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4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. Januar 1998 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 197 aStGB; Missbrauch der Abhängigkeit einer Frau. |
Art. 9 Abs. 1 OHG; Beurteilung der Zivilansprüche durch das Strafgericht bei Freispruch. |
Bei einem Freispruch ist das Strafgericht nach OHG nicht verpflichtet, über Zivilansprüche des Opfers zu entscheiden; das OHG schliesst diese Möglichkeit aber nicht aus (E. 3c). | |
Sachverhalt | |
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Gegen diesen Entscheid führt X. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei vollumfänglich aufzuheben und er sei von der Anklage des vollendeten Missbrauchs der Abhängigkeit einer Frau freizusprechen. Ferner sei auf die Zivilforderungen der Geschädigten nicht einzutreten, eventualiter seien sie abzuweisen.
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Die Geschädigten stellen in ihrer Vernehmlassung Antrag auf Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie einzutreten sei. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen. Das Kantonsgericht St. Gallen hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
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Aus den Erwägungen: | |
1. Nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) war der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1977 in eigener Praxis psychotherapeutisch tätig, nachdem ![]() | 4 |
Die Vorinstanz stellt fest, die Beschwerdegegnerin 2 habe mit dem Beschwerdeführer zwischen 1982 und 1984 wegen eines Berufstests Kontakt aufgenommen. Er habe sie in der Folge wissen lassen, dass sie eine Analyse benötige. Nach einem weiteren Szondi-Test im Rahmen einer Gruppentherapie habe er ihr erneut eine Analyse empfohlen, worauf sie im Jahre 1987 bei ihm eine Einzelanalyse begonnen habe. Anlässlich eines Kurses in Frankreich habe der Beschwerdeführer begehrt, die Brüste der Beschwerdegegnerin 2 zu berühren. Sie habe dies zugelassen, weil er damit ihre Fraulichkeit bestätigte, welche er ansonsten eher in Frage gestellt habe. In der Einzelanalyse hätten in der Folge Phasen der effektiven therapeutischen Arbeit mit solchen gewechselt, in denen der Beschwerdeführer sich nur noch mit ihrer Sexualität befasst habe. Er habe sie zunächst dazu bewegt, in den Therapiestunden keinen Büstenhalter zu tragen, habe sich bald zu ihr auf die Couch gelegt und ihr schliesslich angetragen, mit ihm zu schlafen. Nachdem sie dies mehrfach abgelehnt hatte, habe sie ihm anlässlich eines weiteren Kurses in Frankreich schliesslich nachgegeben. Eine Störung von aussen habe damals indessen den Geschlechtsverkehr verhindert. Hiezu sei es jedoch zu einem späteren Zeitpunkt im Anschluss an eine Analysestunde in Diepoldsau gekommen. Der Beschwerdeführer habe in der darauf folgenden Therapiestunde und zwei bis drei Wochen später auch telefonisch mehrfach den Wunsch geäussert, den Geschlechtsverkehr zu wiederholen. Die Beschwerdegegnerin 2 habe sich ihm mit der Zeit jedoch entzogen, indem sie die Anzahl der Therapiestunden zu reduzieren suchte und die Therapie in eine Supervision umwandelte. Schliesslich habe der Beschwerdeführer von sich aus die Therapie abgebrochen.
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2. a) Der Beschwerdeführer macht geltend, es habe zwischen ihm und der Beschwerdegegnerin 2 keine Abhängigkeit im Sinne von Art. 197 Abs. 1 aStGB bestanden. Die Beschwerdegegnerin 2 habe schon vor Beginn ihrer Einzelanalyse von seiner unorthodoxen Behandlungsform, bei der es zum Berühren der Brüste und allenfalls zum Geschlechtsverkehr habe kommen können, Kenntnis erlangt. Ausserdem habe er auch anlässlich der mehrere Jahre dauernden ![]() | 6 |
b) Die Vorinstanz bejaht ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin 2. Dieses ergebe sich aus ihren konkreten und anschaulichen Aussagen, wonach sie aufgrund der therapeutischen Beziehung nicht in der Lage gewesen sei, sich dem Ansinnen des Beschwerdeführers zu widersetzen und sich sofort aus der Therapie zu lösen. Der Beschwerdeführer habe systematisch auf den sexuellen Kontakt mit der Beschwerdegegnerin 2 hingearbeitet. Er habe ihre Widerstände stets mit ihrer angeblichen sexuellen Problematik verknüpft und, wenn sie abgelehnt habe, ihre Fraulichkeit in Frage gestellt. Damit habe er sie einem unausweichlichen Druck und starken Selbstzweifeln ausgesetzt.
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c) aa) Gemäss Art. 197 Abs. 1 aStGB macht sich schuldig, wer von einer Frau durch Missbrauch ihrer Notlage oder ihrer durch ein Amts- oder Dienstverhältnis oder auf ähnliche Weise begründeten Abhängigkeit den Beischlaf erlangt.
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bb) Die Vorinstanz hat in Übereinstimmung mit dem Bezirksgericht Unterrheintal zu Recht Art. 197 Abs. 1 aStGB als milderes Recht angewendet. Dies wird vom Beschwerdeführer nicht beanstandet.
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cc) Nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz besteht zwischen einem Psychotherapeuten und seiner Klientin ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne von Art. 197 Abs. 1 aStGB (vgl. zum neuen Recht gemäss Art. 193 Abs. 1 StGB: JENNY, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 4. Band: Delikte gegen die sexuelle Integrität und die Familie, Art. 193 N. 9; REHBERG, Strafrecht III, 7. Aufl., Zürich 1997, S. 405; TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 193 N. 2; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, 5. Aufl., Bern 1995, § 7 N. 50; CORNELIA KRANICH, Rechtliche Aspekte zum Therapiemissbrauch, in: Plädoyer 6/1992, S. 38 f. Ziff. 2).
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In der Fachliteratur wird einhellig angenommen, dass in der Psychotherapie ein intensives Vertrauensverhältnis zwischen Therapeut und Klient entsteht. Dies liegt schon darin begründet, dass psychisch Leidende sich in aller Regel in einer Lage befinden, die sie mit eigenen Kräften nicht glauben meistern zu können, und auf fachkompetente Hilfe hoffen. In der Psychotherapie, die in der Regel in einer exklusiven Zweierbeziehung durchgeführt wird, vertrauen sie ![]() | 11 |
Verständnis des Problems, in: CLAUDIA HEYNE, a.a.O., S. 33; CORNELIA KRANICH, a.a.O., S. 39; BARBARA HEIMANNSBERG, Gleichheit und Differenz, in: Macht und Machtmissbrauch in der Psychotherapie, hrsg. von CHRISTOPH J. SCHMIDT-LELLEK und BARBARA HEIMANNSBERG, Köln 1995, S. 10 f., 14).
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In der Literatur wird denn auch nachdrücklich betont, jede therapeutische Beziehung lebe von der grundlegenden Voraussetzung, dass Patienten darauf vertrauen können, dass die Grenzen gewahrt bleiben und dass der Therapeut sie schützt und nicht eigennützig agiert. Dabei trägt allein der Behandelnde die Verantwortung für den therapeutischen Prozess mit allen notwendigen Schutzfunktionen. Durch sexuelle Übergriffe wird das tiefe emotionale Abhängigkeitsverhältnis und die besondere Vertrauensstellung des Therapeuten ausgenützt. Jede sexuelle Beziehung innerhalb einer Psychotherapie, insbesondere zwischen einem männlichen Therapeuten und seiner ![]() | 13 |
Die Annahme eines Abhängigkeitsverhältnisses im Sinne von Art. 197 Abs. 1 aStGB durch die Vorinstanz verletzt somit Bundesrecht nicht.
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Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, führt zu keinem anderen Ergebnis. Namentlich stehen Bildungsniveau und Alter der Beschwerdegegnerin 2 einem Abhängigkeitsverhältnis nicht entgegen, ist doch jeder therapeutischen Beziehung ein besonderes Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Behandelndem und Klient bzw. Klientin inhärent. Die persönlichen Verhältnisse der Betroffenen vermögen daran grundsätzlich nichts zu ändern. Wenn der Beschwerdeführer sodann vorbringt, es sei unmöglich, während mehrerer Jahre eine Abhängigkeit aufrechtzuerhalten, verkennt er offensichtlich die Natur der psychotherapeutischen Beziehung zwischen Behandelndem und Patient. Ferner kann der Beschwerdeführer auch aus der angeblichen Aufklärung der Beschwerdegegnerin 2 über seine unorthodoxen Therapiemethoden nichts für seinen Standpunkt ableiten. Wenn er in diesem Zusammenhang ausführt, die Beschwerdegegnerin 2 habe selbst den Wunsch geäussert, sie möchte den Beischlaf vollziehen, widerspricht er im übrigen den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz. Zwar trifft zu, dass der Tatbestand des Missbrauchs der Abhängigkeit einer ![]() | 15 |
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c) aa) Nach Art. 9 Abs. 1 OHG entscheidet das Strafgericht auch über die Zivilansprüche des Opfers, solange der Beschuldigte nicht freigesprochen oder das Verfahren nicht eingestellt ist. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass allein bei Zuständigkeit des Strafrichters zu einer materiellen Beurteilung eines strafbaren Verhaltens im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG auch die sachliche Zuständigkeit zur Beurteilung der Zivilforderung des Opfers gegeben ist (GOMM/STEIN/ZEHNTNER, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Art. 9 N. 4). Die Bestimmung besagt indes nur, dass das Opfer bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens nicht mehr gestützt auf das OHG die Beurteilung seiner Zivilforderung im Strafurteil verlangen kann. Dass es dem Strafgericht von Bundesrechts wegen verwehrt sei, die Zivilforderung des Opfers bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens zu beurteilen, und es dieselbe in diesen Fällen auf den Zivilweg verweisen muss, lässt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers der genannten Bestimmung nicht entnehmen (anders offenbar GOMM/STEIN/ZEHNTNER, a.a.O., Art. 9 N. 3). Dies stimmt auch mit dem Zweckgedanken von Art. 1 Abs. 1 OHG überein, nach welchem mit dem OHG den Opfern von ![]() | 18 |
Die Vorinstanz hat demnach Art. 9 Abs. 1 OHG nicht verletzt.
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bb) Eine allfällige Verletzung von Art. 59 Abs. 1 BV kann im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht überprüft werden. Im übrigen könnte sich der Beschwerdeführer gar nicht auf die Garantie des Wohnsitzrichters berufen, da er nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz seinen Wohnsitz vor Einreichung der Zivilklage nach Frankreich verlegt hat und mithin über keinen schweizerischen Wohnsitz mehr verfügt.
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cc) Bei dieser Sachlage hat die Vorinstanz ihre Zuständigkeit zu Recht auch auf Art. 113 IPRG abgestützt. Danach kann beim schweizerischen Gericht am Erfüllungsort geklagt werden, wenn der Beklagte weder Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt noch eine Niederlassung in der Schweiz hat, die Leistung aber in der Schweiz zu erbringen ist. Da der Beschwerdeführer seine Praxis in zwei Ortschaften des Kantons St. Gallen führte, die Therapie also in der Schweiz durchgeführt wurde, hat die Vorinstanz die örtliche Zuständigkeit zu Recht bejaht. Ob sie auch sachlich zuständig war, kann im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht überprüft werden, da die sachliche Zuständigkeit keine Frage des Bundesrechts ist. Insoweit kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
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