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5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Dezember 1999 i.S X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 13e und Art. 23a ANAG. |
Die Klausel betreffend die erwiesene Undurchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs statuiert den Vorrang der Ausschaffung vor der Bestrafung und schränkt das strafprozessuale Legalitätsprinzip ein (E. 2). | |
Sachverhalt | |
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X. wurde am 29. Juli 1997 aus der Schweiz ausgeschafft.
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Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach X. am 24. März 1998 in Bestätigung des Entscheids der Einzelrichterin in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich vom 9. September 1997 der Widerhandlung im Sinne von Art. 23a i.V.m. Art. 13e des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) schuldig und verurteilte ihn deshalb sowie wegen weiterer Straftaten (Hinderung einer Amtshandlung, Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz) im Sinne einer Gesamtstrafe, teilweise als Zusatzstrafe zum Strafbefehl der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 19. November 1996, zu vier Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren.
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X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ficht einzig seine Verurteilung wegen Widerhandlung im Sinne von Art. 23a i.V.m. Art. 13e ANAG an.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
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aus folgenden Erwägungen: | |
1. Gemäss Art. 13e ANAG, eingefügt durch Ziff. I des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in Kraft seit 1. Februar 1995, kann die zuständige kantonale Behörde einem Ausländer, der keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzt und der die öffentliche Sicherheit und Ordnung stört oder gefährdet, insbesondere zur Bekämpfung des widerrechtlichen Betäubungsmittelhandels, die Auflage machen, ein ihm zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu betreten (Abs. 1). Diese Massnahmen werden von der Behörde des Kantons angeordnet, der für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung zuständig ist. Das Verbot, ein bestimmtes Gebiet zu betreten, kann auch von der Behörde des Kantons erlassen werden, in dem dieses Gebiet liegt (Abs. 2). Gegen die Anordnung dieser ![]() | 6 |
Art. 23a ANAG bestimmt:
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Wer Massnahmen nach Art. 13e nicht befolgt, wird mit Gefängnis bis zu
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einem Jahr oder mit Haft bestraft, "falls sich erweist, dass der Vollzug
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der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
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undurchführbar ist" ("... s'il s'avère que l'exécution du renvoi ou de
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l'expulsion est impossible pour des raisons juridiques ou matérielles";
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"... ove risulti che l'allontanamento o l'espulsione è inattuabile per
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motivi giuridici o effettivi").
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a) Die Missachtung einer Eingrenzungs- bzw. Ausgrenzungsverfügung ist mithin nur strafbar, falls sich erweist, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist. Im vorliegenden Verfahren ist umstritten, ob insoweit die Verhältnisse zur Zeit der Tat oder aber die Verhältnisse im Zeitpunkt des Urteils massgebend sind.
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aa) Die Vorinstanz vertritt im angefochtenen Urteil die Auffassung, dass die Verhältnisse zur Zeit der Tat massgebend seien. Sie weicht damit ausdrücklich von einem Entscheid der I. Strafkammer des Zürcher Obergerichts vom 2. März 1998 ab, wonach die Verhältnisse zur Zeit des Urteils massgebend seien. Die Vorinstanz kann dieser Ansicht nicht folgen. Es widerspreche dem im Strafrecht geltenden Bestimmtheitsgebot im Sinne von Art. 1 StGB, wenn die Strafbarkeit eines Verhaltens von den an einem noch unbestimmten, in der Zukunft liegenden Zeitpunkt (Urteilsfällung) obwaltenden Verhältnissen abhänge. Die Qualifikation der Unmöglichkeit der Ausschaffung als objektive Strafbarkeitsbedingung durch die I. Strafkammer stehe dem nicht entgegen. Denn eine solche beschränke die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens aus Gründen der Praktikabilität. Damit sei aber der Zeitpunkt, da diese Voraussetzung vorzuliegen habe, noch nicht bestimmt. Zwar träten gewisse objektive Strafbarkeitsbedingungen, wie beispielsweise die Eröffnung des Konkurses beim Tatbestand von Art. 163 StGB, erst nach Vollendung des Tatbestands ein. Erst ab Konkurseröffnung werde das Verhalten des Schuldners strafbar. Dies habe aber weiter zur Folge, dass erst dann eine allfällige Strafuntersuchung eröffnet werden könne. Ein Wegfall dieser Bedingung im Verlauf des Verfahrens sei nicht denkbar. Davon zu unterscheiden seien die Prozessvoraussetzungen, bei deren Wegfall ein Prozesshindernis vorliege, worauf das Verfahren eingestellt werde, beispielsweise Rückzug des Strafantrags oder Tod ![]() | 16 |
bb) Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, massgebend seien die Verhältnisse im Zeitpunkt des Urteils. Eine Bestrafung wegen Missachtung einer Ausgrenzungsverfügung falle ausser Betracht, sobald eine Ausschaffung möglich sei, und somit erst recht dann, wenn die Ausschaffung bereits stattgefunden habe. Da er am 29. Juli 1997 nach Ghana ausgeschafft worden sei, könne er nicht mehr wegen der ihm zur Last gelegten mehrfachen Missachtung der Ausgrenzungsverfügung bestraft werden. Dass bei dieser Betrachtungsweise die Bestrafung auch von Umständen abhänge, die im Zeitpunkt der Tat noch nicht vorlagen, sei nichts Besonderes und widerspreche entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht dem Legalitätsprinzip gemäss Art. 1 StGB. Objektive Strafbarkeitsbedingungen - und als solche sei die Unmöglichkeit der Ausschaffung im Sinne von Art. 23a ANAG zu qualifizieren - träten oft erst mehr oder weniger lange Zeit nach Erfüllung des Straftatbestands ein, so gerade die von der Vorinstanz erwähnte Konkurseröffnung bei den Konkursdelikten im Sinne von Art. 163 ff. StGB. Wohl dürfe eine Strafuntersuchung grundsätzlich erst nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung eröffnet werden. Das bedeute aber nicht, dass in Bezug auf die Strafbarkeitsbedingung der Unmöglichkeit der Ausschaffung die Verhältnisse zur Zeit der Tat massgebend seien. Vorliegend sei ganz einfach die Strafuntersuchung allenfalls zu früh angehoben worden, nämlich als man noch nicht gewusst habe, ob der Beschwerdeführer nicht doch ausgeschafft werden könnte. Abgesehen davon würden in der Praxis sehr oft Strafverfahren eröffnet, ohne dass bereits feststünde, ob überhaupt eine strafbare Handlung vorliege. Dies abzuklären sei vielmehr gerade Aufgabe der Strafuntersuchung.
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b) Das Bundesgericht hat die hier streitige Frage inzwischen durch Urteil vom 14. Oktober 1998 entschieden. Gemäss BGE 124 IV 280 ![]() | 18 |
Daran ist festzuhalten. Massgebend sind mithin die Verhältnisse zur Zeit des Urteils. Ist in diesem Zeitpunkt die Ausschaffung möglich, so fällt eine Bestrafung ausser Betracht. Eine Bestrafung wegen Missachtung einer Eingrenzungs- bzw. Ausgrenzungsverfügung ist damit auch dann ausgeschlossen, wenn der Beschuldigte, wie vorliegend, im Zeitpunkt des Urteils bereits ausgeschafft worden ist. Art. 23a ANAG bringt in Bezug auf die darin geregelte Straftat der ![]() | 19 |
Wohl hängt bei dieser Betrachtungsweise die Strafbarkeit der Missachtung von Eingrenzungs- bzw. Ausgrenzungsverfügungen resp. die Bestrafung des Beschuldigten auch von Umständen ab, die im Zeitpunkt der Tat noch nicht vorliegen. Dies ist indessen nichts Aussergewöhnliches und steht entgegen der Auffassung der Vorinstanz insbesondere auch nicht im Widerspruch zum Legalitätsprinzip im Sinne von Art. 1 StGB. Die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens bzw. die Bestrafung des Beschuldigten hängt in vielfacher Hinsicht von Umständen ab, die, wie etwa manche objektive Strafbarkeitsbedingung und Prozessvoraussetzung, erst mehr oder weniger lange Zeit nach der Tat allenfalls eintreten.
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a) Die rechtliche Einordnung der in Art. 23a ANAG vorausgesetzten erwiesenen Undurchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs ist schwierig. Sollte es sich dabei um eine objektive Strafbarkeitsbedingung oder allenfalls um eine Prozessvoraussetzung handeln, dann müsste sie nicht nur im Zeitpunkt des Urteils, sondern auch bereits zur Zeit der Eröffnung des Strafverfahrens vorliegen. Denn grundsätzlich kann ein Strafverfahren erst dann eröffnet werden, wenn zum einen die Prozessvoraussetzungen und zum andern ![]() | 22 |
b) Die Frage nach der Rechtsnatur der in Art. 23a ANAG vorausgesetzten Undurchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs musste in BGE 124 IV 280 nicht abschliessend entschieden werden. Denn die von der beschwerdeführenden Staatsanwaltschaft in jenem Verfahren angestrebte Verurteilung des Beschuldigten fiel ausser Betracht, da entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht die Verhältnisse zur Zeit der Tat, sondern diejenigen im Zeitpunkt des Urteils massgebend sind und in diesem Zeitpunkt die Ausschaffung möglich war. Unter diesen Umständen musste der Kassationshof nicht darüber befinden, ob die Vorinstanz in jenem Verfahren den Beschuldigten zu Recht freigesprochen hatte oder ob sie richtigerweise hätte das Verfahren einstellen bzw. auf die Anklage nicht eintreten sollen.
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Die Frage nach der Rechtsnatur der in Art. 23a ANAG vorausgesetzten Undurchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs muss vorliegend entschieden werden, da es u.a. von ihrer Beantwortung abhängt, ob die Vorinstanz im neuen Verfahren, nach Massgabe des kantonalen Prozessrechts, ein Sachurteil (Freispruch) oder aber einen Prozessentscheid (Verfahrenseinstellung, Nichteintreten auf die Anklage etc.) ausfällen muss.
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c) Wer Massnahmen nach Art. 13e ANAG nicht befolgt, wird gemäss Art. 23a ANAG bestraft, "falls sich erweist, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist". Die damit für die Strafbarkeit vorausgesetzte Unmöglichkeit der Ausschaffung erscheint in Anbetracht des Gesetzeswortlauts formal betrachtet als eine objektive Strafbarkeitsbedingung. Sie kann aber bei näherer Prüfung nicht als eine solche qualifiziert werden.
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Objektive Strafbarkeitsbedingungen schränken die Strafbarkeit eines bestimmten tatbestandsmässigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens durch das Erfordernis weiterer Umstände ein, die nicht von der Schuld des Täters erfasst sein müssen. Regelmässig handelt es sich um eine Störung der Rechtsordnung, einen Schaden bzw. einen "Erfolg" im untechnischen Sinne, der als ein irgendwie mit der Tat zusammenhängender Umstand hinzutreten muss, damit die Tat strafbar ist (s. zum Ganzen STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht ![]() | 26 |
Daher ist ein Strafverfahren wegen Missachtung einer Eingrenzungs- bzw. Ausgrenzungsverfügung, nach Massgabe des kantonalen Prozessrechts, durch Prozessentscheid abzuschliessen, wenn sich erweist, dass der Ausländer ausgeschafft werden kann, oder wenn der Ausländer, wie im vorliegenden Fall, tatsächlich ausgeschafft worden ist.
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d) Unabhängig von der rechtlichen Qualifikation der in Art. 23a und auch in Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG (betreffend Beendigung der fremdenpolizeilichen Haft) enthaltenen Klausel ergeben sich aus ihr allerdings zahlreiche Schwierigkeiten u.a. deshalb, weil häufig lange Zeit unklar bleibt, ob der Ausländer in absehbarer Zukunft ausgeschafft werden kann oder nicht, und weil sich die insoweit relevanten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Lauf der Zeit, unter Umständen mehrmals, ändern können, was der Gesetzgeber offenbar nicht ausreichend bedacht hat (s. dazu auch PHILIPPE WEISSENBERGER, ZBJV 134/1998 S. 789 ff.; JENNY, ZBJV 135/1999 S. 648 f.).
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