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38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. August 1998 i.S. Bundesanwaltschaft gegen A., B. und C. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 32 Abs. 4 lit. d, Art. 61 Abs. 1 lit. f und Abs. 2 aUSG; Art. 4 Abs. 2 der Verordnung über Getränkeverpackungen; Art. 2 und 4 des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse. |
Diese Pflicht gilt auch nach dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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Das Obergericht des Kantons Bern sprach A., B. und C. am 7. April 1998 von den Anschuldigungen der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über den Umweltschutz und der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb frei.Die Bundesanwaltschaft führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei insoweit aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen, als A., B. und C. von der Anschuldigung der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über den Umweltschutz freigesprochen worden sind.
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A., B. und C. beantragen die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
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b) Strafbar nach Art. 61 Abs. 1 lit. f aUSG ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig (siehe Art. 61 Abs. 2 aUSG) Vorschriften über Abfälle verletzt, die aufgrund der in dieser Bestimmung genannten Delegationsnormen, Art. 32 Abs. 3 und Abs. 4 lit. a-e aUSG, erlassen worden sind. Nach Art. 32 Abs. 3 aUSG erlässt der Bundesrat technische und organisatorische Vorschriften über Abfallanlagen, insbesondere über Deponien. Nach Art. 32 Abs. 4 aUSG kann der Bundesrat
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- vorschreiben, dass bestimmte Abfälle wie Gifte, Glas und Altpapier gesondert zur Verwertung, Unschädlichmachung oder Beseitigung übergeben werden (lit. a);
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- vorschreiben, dass bestimmte Abfälle, namentlich Gifte, unschädlich gemacht werden (lit. b); - vorschreiben, dass bestimmte Abfälle verwertet werden, wenn dies wirtschaftlich tragbar ist und die Umwelt weniger belastet als die Beseitigung (lit. c);
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- die Verkäufer bestimmter Arten von Produkten oder Verpackungen, wie Flaschen oder Quecksilberbatterien und -thermometer, verpflichten, solche, allenfalls gegen Rückerstattung eines Pfandes, zurückzunehmen (lit. d);
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- Verpackungen von Massengütern verbieten, wenn sie zu unverhältnismässigen Abfallmengen führen oder die Verwertung der Abfälle erheblich erschweren (lit. e).
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Gemäss Art. 4 Abs. 2 der Verordnung über Getränkeverpackungen vom 22. August 1990 (VGV; SR 814.017) dürfen Händler Getränke an Endverbraucher nur in Einwegverpackungen abgeben, auf denen das Verpackungsmaterial und dessen Eignung zur Verwertung ![]() | 11 |
c) Auf den von den Beschwerdegegnern in der Schweiz vertriebenen 1,5 l-PET-Flaschen fehlt ein Hinweis auf deren Eignung zur Verwertung, d.h. deren Rezyklierbarkeit. Der Vermerk «non disperdere nell'ambiente», den ohnehin nicht jedermann versteht, stellt keinen solchen Hinweis dar. Allerdings wird auf den Flaschen immerhin das Verpackungsmaterial, PET, angegeben. Selbst wenn es in der Schweiz inzwischen zum Allgemeinwissen gehören sollte, dass PET-Flaschen rezyklierbar sind, vermöchte der Hinweis auf dieses Verpackungsmaterial allein den gemäss Art 4 Abs. 2 VGV zusätzlich erforderlichen Hinweis auf die Rezyklierbarkeit nicht zu ersetzen. Es kann angenommen werden, dass heute zahlreiche Endverbraucher in der Schweiz gerade auch dank des entsprechenden Hinweises um die Rezyklierbarkeit von PET-Flaschen wissen, und dieses Wissen soll auch künftigen Endverbrauchern in der Schweiz vermittelt werden. Zudem kann der ausdrückliche Hinweis auf die Rezyklierbarkeit durch Worte oder durch ein einprägsames Signet in gewissem Masse auch als Aufforderung an den Endverbraucher wirken, sich entsprechend dem vorhandenen Wissen zu verhalten und die PET-Flaschen der Wiederverwertung zuzuführen.
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d) Auch die Vorinstanz geht offenbar davon aus, dass die Beschwerdegegner an sich gegen Art. 4 Abs. 2 VGV verstiessen und die Missachtung dieser Vorschrift nach Art. 61 Abs. 1 lit. f aUSG strafbar ist. Dennoch hat sie die Beschwerdegegner vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Umweltschutzgesetz im Sinne von Art. 61 Abs. 1 lit. f aUSG freigesprochen. Art. 4 Abs. 2 VGV steht ![]() | 13 |
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a) Nach Auffassung der Vorinstanz ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 THG, dass eine sich als technisches Handelshemmnis auswirkende technische Vorschrift, die, wie Art. 4 Abs. 2 VGV, lediglich in einer bundesrätlichen Verordnung enthalten ist, nach dem Inkrafttreten des THG nicht mehr anwendbar sei. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
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aa) Das THG ist als Rahmenerlass konzipiert. Es stellt in Rechnung, dass das Problem der technischen Handelshemmnisse nicht allein auf horizontaler Ebene durch einzelne allgemein anwendbare ![]() | 16 |
bb) Das THG enthält keine Vorschriften betreffend Getränkeverpackungen. Diese sind mithin nicht Regelungsgegenstand des THG. Die Frage des rechtlichen Vorrangs unter konkurrierenden Vorschriften kann sich daher gar nicht stellen. Wohl mag sich Art. 4 Abs. 2 VGV als technisches Handelshemmnis auswirken und bezweckt das THG gerade, im Regelungsbereich des Bundes solche Handelshemmnisse zu vermeiden, zu beseitigen oder abzubauen (Art. 1 THG). Das bedeutet indessen nicht, dass in Bezug auf den konkreten Regelungsgegenstand betreffend die erforderlichen Angaben auf Getränkeverpackungen zwischen Art. 4 Abs. 2 VGV einerseits und dem THG andererseits ein Widerspruch bestehe und ![]() | 17 |
cc) Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob entsprechend den Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde Art. 4 Abs. 2 VGV inhaltlich vollständig und in seinem Wortlaut weitgehend Art. 27 USG (alte und neue Fassung) betreffend «Gebrauchsanweisung» bzw. «Information der Abnehmer» beim Inverkehrbringen von Stoffen entspreche, welcher als abweichende oder weitergehende Bestimmung auf Gesetzesstufe einen Vorrang im Sinne von Art. 2 Abs. 2 THG begründe.
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b) Auch aus Art. 4 Abs. 3 THG ergibt sich entgegen den weiteren Erwägungen im angefochtenen Urteil nicht, dass Art. 4 Abs. 2 VGV seit dem Inkrafttreten des THG nicht mehr anwendbar sei.
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aa) Das THG enthält in Art. 4-6 Grundsätze über die «Rechtsetzung im Bereich der technischen Vorschriften». Technische Vorschriften werden so ausgestaltet, dass sie sich nicht als technische Handelshemmnisse auswirken (Art. 4 Abs. 1 THG). Sie werden zu diesem Zweck auf die technischen Vorschriften der wichtigsten Handelspartner der Schweiz abgestimmt. Dabei wird darauf geachtet, dass die technischen Vorschriften möglichst einfach und transparent sind und zu einem möglichst geringen Verwaltungs- und Vollzugsaufwand führen (Art. 4 Abs. 2 THG). Abweichungen vom Grundsatz von Art. 4 Abs. 1 THG sind nur zulässig, soweit überwiegende öffentliche Interessen sie erfordern und sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels darstellen (Art. 4 Abs. 3 lit. a und b THG). Interessen nach Abs. 3 lit. a sind unter anderem der Schutz der natürlichen Umwelt (Art. 4 Abs. 4 lit. c THG). Diese Bestimmungen berühren die Gültigkeit von bestehenden Produktevorschriften nicht. Sie richten sich an die gesetzgebenden Behörden und betreffen den Erlass und die Änderung von technischen Vorschriften in der Zukunft. Die gesetzgebenden Behörden sollen in der Zukunft die technischen Vorschriften grundsätzlich auf diejenigen der wichtigsten Handelspartner der Schweiz abstimmen, so dass sie sich nicht als technische Handelshemmnisse auswirken. Die gesetzgebenden Behörden können aber auch in der Zukunft unter den in Art. 4 Abs. 3 und 4 THG genannten Voraussetzungen von diesem Grundsatz abweichen.Dass die in Art. 4 ff. THG festgelegten Grundsätze lediglich die Rechtsetzung in der Zukunft betreffen, ergibt sich auch aus den Ausführungen in der bundesrätlichen Botschaft. Danach richten sich ![]() | 20 |
bb) Daher stellt sich die Frage nicht, ob der vor dem Inkrafttreten des THG erlassene Art. 4 Abs. 2 VGV, wonach u.a. die Eignung des Verpackungsmaterials zur Verwertung anzugeben ist, sich überhaupt im Sinne von Art. 4 Abs. 1 THG als technisches Handelshemmnis auswirkt und gegebenenfalls durch überwiegende öffentliche Interessen des Umweltschutzes im Sinne von Art. 4 Abs. 3 und 4 lit. c THG erfordert wird.
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cc) Bei diesem Ergebnis kann auch offen bleiben, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Kognition der Strafrichter prüfen kann, ob eine nach dem Inkrafttreten des THG erlassene oder abgeänderte technische Verordnungsvorschrift sich im Sinne von Art. 4 Abs. 1 THG als technisches Handelshemmnis auswirkt und gegebenenfalls ![]() | 22 |
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Art. 4 Abs. 2 VGV ist auch nach dem Inkrafttreten des THG am 1. Juli 1996 uneingeschränkt anwendbar. Art. 4 Abs. 2 VGV ist auch insoweit, als er einen Hinweis auf die Eignung zur Verwertung von Einwegverpackungen für Getränke vorschreibt, durch den im Ingress der VGV unter anderem genannten Art. 32 Abs. 4 lit. d aUSG gedeckt. Die Missachtung dieser Vorschrift ist gemäss Art. 61 Abs. 1 lit. f aUSG strafbar.
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Indem die Beschwerdegegner an Endverbraucher (ungesüsstes) Mineralwasser in Einwegverpackungen abgaben, auf denen zwar das Verpackungsmaterial (PET) angegeben war, aber ein Hinweis auf dessen Eignung zur Verwertung (Rezyklierbarkeit) fehlte, erfüllten sie den objektiven Tatbestand von Art. 61 Abs. 1 lit. f aUSG.
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