![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. April 1998 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. gegen H. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Fahrlässige Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238 Abs. 2 StGB); erhebliche Gefährdung von Leib und Leben oder von fremdem Eigentum. | |
Sachverhalt | |
1 | |
![]() | 2 |
B.- Das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden sprach H. am 29. Mai 1997 der fahrlässigen Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238 Abs. 2 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von 500 Franken, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr.
| 3 |
Das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden sprach H. auf dessen Appellation hin am 24. November 1997 von Schuld und Strafe frei.
| 4 |
C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung von H. wegen fahrlässiger Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238 Abs. 2 StGB) an die Vorinstanz zurückzuweisen.
| 5 |
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
| 6 |
aus folgenden Erwägungen: | |
1. Wer vorsätzlich den Eisenbahnverkehr hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, namentlich die Gefahr eines Zusammenstosses oder einer Entgleisung herbeiführt, wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis bestraft (Art. 238 Abs. 1 StGB). Handelt der Täter fahrlässig und werden dadurch Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum erheblich gefährdet, so ist die Strafe Gefängnis oder Busse (Art. 238 Abs. 2 StGB). Die Straftat der Störung des Eisenbahnverkehrs ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die bei solchen Delikten vorausgesetzte Gefahr ist gegeben, ![]() | 7 |
8 | |
Dass der Beschwerdegegner durch sein Verhalten sich selbst und die beiden übrigen Insassen seines Personenwagens allenfalls einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben aussetzte und dass sein Fahrzeug total beschädigt wurde, ist unter dem Gesichtspunkt von ![]() | 9 |
3. a) Die Vorinstanz hält unter Hinweis auf BGE 116 IV 44 E. 1 zunächst fest, dass eine Kollision mit einer in Bewegung befindlichen Eisenbahn immer auch eine Gefährdung des Eisenbahnverkehrs darstelle, da in aller Regel Sachschaden entstehe und allenfalls durch eine Schnellbremsung Passagiere verletzt werden können. Daraus ergebe sich indessen, wie das Bundesgericht im zitierten Entscheid erkannt habe, nicht ohne weiteres auch eine erhebliche Gefährdung von Leib und Leben oder fremdem Eigentum. Die Vorinstanz kommt abweichend von der ersten Instanz zum Schluss, dass die Schnellbremsung, welche der Zugführer infolge des Fehlverhaltens des Beschwerdegegners habe einleiten müssen, keine erhebliche Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB geschaffen habe. Zur Begründung hält sie zunächst fest, in der Untersuchung seien keine konkreten Hinweise namhaft gemacht worden, wonach etwa stehende Bahnpassagiere oder allenfalls Passagiere, welche sich bereits zum Aussteigen bereit gemacht hätten, durch den Vorfall in unmittelbare Gefahr geraten seien. Sodann weist die Vorinstanz darauf hin, dass der Experte aus den Daten des Restwegschreibers des Triebwagens eine (mittlere) Bremsverzögerung von 0,93 m/sec2 errechnet habe. Die bei einer solchen Bremsverzögerung auf die Zugspassagiere wirkenden Kräfte vermögen nach der Auffassung der Vorinstanz keine erhebliche Gefährdung von Leib und Leben, mithin nicht die naheliegende Möglichkeit einer Verletzung, zu begründen. In einem andern, parallel durchgeführten Strafverfahren habe der dort herbeigezogene Experte eine Verzögerung von 0,7 m/sec2 für das Anhalten eines Zuges aufgrund einer Auskunft des zuständigen Bundesamtes als zumutbar bezeichnet. Der Experte habe zudem auf eigene Auswertungen in bezug auf Busse der städtischen Verkehrsbetriebe verwiesen, wobei sich bei normalen Halten vor Haltestellen bei Geschwindigkeiten bis zu 20 km/h Verzögerungswerte von 0,4 bis 0,8 m/sec2 und bei Geschwindigkeiten bis zu 50 km/h Verzögerungswerte von bis zu 1,5 m/sec2 ergeben hätten. Auch wenn im vorliegenden Fall in der letzten Phase des Abbremsens noch ein, allerdings nicht aktenmässig ![]() | 10 |
b) Die Beschwerdeführerin wendet ein, massgebend für die Beantwortung der Frage nach dem Ausmass der konkreten Gefährdung seien nicht allein die mittlere Bremsverzögerung, sondern vor allem auch die Extremwerte, "wie sie eben bei einer derart massiven Kollision und der notwendigen Schnellbremsung entstehen". Der Fahrtenschreiber vermöge durchaus zu belegen, "dass bei derartigen Kollisionen höhere Verzögerungswerte auftreten, welche eine erhebliche Gefährdung für die Bahnpassagiere bedeuten können". Eine Gefährdung der Passagiere habe vor allem auch deshalb bestanden, "weil mit dem Bremsvorgang und der heftigen Kollision eine ruckartige Bewegung erfolgte, also beispielsweise die Puffer ineinandergeschoben wurden, sich wieder lösten und einen (zusätzlichen) Umkehrschub bewirkten". Es könne wohl kaum angenommen werden, dass Zugspassagiere mit derartigen Überraschungen rechnen müssen. Bei einer derart heftigen Kollision kurz vor der Bahnhofseinfahrt liege angesichts der vom Fahrtenschreiber aufgezeichneten Verzögerungswerte immer eine erhebliche Gefährdung der Bahnbenützer vor. Entscheidend sei, dass "bei Zusammenwirken von Schnellbremsung und heftiger Kollision für kurze Momente Verzögerungswerte und unberechenbare Bewegungen auftreten, welche die Sicherheit der Passagiere erheblich gefährden, beispielsweise durch Stürze, herunterfallende Gepäckstücke, Schläge oder gar durch eine Entgleisung des Zuges". Bei einer derartigen Kollision bestehe immer auch die Gefahr einer Entgleisung des Zuges. Es sei lediglich glücklichen Umständen zu verdanken, dass der Personenwagen beiseitegeschoben worden sei. Der hier zu beurteilende Fall sei durchaus mit dem in BGE 87 IV 87 ff. beurteilten vergleichbar, dessen Erwägungen auch hier gültig seien. Indem die ![]() | 11 |
c) Mit diesen Ausführungen vermag die Beschwerdeführerin nicht darzulegen, dass und inwiefern die Vorinstanz von einem unzutreffenden Begriff der erheblichen Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB ausgegangen sei respektive in Anbetracht der festgestellten Tatsachen eine erhebliche Gefährdung zu Unrecht verneint habe. Zwar wird im Falle einer sogenannten Schnellbremsung und insbesondere bei einem tatsächlich erfolgten Zusammenstoss eine konkrete Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 1 StGB in aller Regel zu bejahen sein (siehe BGE 116 IV 44 E. 1 S. 45; REHBERG, Strafrecht IV, 2. Aufl. 1996, S. 84; TRECHSEL, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 238 N. 7). Art. 238 Abs. 2 StGB setzt aber eine erhebliche Gefährdung voraus. Eine Schnellbremsung und auch eine Kollision begründen, wie BGE 116 IV 44 E. 1 S. 45 ebenfalls klarstellt, nicht eo ipso eine erhebliche Gefährdung im Sinne dieser Bestimmung. Massgebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls (REHBERG, op.cit., S. 85, mit Hinweis auf die technischen Fortschritte; vgl. auch bereits BGE 93 I 75 E. 2 S. 79 ff.).
| 12 |
Die Antwort auf die Frage, ob nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit einer Verletzung der geschützten Rechtsgüter im erforderlichen Ausmass bestanden habe, beruht zwar weitgehend auf Mutmassungen. Dabei ist aber von den festgestellten tatsächlichen Ereignissen auszugehen und dürfen nicht auch darüber abweichende Spekulationen angestellt werden. Dies verkennt die Beschwerdeführerin, wenn sie beispielsweise stets von einer "heftigen" Kollision ausgeht und annimmt, dass "mit dem Bremsvorgang und der heftigen Kollision eine ruckartige Bewegung erfolgte, also beispielsweise die Puffer ineinandergeschoben wurden, sich wieder lösten und einen (zusätzlichen) Umkehrschub bewirkten". Damit geht die Beschwerdeführerin in unzulässiger Weise von einem Sachverhalt aus, der im angefochtenen Urteil nicht festgestellt worden ist. Die Kollision war zwar aus der Sicht des Beschwerdegegners heftig, da sein Personenwagen von der Zugskomposition weggeschoben und dabei total beschädigt wurde, wobei die Fahrzeuginsassen aber unverletzt blieben. Dies bedeutet indessen nicht eo ipso, dass der Zusammenstoss auch aus der massgeblichen Sicht der Zugspassagiere "heftig" gewesen sei und sich Rucke sowie Umkehrschübe ereignet hätten, wodurch die Passagiere erheblich gefährdet worden seien.
| 13 |
![]() | 14 |
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin ist die Vorinstanz nicht allein von der vom Experten errechneten durchschnittlichen Bremsverzögerung von 0,93 m/sec2 ausgegangen. Sie hat vielmehr auch höhere Verzögerungswerte und einen allfälligen, aktenmässig jedoch nicht nachgewiesenen Ruck kurz vor dem Stillstand mit in Betracht gezogen und dargelegt, weshalb die in diesem Fall auf die Passagiere wirkenden Kräfte keine erhebliche Gefährdung begründeten.
| 15 |
d) Aufgrund der im angefochtenen Urteil festgestellten Tatsachen durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht eine erhebliche Gefährdung im Sinne von Art. 238 Abs. 2 StGB verneinen. Dass im Rahmen der Strafuntersuchung allenfalls Tatsachen betreffend den Verlauf der Schnellbremsung und die Kollision hätten ermittelt werden können, bei deren Berücksichtigung eine erhebliche Gefährdung anzunehmen gewesen wäre, ist unerheblich. Massgebend ist allein die festgestellte Sachlage.
| 16 |
17 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |