, was nur schwer sichtbar sei. Das Bundesgericht kam deshalb zum Schluss, dass der Automobilist den Mofafahrer und sein ungewöhnliches Verhalten nicht rechtzeitig bemerken konnte (BGE 103 IV 101 E. 2c).
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c) Das Bundesgericht ging also in diesem Entscheid davon aus, dass der Automobilist seine Aufmerksamkeit in erster Linie auf die zu erwartenden Gefahren zu richten hat und daneben höchstens sekundär auf ungewöhnliche und abwegige Verhaltensweisen anderer Verkehrsteilnehmer. Übertragen auf ![]() ![]() | 14 |
Hinzuzufügen ist folgendes: Es ist nicht zulässig, daraus, dass rückblickend gesehen bei optimalem Verhalten möglicherweise der Fehler eines anderen Verkehrsteilnehmers früher hätte erkannt werden können, auf eine Sorgfaltswidrigkeit zu schliessen (vgl. GÜNTER STRATENWERTH, Grundfragen des Verkehrsstrafrechtes, BJM 1966, S. 53 ff., vor allem S. 64 ff.). Man kann nicht verlangen, dass im Strassenverkehr jedermann zu jeder Zeit ein Höchstmass an Aufmerksamkeit und Umsicht erbringt. Der Beschwerdeführer war, wie dargelegt, verpflichtet, sein Augenmerk auf allfällige vortrittsberechtigte Fahrzeuge auf der Querstrasse zu richten. Insbesondere bei seiner geringen Geschwindigkeit war er deshalb nicht überdies verpflichtet, schon beim Anfahren danach Ausschau zu halten, ob ihm allenfalls ein Mofafahrer in krass verkehrswidriger Weise den Weg abschneide.
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