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44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. November 1999 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Schaffhausen (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 89 Abs. 2 OG, Art. 93 Abs. 2 OG, Art. 272 Abs. 1 BStP, Art. 280 Abs. 2 StPO/SH; staatsrechtliche Beschwerde, Beschwerdefrist. | |
Sachverhalt | |
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X. reichte am 30. März 1999 eine staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben; zudem verlangte er, nach Vorliegen des schriftlich begründeten Obergerichtsentscheids sei ihm gestützt auf Art. 93 Abs. 2 OG, evtl. Art. 89 Abs. 2 OG, eine angemessene, mindestens 30-tägige Frist zur evtl. Ergänzung der Beschwerdeschrift anzusetzen. Die Begründung des angefochtenen Entscheids wurde am 7. Mai 1999 zugestellt. Am 10. Juni 1999 reichte X. eine Beschwerdeergänzung ein mit unveränderten Anträgen.
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Im Ergebnis weist das Bundesgericht die Beschwerde ab
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aus folgenden Erwägungen: | |
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b) Die staatsrechtliche Beschwerde ist binnen 30 Tagen, von der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung des Erlasses oder der Verfügung an gerechnet, dem Bundesgericht schriftlich einzureichen (Art. 89 Abs. 1 OG). Werden von Amtes wegen nachträglich Entscheidungsgründe zugestellt, so kann die Beschwerde noch innert 30 Tagen seit dem Eingang der Ausfertigung geführt werden (Abs. 2).
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c) Die bisherige konstante Rechtsprechung erachtet die nachträgliche Zustellung von Entscheidgründen als von Amtes wegen erfolgt, ![]() | 6 |
aa) Diese Praxis wurde in einem Schaffhauser Fall am 2. Juli 1998 und 4. Januar 1999 bestätigt. Nach Art. 280 Abs. 2 der Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 15. Dezember 1986 (StPO/SH) kann, sofern kein Rechtsmittel angemeldet wird, von einer schriftlichen Begründung des Urteils abgesehen werden, wenn die mündliche Eröffnung mit den hauptsächlichen Urteilsgründen im Verhandlungsprotokoll festgehalten ist (lit. a) und wenn das Urteil in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht nicht wesentlich von der Anklageschrift abweicht (lit. b). Diese Bestimmung gilt gemäss der Verweisung in Art. 309 StPO/SH auch für Entscheide einer Rechtsmittelinstanz. Somit würden nach der Gesetzgebung des Kantons Schaffhausen mündlich eröffnete und begründete Strafurteile nicht von Amtes wegen nachträglich schriftlich begründet. Art. 309 StPO/SH sei erst am 1. Januar 1996 in Kraft getreten. In der kurzen Zeit seither habe sich noch keine vom Gesetzestext abweichende, ständige Praxis bilden können. Dass die im Rechtsmittelverfahren gefällten Entscheide in jedem Fall schriftlich begründet würden, hätten weder die beteiligten Parteien noch die kantonalen Behörden geltend gemacht (unveröffentlichter Entscheid der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Juli 1998 i.S. S., E. 1b).
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bb) Im gleichen Entscheid (E. 1c) wird weiter ausgeführt, Art. 272 Abs. 1 Satz 2 BStP (SR 312.0) verpflichte das kantonale Gericht, eine schriftliche Ausfertigung seines Urteils zuzustellen, wenn gegen das Urteil die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet worden sei. Im vorliegenden Fall habe die Verteidigerin des Beschwerdeführers einen Tag nach der Zustellung des Urteilsdispositivs eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet und das Obergericht habe eine schriftliche Begründung ausgefertigt. Obwohl das Obergericht nach Art. 272 Abs. 1 Satz 2 BStP verpflichtet sei, seine Urteile schriftlich zu begründen, bestehe diese Pflicht doch nur dann, wenn die Partei einen besonderen Schritt ![]() | 8 |
d) Nach der soeben dargestellten bisherigen Rechtsprechung liegt eine Begründung des Entscheids "von Amtes wegen" vor, wenn schon vor der Eröffnung des Entscheids feststeht, dass die Behörde ihren Entscheid schriftlich begründen wird. Der Begriff "von Amtes wegen" kann aber auch so verstanden werden, dass die Behörde zwar nicht generell, aber im konkreten Einzelfall verpflichtet ist, den Entscheid schriftlich zu begründen. Denn in einem solchen Fall steht ihr kein Ermessensspielraum darüber zu, ob sie den Entscheid nun schriftlich begründen will oder nicht - sie muss es tun. In der Folge ist zu prüfen, welche Lösung sachlich gerechtfertigt ist.
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e/aa) In der Botschaft zum OG wird Folgendes ausgeführt (BBl 1943 I 140):
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"Die Befristung der staatsrechtlichen Beschwerde bedarf im Interesse
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der Rechtssicherheit einer eingehenderen Ordnung. Als Ausgangspunkt wird
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die nach kantonalem Recht massgebende Eröffnung oder Mitteilung genannt, um
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nicht die Meinung aufkommen zu lassen, es eile nicht, solange nicht die
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schriftliche Begründung bekannt sei, mindestens wo eine solche überhaupt
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stattfindet. Da der Fristenlauf die Vollziehung nicht hemmt, muss auch die
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Beschwerde sofort zulässig sein. Wird derart Beschwerde geführt, bevor die
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Entscheidungsgründe bekannt sind, so wird durch Art. 89 Abs. 2 und
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allenfalls durch Art. 93 Abs. 2 dafür gesorgt, dass der Beschwerdeführer
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nachträglich noch zum Worte komme. Wo von Amtes wegen nachträglich
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Entscheidungsgründe zugestellt werden, soll der Beschwerdeführer, falls er
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kein Bedürfnis empfindet, vorher Beschwerde zu erheben, nicht zu einer
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Beschwerdebegründung ins Blaue hinein verpflichtet werden, sondern er kann
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noch binnen 30 Tagen seit dem Eingang der Ausfertigung der
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Entscheidungsgründe Beschwerde führen."
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Damit werden zu Art. 89 Abs. 2 OG - der vom Parlament diskussionslos übernommen wurde - zwei wesentliche Punkte hervorgehoben: Einerseits soll keine unnötige Zeit bis zur Einreichung ![]() | 26 |
Die Regelungen im Bundesstrafprozess und in der Schaffhauser Strafprozessordnung entsprechen diesen Überlegungen. So sieht Art. 272 Abs. 2 BStP vor, dass der Beschwerdeführer erst nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Entscheides, mithin in Kenntnis der vorinstanzlichen Entscheidgründe, seine Beschwerde verfassen muss. Gemäss Schaffhauser Strafprozessordnung kann nur dann von einer schriftlichen Begründung des Urteils abgesehen werden, wenn die mündliche Eröffnung mit den hauptsächlichen Urteilsgründen im Verhandlungsprotokoll festgehalten ist und wenn das Urteil in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht nicht wesentlich von der Anklageschrift abweicht (Art. 280 Abs. 2 lit. a und b StPO/SH). Also auch hier kann auf die schriftliche Urteilsbegründung nur verzichtet werden, wenn der Betroffene die Entscheidgründe bereits kennt.
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bb) Die bisherige Rechtsprechung, wonach eine Begründung des Entscheids "von Amtes wegen" nur vorliegt, wenn schon vor der Eröffnung des Entscheids feststeht, dass die Behörde ihren Entscheid schriftlich begründen wird, hat zur Konsequenz, dass der Betroffene oftmals staatsrechtliche Beschwerde führen muss, ohne die Entscheid- beziehungsweise Anfechtungsgründe zu kennen. Dass eine solche Beschwerdeführung, zumal das Bundesgericht nur auf klar und detailliert erhobene Rügen eintritt (BGE 117 Ia 393 E. 1c mit Hinweisen), nicht sinnvoll sein kann, wird wohl niemand bestreiten wollen. Auch wenn dem Betroffenen - nachdem er die staatsrechtliche Beschwerde vorläufig begründet hatte - nach Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung gemäss Art. 93 Abs. 2 OG eine ![]() | 28 |
Die bisherige Lösung ist auch im Hinblick auf Art. 272 Abs. 1 BStP stossend, weil diese Bestimmung die kantonale Behörde dazu anhält, ihren Entscheid nach Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde ohne Verzug "von Amtes wegen" schriftlich auszufertigen. Gerade wer sowohl eine staatsrechtliche Beschwerde als auch eine Nichtigkeitsbeschwerde einreicht und im Bundesstrafprozess nachliest, dass ihm die kantonale Behörde von Amtes wegen eine schriftliche Begründung zukommen lassen muss, wird kaum nachvollziehen können, wenn ihm nun gesagt wird, dieselbe schriftliche Begründung sei bezüglich der staatsrechtlichen Beschwerde nicht von Amtes wegen erfolgt.
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cc) Eine sinnvolle und mit der Absicht des Gesetzgebers im Einklang stehende Lösung ergibt sich demgegenüber, wenn man unter der nachträglichen Zustellung von Entscheidungsgründen "von Amtes wegen" (Art. 89 Abs. 2 OG) versteht, dass die Behörde ihren Entscheid nach dessen Eröffnung ohnehin schriftlich begründet oder im Einzelfall schriftlich begründen muss. Weiss das der Betroffene, so ist er nicht verpflichtet, vorerst "ins Blaue hinein" staatsrechtliche Beschwerde zu führen; er kann die Zustellung der schriftlichen Entscheidungsgründe abwarten und auf dieser Grundlage eine den Begründungsanforderungen genügende Beschwerde verfassen. Kennt er die Entscheidungsgründe bereits vorher, kann er die Beschwerde unverzüglich einreichen. Zudem kommt bei dieser Lösung die gesetzliche nicht erstreckbare Frist von 30 Tagen (Art. 89 Abs. 2 OG) zum Zuge, was unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Rechtsgleichheit begrüssenswert und angesichts der gerichtsnotorischen Fristerstreckungsgesuche bei richterlichen Fristen auch dem Postulat der Prozessökonomie förderlich ist. Insbesondere entfällt auch die bisher mögliche konträre Auslegung der Begriffe "von Amtes wegen" in Art. 89 Abs. 2 OG und in Art. 272 Abs. 1 BStP. Da auf diese Weise somit der Sinn und Zweck des Gesetzes besser erreicht werden ![]() | 30 |
f) Der Beschwerdeführer hat innert 10 Tagen seit der mündlichen Eröffnung des Entscheids eine eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet. Ohne die definitiven Entscheidgründe des Obergerichts zu kennen, hat er innert 30 Tagen seit der mündlichen Eröffnung eine 15-seitige staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Nach Zustellung der schriftlichen Begründung hat er - ebenfalls unter Einhaltung einer 30-tägigen Frist - eine Beschwerdeergänzung nachgereicht und gleichzeitig beantragt er, das Bundesgericht solle ihm eine mindestens 30-tägige Frist zur Begründung der staatsrechtlichen Beschwerde ansetzen.
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Da der Beschwerdeführer fristgemäss eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet hatte, musste das Obergericht gemäss Art. 272 Abs. 1 BStP den Entscheid schriftlich ausfertigen, weshalb nach der neuen Rechtsprechung die 30-tägige Frist des Art. 89 Abs. 2 OG mit dessen Zustellung begann. Ab diesem Zeitpunkt kannte der Beschwerdeführer die Entscheidungsgründe des Obergerichts und war deshalb an sich auch in der Lage, eine staatsrechtliche Beschwerde zu verfassen, die den Anforderungen des Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügt. Innert Frist hat er denn auch eine Beschwerdeergänzung eingereicht, worauf grundsätzlich einzutreten ist. Da sich an den Entscheidungsgründen seit der schriftlichen Zustellung durch das Obergericht nichts mehr geändert hat, besteht kein Grund, dem Beschwerdeführer nun noch eine Frist zur Beschwerdeergänzung anzusetzen. Folglich ist sein diesbezüglicher Antrag abzuweisen.
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Nach der Schaffhauser Strafprozessordnung kann - als Mass-nahme zur Entlastung der Gerichte - von einer schriftlichen Begründung des Urteils unter der dreifachen Bedingung abgesehen werden, dass kein Rechtsmittel angemeldet wird (Art. 280 Abs. 2 StPO/SH), die mündliche Eröffnung mit den hauptsächlichen Urteilsgründen im Verhandlungsprotokoll festgehalten ist (lit. a) und das Urteil in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht nicht wesentlich von der Anklageschrift abweicht (lit. b). Der Beschwerdeführer hat nebst der staatsrechtlichen Beschwerde auch Nichtigkeitsbeschwerde erhoben, und im Verhandlungsprotokoll des Obergerichts ![]() | 33 |
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