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38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20 Oktober 1999 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und Y. (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Schwere Körperverletzung (Art. 122 Abs. 1 StGB); Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231 Ziff. 1 StGB); Vorsatz (Art. 18 Abs. 2 StGB). Übertragung des HI-Virus durch ungeschützten Sexualkontakt. |
Vorsatz im konkreten Fall bejaht (E. 3). | |
Sachverhalt | |
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In der Zeit zwischen September 1991 und Ende Dezember 1991 vollzog X. mit Z. etwa fünfmal, wovon viermal ungeschützt, den Geschlechtsverkehr. Er verschwieg ihr seine ihm seit dem 2. Juli 1990 bekannte HIV-Infektion. Z. wurde nicht infiziert.
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Das Geschworenengericht des Kantons Zürich sprach X. am 9. November 1998 schuldig
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- des Verbreitens menschlicher Krankheiten im Sinne von Art. 231 Ziff. 1 Abs. 1 StGB sowie des mehrfachen vollendeten Versuchs dazu im Sinne von Art. 231 Ziff. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB und verurteilte ihn deshalb sowie wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand (Art. 91 Abs. 1 SVG; SR 741.01) zu drei Jahren Gefängnis.
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Das Geschworenengericht stellte sodann fest, dass X. grundsätzlich verpflichtet ist, Y. für die Folgen der schuldhaft verursachten Ansteckung mit dem HI-Virus Schadenersatz in voller Quote zu bezahlen, und es verwies diesen Anspruch zur Beurteilung in quantitativer Hinsicht auf den Weg des Zivilprozesses. Es verpflichtete X., der Geschädigten Y. Fr. 80'000.-- und der Tochter A. Fr. 20'000.-, je zuzüglich Zins zu 5% seit dem 1. Januar 1994, als Genugtuung zu bezahlen.
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X. beantragt mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde die Aufhebung des Urteils.
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Aus den Erwägungen: | |
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2. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er durch den Y. erwiesenermassen infizierenden ungeschützten Geschlechtsverkehr die objektiven Tatbestände der schweren Körperverletzung und des Verbreitens menschlicher Krankheiten erfüllt habe. Er macht einzig geltend, dass ihm entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht ![]() | 9 |
a) Gemäss Art. 231 StGB wird wegen Verbreitens menschlicher Krankheiten mit Gefängnis von einem Monat bis zu fünf Jahren bestraft, wer vorsätzlich eine gefährliche übertragbare menschliche Krankheit verbreitet (Ziff. 1 Abs. 1). Hat der Täter aus gemeiner Gesinnung gehandelt, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünf Jahren (Ziff. 1 Abs. 2). Handelte der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Gefängnis oder Busse (Ziff. 2).
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aa) Die HIV-Infektion ist schon als solche, mithin bereits in der so genannten symptomlosen Phase II, eine gefährliche Krankheit im Sinne von Art. 231 StGB (BGE 116 IV 125, mit Hinweisen; SCHULTZ, ZBJV 128/1992 S. 12; REHBERG, Strafrecht IV, 2. Aufl. 1996, S. 63; KARL-LUDWIG KUNZ, AIDS und Strafrecht: Die Strafbarkeit der HIV-Infektion nach schweizerischem Recht, ZStrR 107/1990 S. 39 ff., 45 f.). Die HIV-Infektion wird auch sozialversicherungsrechtlich als Krankheit betrachtet (BGE 116 V 239 E. 3; BGE 124 V 118 E. 5 und 6).
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bb) Wer als HIV-infizierte Person etwa durch ungeschützten Geschlechtsverkehr das Virus auf einen andern Menschen überträgt, "verbreitet" im Sinne von Art. 231 StGB eine Krankheit, da zumindest die (ausreichende) abstrakte Gefahr besteht, dass die angesteckte Person ihrerseits auf irgendwelchen Wegen weitere Menschen infizieren könnte (REHBERG, op.cit., S. 63; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht Bes. Teil II, 4. Aufl. 1995, § 31 N. 5; differenzierend KARL-LUDWIG KUNZ, op.cit., S. 54 f.). Dass das HI-Virus nur übertragen werden kann, es sich aber nicht verbreitet, ist unerheblich (anderer Auffassung TRECHSEL, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 231 StGB N. 8).
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b) Gemäss Art. 122 StGB wird wegen schwerer Körperverletzung mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wer vorsätzlich einen Menschen lebensgefährlich verletzt (Abs. 1); wer vorsätzlich den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines Menschen verstümmelt oder ein wichtiges Organ oder Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt (Abs. 2); wer vorsätzlich eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht (Abs. 3). Nach Art. 123 Ziff. 1 StGB wird, auf Antrag, bestraft, wer ![]() | 13 |
aa) Die HIV-Infektion ist schon als solche, mithin bereits in der symptomlosen Phase II, auch eine Körperverletzung im Sinne von Art. 122 ff. StGB. Umstritten ist jedoch, ob sie objektiv lediglich als einfache oder aber als schwere Körperverletzung zu qualifizieren ist. In BGE 116 IV 125 wurde die Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung im Sinne von Art. 122 StGB bestätigt. Doch hat der Kassationshof mangels diesbezüglicher Rügen die Tatbestandsmässigkeit nicht geprüft. Er hat lediglich entschieden, dass (im Fall einer HIV-Infektion durch ungeschützten Geschlechtsverkehr) zwischen den Tatbeständen von Art. 122 StGB und Art. 231 StGB gemäss der zutreffenden Auffassung der kantonalen Instanz Idealkonkurrenz bestehe und dass somit, entgegen der Meinung des Beschwerdeführers in jenem Verfahren, die schwere Körperverletzung durch die Verurteilung wegen Verbreitens menschlicher Krankheiten nicht konsumiert werde. Aus BGE 116 IV 125 geht auch nicht hervor, welche Tatbestandsvariante von Art. 122 StGB bzw. Art. 122 Ziff. 1 aStGB angenommen worden ist. Aus dem Gegenstand jenes Verfahrens bildenden kantonalen Urteil ergibt sich, dass die kantonale Instanz die HIV-Infektion als lebensgefährliche Verletzung (im Sinne von Art. 122 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB, entsprechend Art. 122 Abs. 1 StGB), eventualiter als andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit (im Sinne von Art. 122 Ziff. 1 Abs. 3 aStGB, entsprechend Art. 122 Abs. 3 StGB) qualifiziert hat.
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bb) Gemäss den Ausführungen der Vorinstanz hat die HIV-Infektion für den Gesundheitszustand des Betroffenen ausgesprochen schwerwiegende und irreversible Folgen. Die Gewissheit, mit einer zumindest möglicherweise tödlich verlaufenden Krankheit infiziert zu sein, führe beim Betroffenen zu einer Erschütterung des seelischen Gleichgewichts und in der Regel auch zu einer schweren reaktiven Depression. Die Kombinationstherapie stelle nicht nur hohe Anforderungen an die Disziplin des Patienten, sondern zeitige auch nicht unerhebliche Nebenwirkungen. Der HIV-Infizierte werde durch die Auswirkungen des Virus auf die körperliche und geistige Gesundheit, die auf diese Diagnose zurückzuführende soziale ![]() | 15 |
cc) Einzelne Autoren qualifizieren die HIV-Infektion als solche objektiv lediglich als einfache Körperverletzung, da keine der in Art. 122 StGB umschriebenen Tatbestandsvarianten erfüllt sei; denn die einzig in Betracht kommende lebensgefährliche Verletzung gemäss Art. 122 Abs. 1 StGB falle mangels der nach der Rechtsprechung erforderlichen Unmittelbarkeit der Lebensgefahr ausser Betracht (so insbesondere KARL-LUDWIG KUNZ, op.cit., S. 46 ff.; wohl auch STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht Bes. Teil I, 5. Aufl. 1995, § 3 N. 36 ff.). Andere Autoren qualifizieren die HIV-Infektion objektiv als schwere Körperverletzung, sei es als lebensgefährliche Verletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB (s. CORBOZ, Les principales infractions, 1997, art. 122 CP n. 8; s. auch REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 6. Aufl. 1994, S. 33), sei es als andere schwere Schädigung im Sinne von Art. 122 Abs. 3 StGB (TRECHSEL, op.cit., Art. 231 StGB N. 7), sei es ohne Bezeichnung einer bestimmten Tatbestandsvariante (SCHULTZ, op.cit., S. 12; CHRISTIAN HUBER, HIV-Infektion und AIDS-Erkrankung im Lichte des Art. 231 StGB sowie der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, SJZ 85/1989 S. 149 ff., 152).
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dd) Die Infektion mit dem HI-Virus führt - auch nach dem heutigen Kenntnisstand und bei Einsatz der heute verfügbaren Medikamente - nach ungewisser, relativ langer Zeit bei vielen Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Ausbruch der Immunschwäche AIDS und anschliessend mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode. Die HIV-Infektion ist damit lebensgefährlich. Allerdings darf nach der Rechtsprechung eine lebensgefährliche Körperverletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB nur angenommen werden, wenn die Verletzung zu einem Zustand geführt hat, in dem sich die Möglichkeit des Todes dermassen verdichtete, dass sie zur ernstlichen und dringlichen Wahrscheinlichkeit wurde ![]() | 17 |
Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die HIV-Infektion auch als andere schwere Schädigung der körperlichen und/oder geistigen Gesundheit im Sinne von Art. 122 Abs. 3 StGB qualifiziert werden kann und ob in diesem Zusammenhang auch eine aus der Kenntnisnahme des positiven Befunds resultierende schwere Depression samt deren Konsequenzen sowie die Nebenwirkungen einer medizinischen Behandlung mitberücksichtigt und dem Täter objektiv (und subjektiv) zugerechnet werden können.
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c) Indem der Beschwerdeführer die über seine HIV-Infektion nicht informierte Y. durch ungeschützten Geschlechtsverkehr erwiesenermassen mit dem HI-Virus infizierte, erfüllte er somit nach der zutreffenden, unangefochtenen Auffassung der Vorinstanz objektiv die Tatbestände des Verbreitens menschlicher Krankheiten (Art. 231 StGB) und der schweren Körperverletzung (Art. 122 StGB), wobei allerdings hinsichtlich der letzteren entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht die Tatbestandsvariante von Art. 122 Abs. 3 StGB, sondern die Tatbestandsvariante gemäss Art. 122 Abs. 1 StGB objektiv erfüllt ist.
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a) Gemäss den Ausführungen der Vorinstanz ist Eventualvorsatz gegeben, wenn der Täter bei seinem Handeln die Herbeiführung des ![]() ![]() | 21 |
b) Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz im Wesentlichen vor, sie habe in ihren Erwägungen aus seinem blossen Wissen um die Wahrscheinlichkeit bzw. um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung auf Eventualvorsatz geschlossen. Damit sei sie der Wahrscheinlichkeits- bzw. der Möglichkeitstheorie gefolgt. Die herrschende Rechtsprechung folge jedoch, allerdings mit gelegentlichen Ausnahmen, der Einwilligungstheorie, nach welcher die Vorstellung des Täters allein nicht ausreiche, sondern das Willenselement für die Annahme des Eventualvorsatzes entscheidend sei. Allein diese Theorie sei mit Art. 18 Abs. 2 StGB vereinbar. Nicht die Vorstellung, sondern der Wille sei das tragende Element auch des Eventualvorsatzes, zumal andernfalls kein Raum mehr für die bewusste Fahrlässigkeit bleibe. Die Wahrscheinlichkeitstheorie könne höchstens subsidiärer Ansatzpunkt für den Fall sein, dass die Sachverhaltsabklärungen keinen schlüssigen Beweis über den Willen des ![]() | 22 |
c) Eventualvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs bzw. die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 121 IV 249 E. 3a; BGE 103 IV 65 E. 2; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht Allg. Teil I, 2. Aufl. 1996, § 9 N. 99 ff.). Der eventualvorsätzlich handelnde Täter weiss um die Möglichkeit, das Risiko der Tatbestandsverwirklichung. Auch der bewusst fahrlässig handelnde Täter erkennt dieses Risiko. Insoweit, d.h. hinsichtlich des Wissensmoments, besteht mithin zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit Übereinstimmung. Der Unterschied liegt beim Willensmoment. Der bewusst fahrlässig handelnde Täter vertraut (aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf, dass der von ihm als möglich vorausgesehene Erfolg nicht eintreten, das Risiko der Tatbestandserfüllung sich nicht verwirklichen werde. Der eventualvorsätzlich handelnde Täter nimmt hingegen den als möglich erkannten Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf, findet sich damit ab. Wer den Erfolg in Kauf nimmt, "will" ihn im Sinne von Art. 18 Abs. 2 StGB. Dazu ist insbesondere nicht erforderlich, dass der Täter den Erfolg "billigt" (eingehend BGE 96 IV 99).
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Zu den relevanten Umständen für die Entscheidung der Rechtsfrage, ob der Täter eventualvorsätzlich oder bewusst fahrlässig gehandelt hat, gehören u.a. die Grösse des (ihm bekannten) Risikos der Tatbestandsverwirklichung und die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung. Je grösser etwa das Risiko der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die tatsächliche Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen, also entgegen seiner Behauptung nicht (pflichtwidrig unvorsichtig) darauf vertraut, dass sich dieses Risiko nicht verwirklichen bzw. der tatbestandsmässige Erfolg nicht eintreten werde (BGE 119 IV 1 E. 5a; nicht publiziertes Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1991 i.S. W., 6S.533/1990). Zu den relevanten Umständen können aber auch die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung gehören (nicht publizierte Urteile des Kassationshofes vom 12. April 1985 i.S. B. c. ZH, Str. 112/1985, und vom 17. August 1992 i.S. ZG c. W., 6S.60/1992).
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d) Gemäss den Ausführungen der Vorinstanz wusste der Beschwerdeführer seit dem 2. Juli 1990 aufgrund eines Tests, dass er HIV-positiv ist. Ihm war bekannt, dass das HI-Virus durch ungeschützten Geschlechtsverkehr auf den Sexualpartner übertragen ![]() | 26 |
e) Dass der Beschwerdeführer allenfalls nicht bei jedem einzelnen ungeschützten Geschlechtsverkehr konkret an seine HIV-Infektion und an das Risiko der Übertragung des Virus dachte, ist unerheblich. Zum "Wissen" im Sinne von Art. 18 Abs. 2 StGB genügt es, dass ihm die wesentlichen Umstände im Sinne eines Begleitwissens mitbewusst waren (TRECHSEL, op.cit., Art. 18 StGB N. 4, mit Hinweisen). Daher musste die Vorinstanz nicht in Würdigung von Beweisen feststellen, was der Beschwerdeführer sich bei jedem einzelnen Geschlechtsverkehr konkret vorstellte.
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f) Wohl reicht das Wissen um die Möglichkeit des Erfolgseintritts allein zur Annahme des Eventualvorsatzes nicht aus. Erforderlich ist zudem die Inkaufnahme dieses Erfolgs. Es verstösst aber nicht gegen Bundesrecht, aus dem Wissen um das Risiko unter Berücksichtigung der Umstände auf Inkaufnahme des Erfolgs zu schliessen. Zu diesen Umständen gehört beim ungeschützten Sexualakt eines Infizierten, dass jeder einzelne Akt und schon ein einziger das Risiko einer Übertragung des Virus in sich birgt, dass der Infizierte dieses ihm bekannte Risiko in keiner Weise kalkulieren und dosieren kann und dass sein Partner gegen die Gefahr einer Infizierung keinerlei Abwehrchancen hat. Der HIV-Infizierte, der in Kenntnis seiner Infektion und der Übertragungsmöglichkeiten unter diesen Umständen mit dem nicht informierten Partner ungeschützt sexuell verkehrt, kann nicht im juristischen Sinne der bewussten Fahrlässigkeit (pflichtwidrig unvorsichtig) darauf vertrauen, dass der tatbestandsmässige Erfolg nicht eintreten werde, sondern er nimmt die Infizierung des Partners im Sinne des Eventualvorsatzes in Kauf. Nicht weil er im juristischen Sinne der bewussten Fahrlässigkeit (pflichtwidrig unvorsichtig) darauf vertraut, dass der ![]() | 28 |
Die Infektionswahrscheinlichkeit durch ungeschützten Ge- schlechtsverkehr ist allerdings, statistisch gesehen, gering und bewegt sich im Promille-Bereich; nur ein ungeschützter Geschlechtsverkehr von ca. dreihundert ist infektiös. Das ist indessen nicht relevant. Massgebend ist vielmehr, dass jeder ungeschützte Sexualkontakt derjenige von vielen sein kann, der eine Virusübertragung zur Folge hat, so dass also jeder ungeschützte Sexualkontakt, mithin auch der erste und einzige, die Gefahr der Ansteckung in sich trägt. Beim ungeschützten Sexualverkehr mit einem nicht infizierten Partner spielt der Infizierte "gewissermassen russisches Roulette" (KARL-LUDWIG KUNZ, op.cit., S. 62). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, wie viele ungeschützte Sexualkontakte der Infizierte haben können soll, bis ihm schliesslich vorgeworfen werden kann, er habe die Infizierung des Partners im Sinne des Eventualvorsatzes in Kauf genommen. Es ist auch schwer verständlich, weshalb nur beim Infizierten, der viele Male mit demselben Partner ungeschützt sexuell verkehrt, Eventualvorsatz zu bejahen sei, nicht aber auch beim Infizierten, der mit vielen verschiedenen Partnern je nur wenige Male ungeschützte Sexualkontakte hat.
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Eventualvorsatz kommt somit nicht nur bei riskanten Praktiken oder erst bei zahlreichen Geschlechtsakten des Infizierten mit demselben Partner in Betracht (so aber TRECHSEL, op.cit., Art. 231 StGB N. 12; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht Bes. Teil II, § 31 N. 6).
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g) Bei jedem einzelnen ungeschützten Sexualkontakt setzte der Beschwerdeführer in grober Verletzung der sich aus seinem Wissen ergebenden Aufklärungspflicht aus eigennützigen Interessen die nicht informierten Sexualpartnerinnen dem inakzeptablen, unberechenbaren und nicht beeinflussbaren Risiko einer Übertragung des HI-Virus und den sich daraus ergebenden, ihm bekannten Gefahren für die Gesundheit und das Leben aus. Damit hat er den tatbestandsmässigen Erfolg für den Fall seines Eintritts bei jedem einzelnen Sexualkontakt in Kauf genommen.
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h) Der Beschwerdeführer hat demnach durch den Y. mit demHI-Virus infizierenden ungeschützten Geschlechtsverkehr die Tatbestände der eventualvorsätzlichen schweren Körperverletzung ![]() | 32 |
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