![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
![]() | ![]() |
37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. Juni 1998 i.S. J. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 35 Abs. 1 SVG, Art. 8 Abs. 3 VRV und Art. 36 Abs. 5 VRV. Wird auf einer Autobahn die Aufhebung des rechten Fahrstreifens angezeigt, beginnt die Phase des Eingliederns der Fahrzeuge in die weitergeführte Fahrspur. | |
Sachverhalt | |
![]() ![]() | 1 |
Gegen diesen Entscheid führt J. sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde je mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung (Freispruch von Schuld und Strafe) an die Vorinstanz zurückzuweisen.Das Obergericht des Kantons Aargau hat auf Gegenbemerkungen, die Staatsanwaltschaft auf Vernehmlassung verzichtet.
| 2 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
3 | |
2. a) Das Bezirksgericht hatte angenommen, die gemäss Art. 27 SVG zu beachtenden Signale und Markierungen seien nur dann verbindlich, wenn sie den Vorschriften der Signalisationsverordnung (SSV; SR 741.21) entsprächen (Art. 101 Abs. 1 SSV). Das Triopan-Signal «Spurabbau rechts in 1000 Metern» sei in der SSV nicht vorgesehen und entfalte daher keine rechtlich bindende Wirkung. Es künde lediglich eine zukünftige Gefahr an. Die Missachtung dieses Signals sei für sich allein nicht strafbar. Hingegen sei das Verhalten des Beschwerdeführers als verbotenes Rechtsvorbeifahren zu qualifizieren.Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, im zu beurteilenden Fall könne nicht von parallelem Kolonnenverkehr ausgegangen werden, ![]() | 4 |
b) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 35 Abs. 1 SVG sowie der Art. 8 Abs. 3 und 36 Abs. 5 VRV. Die Vorinstanz habe ihr Urteil allein auf den Wortlaut der genannten VRV-Bestimmungen abgestützt, ohne die Besonderheit der konkreten Situation zu berücksichtigen. Indem er auf einer offenen Fahrspur aufschloss, nachdem die vor ihm fahrenden Fahrzeuglenker die Fahrspur gewechselt hatten, und sich schliesslich vor dem effektiven Spurabbau in die linke Kolonne einreihte, habe er sich vollkommen verkehrsadäquat verhalten. Werde eine zweispurige Fahrbahn auf die linke Fahrspur verlegt, müsse es möglich und gestattet sein, auf der rechten Fahrspur aufzuschliessen, auch wenn dabei die formellen Anforderungen an eine Kolonne gemäss VRV (noch) nicht erfüllt seien.
| 5 |
3. a) Nach Art. 35 Abs. 1 SVG ist rechts zu kreuzen und links zu überholen, woraus sich ein Verbot des Rechtsüberholens ergibt. Ein Überholen liegt vor, wenn ein schnelleres Fahrzeug ein in gleicher Richtung langsamer vorausfahrendes einholt, an ihm vorbeifährt und vor ihm die Fahrt fortsetzt, wobei weder das Ausschwenken noch das Wiedereinbiegen eine notwendige Voraussetzung des Überholens bilden (BGE 114 IV 55 E. 1 mit Hinweisen). Auf Autobahnen und Autostrassen darf der Fahrzeuglenker gemäss Art. 36 Abs. 5 VRV beim Verkehr in parallelen Kolonnen rechts an anderen Fahrzeugen vorbeifahren (vgl. auch Art. 8 Abs. 3 VRV). Dabei ist jedoch nur das Rechtsvorbeifahren an anderen Fahrzeugen gestattet; das Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen ist gemäss Art. 8 Abs. 3 Satz 2 VRV ausdrücklich untersagt (BGE 115 IV 244 E. 2). Nach der Rechtsprechung darf der Fahrzeuglenker, der zum Zweck des Rechtsabbiegens rechts einspurt, rechts an geradeausfahrenden Verkehrsteilnehmern vorbeifahren ![]() | 6 |
Vereinigen sich zwei auf gleicher Fahrbahn nebeneinander bestehende Geradeausspuren zu einer sich in gleicher Richtung fortsetzenden Spur, sind die Fahrzeuge in beiden Streifen gleichberechtigt (BGE 96 IV 124 E. 1, S. 128 f.). Das Einfügen in die weitergeführte Fahrspur ist weder ein Wechsel des Fahrstreifens im Sinne von Art. 34 Abs. 3 oder 44 Abs. 1 SVG noch ein Einspuren gemäss Art. 36 Abs. 1 SVG und 13 Abs. 1 VRV.Auf Autobahnen ist somit beim Fahren in parallelen Kolonnen das blosse Rechtsvorbeifahren an anderen Fahrzeugen sowie der Wechsel des Fahrstreifens, wenn dies ohne Behinderung des übrigen Verkehrs möglich ist, gestattet (BGE 115 IV 244 E. 3). Paralleler Kolonnenverkehr setzt nach der Rechtsprechung dichten Verkehr auf den Fahrspuren der entsprechenden Fahrtrichtung, mithin ein längeres Nebeneinanderfahren von mehreren sich in gleicher Richtung bewegenden Fahrzeugreihen, voraus (BGE a.a.O., E. 3a).
| 7 |
b) Wie bei der Aufhebung eines Fahrstreifens im einzelnen zu verfahren ist, wird vom Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Nach den verbindlichen und von der Vorinstanz willkürfrei festgestellten Tatsachen herrschte im zu beurteilenden Fall auf der rechten Fahrspur der Autobahn kein Kolonnenverkehr und fuhr der Beschwerdeführer als Einzelfahrer an der stockenden Fahrzeugkolonne auf dem linken Fahrstreifen vorbei. Er kann sich daher, wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, nicht auf die Bestimmungen von Art. 8 Abs. 3 und 36 Abs. 5 VRV berufen. Dennoch verstösst sein Verhalten entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht gegen das Verbot des Rechtsüberholens gemäss Art. 35 Abs. 1 SVG. Dies ergibt sich aus der Berücksichtigung der dem Fall zugrundeliegenden konkreten Situation.Auf dem fraglichen Autobahnstück wurde wegen eines Unfalls bei der Unfallstelle die rechte Fahrspur aufgehoben. Dies wurde mittels Triopan-Signalen frühzeitig angezeigt. Nachdem mit ersten Tafeln die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit signalisiert wurde, machte ein folgendes Faltsignal «Anzeige der Fahrstreifen» (Art. 59 SSV; Signal 4.77) auf einen Spurabbau «in 1000 Metern» aufmerksam. Wie das Bezirksgericht zu Recht ![]() | 8 |
Fahrzeuge, die sich noch nicht eingegliedert haben, dürfen ihre Fahrt jedoch nicht ungehindert fortsetzen, sondern müssen auf die übrigen Verkehrsteilnehmer Rücksicht nehmen und ihre Geschwindigkeit den veränderten Verhältnissen anpassen (Art. 32 Abs. 1 SVG) und gegebenenfalls erheblich herabsetzen. Dies ergibt sich daraus, dass die auf der aufzuhebenden Fahrspur verbleibenden Fahrzeuglenker bis zum Ende der Spur sich auf die Eingliederung in die andere Fahrspur konzentrieren müssen und dabei andere Fahrzeuge nicht behindern dürfen. Ein eigentliches Vorpreschen auf der rechten Spur mit dem Zweck, sich möglichst weit vorn in die Kolonne einzuordnen, ist daher nicht zulässig. Ebenso gilt hier das für den parallelen Kolonnenverkehr statuierte Verbot des Rechtsüberholens durch Ausschwenken und anschliessendes Wiedereinbiegen (Art. 8 Abs. 3 VRV) analog. Sofern ein Fahrzeuglenker, der sich nicht sogleich in die stockende Kolonne einfügt, sich jedoch als Einzelfahrer, in angemessener Geschwindigkeit und vorsichtig auf seiner Fahrspur weiterbewegt, bis er in den linken Fahrstreifen einbiegen kann, macht er sich nicht des Rechtsüberholens schuldig, ![]() | 9 |
Da dem Beschwerdeführer eine der gegebenen Verkehrssituation angepasste Fahrweise attestiert wurde, hat er sich somit nicht des Rechtsüberholens strafbar gemacht. Das angefochtene Urteil verletzt daher Bundesrecht und die Beschwerde erweist sich als begründet.
| 10 |
11 | |
12 | |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |